„Cloud-First“-Strategie aus den USA

Microsoft Europa unter Druck

12. Juli 2022, 13:00 Uhr | Autor: Tillmann Braun / Redaktion: Diana Künstler
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© rangizzz, Martial Red - shutterstock.com

Microsoft will zukünftig alle Kunden in die Cloud zwingen. Damit bringt die Unternehmensleitung in den USA ihre Niederlassungen in Europa in Bedrängnis. Immer mehr Unternehmen suchen Alternativen, um dem Datenschutz gerecht zu werden oder ihre Unabhängigkeit zu bewahren.

Seit Jahrzehnten werden das Betriebssystem und das Office-Paket von Microsoft in nahezu jeder Behörde und jedem Unternehmen genutzt. Mit einer beispiellosen Erfolgsgeschichte hat sich der US-Konzern de facto ein Monopol aufgebaut. Diese marktbeherrschende Stellung möchte Microsoft nun dazu nutzen, um beim lukrativen Cloud-Business den Anschluss gegenüber Amazon und Google nicht zu verlieren. Seit rund zwei Jahren arbeitet die Unternehmensführung daran alle Microsoft-Kunden in die Azure-Cloud zu migrieren. Zunächst versuchte man es mit Argumenten, nun setzt das US-Unternehmen den eigenen Kunden zunehmend die Pistole auf die Brust. Ab 2025 will Microsoft ausschließlich Cloud-basierte Bereitstellungsmodellen anbieten.

Das beliebte Office 365 kann bereits heute nicht mehr ohne Weiteres bei einem anderen Anbieter wie Google oder Amazons AWS, dem Marktführer für Cloud-Dienste, installiert werden – und in absehbarer Zukunft dann wohl auch nicht mehr im eigenen Rechenzentrum. Gerade für öffentliche Behörden, Finanzämter, Schulen sowie die IT von Landes- und Bundesregierung stellt dieser Migrations-Zwang ein großes Problem dar. Noch gibt es die Office-Software als lokale Installation, doch wie lange diese Office-Versionen von Microsoft noch unterstützt und mit Sicherheits-Updates versorgt wird, kann niemand sagen.

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„Cloud-First“-Strategie aus den USA sorgt für Probleme

Mit den Office-Lizenzen verdient Microsoft viel Geld – und will auf diese Einnahmen zukünftig sicherlich nicht verzichten. Andererseits möchte Microsoft bei Cloud-Diensten offenbar mehr Marktanteile und Einnahmen erzielen. Schließlich lässt sich hier ebenfalls sehr viel Geld verdienen. So ist nicht etwa der Online-Handel, sondern AWS der profitabelste Bereich bei Amazon.

Microsoft möchte nun anscheinend einen ähnlichen Weg gehen. Mit dieser „Cloud-First“-Strategie aus den USA dürften die Microsoft-Niederlassungen in Europa allerdings ein größeres Problem bekommen. Denn gerade beim Datenschutz liegen Welten zwischen den Gesetzen in den USA und denen in der EU. Viele Datenschutzexperten halten Lösungen von US-Unternehmen sogar prinzipiell für ungeeignet für den Einsatz in europäischen Behörden und Betrieben. Denn im Zweifelsfall können US-Behörden amerikanische Unternehmen wie Microsoft sogar dazu zwingen, ihre Dienste einzustellen oder bestimmte Informationen über Nutzer preiszugeben. Gerade deutsche Nutzer, die häufig großen Wert auf den Schutz ihrer Daten und Privatsphäre legen, dürfte dies nicht gefallen. Doch genau das wird passieren, wenn Behörden und Unternehmen ohne die individuelle Zustimmung der einzelnen Bürger beziehungsweise Kunden sensible personenbezogene Daten zukünftig zwangsläufig in der Microsoft-Cloud speichern.

Ohne digitale Souveränität werden Behörden und Unternehmen zum Spielball anderer Interessen

Es sind allerdings nicht nur Datenschutz-Bedenken, die Microsoft zunehmend Probleme bereiten. Es geht auch um die Planbarkeit und die Eigenständigkeit, die eine Souveränität bei der digitalen Infrastruktur mit sich führt. Ansonsten wird man als Behörde oder auch Unternehmen schnell zum Spielball anderer Interessen. Wie ein US-Unternehmen als Druckmittel der Politik missbraucht werden kann, belegte eindrucksvoll das Beispiel von Googles Android-Software und dem dort ungeliebten Smartphone-Hersteller Huawei. Als das chinesische Unternehmen Huawei von den USA quasi über Nacht zum Staatsfeind deklariert und eine weitere Kooperation verboten wurde, hatten alle Huawei-Anwender plötzlich ein Problem. Ähnliche Szenarien dürften in Zukunft eher zu- als abnehmen und könnten selbst für Microsoft zum Problem werden.

Bundesländer setzen zunehmend auf quelloffene Lösungen aus Europa

Noch tun sich die Alternativen zu Microsoft teils schwer, doch langsam aber sicher nutzen immer mehr Unternehmen, Behörden, Schulen und sogar schon ganze Bundesländer alternative Lösungen zu den großen US-Anbietern. Im Gegensatz zur proprietären Microsoft-Software kommen vor allem transparente Open-Source-Lösungen zum Tragen. So setzt der Freistaat Bayern auf Mebis als zentrale Lernplattform für Schulen und will auch anderen Behörden den Zugang und den Wechsel auf freie Software, also Programme wie Libre Office, für die ein offener Quellcode zur Verfügung steht, vereinfachen.  

Ein anderes Beispiel ist die Phoenix-Suite. Unter der Führung von Dataport, dem kommunalen IT-Dienstleister für sechs Bundesländer, wurde eine von Deutschland und der EU geförderte, europäischen Alternative zu Microsoft erarbeitet. Die Phoenix-Suite umfasst ein in Leistung und Funktionen nahezu identisches Office-Paket für Text, Tabellen, Kalender, Kontakte, Chats sowie virtuelle Konferenzen und Präsentationen – und ist vollständig mit Microsoft-Office kompatibel. Als Alternative zu proprietärer Software basiert der Open-Source-Arbeitsplatz auf quelloffenem Code, wodurch die Anwender die Kontrolle über das System erhalten – auch was die Absicherung betrifft. Dass die zugrundeliegende Plattform in einem deutschen Rechenzentrum gehostet wird, ist zudem gerade für den öffentlichen Sektor wichtig. Zu den Anwendern, die die Open-Source-Suite bereits nutzen, gehören beispielsweise Landesverwaltungen, Schulen und kommunale Gremien in Schleswig-Holstein, wo man bereits das Mail- und Videokonferenzmodul nutzt. In anderen Bundesländern werden zudem einzelne Komponenten bereitgestellt, die Teil der Suite sind, aber auch losgelöst von dieser verwendet werden können. So nutzen etwa Lehrkräfte im Saarland und Thüringen Open-Xchange als Dienstmail.

Entscheidung von Microsoft zwingt zum Handeln

Die Entscheidung von Microsoft in den USA, alle Anwender spätestens 2025 in die Cloud zu zwingen, könnten also dazu führen, dass hiesige Behörden und Unternehmen digital unabhängig werden und zu quelloffenen Lösungen aus Europa wechseln. Der US-Riese würde somit an Marktmacht verlieren, statt sie wie geplant auszubauen. Damit es soweit kommt, müsste allerdings vielerorts ein Umdenken stattfinden. Und das bald. Denn spätestens in drei Jahren landen sonst alle Daten und Informationen automatisch in der Microsoft-Cloud. 

Tillmann Braun, freier Autor


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