Mit 5G NR stellt 5G unter anderem ultrazuverlässige Dienste mit niedriger Latenz (URLLC) zur Verfügung. Die Latenz spielt dabei eine zentrale Rolle. Doch bisher gab es noch keine darauf zugeschnittene Messlösung. Rohde & Schwarz hat das mit einem Prototyp geändert.
URLLC-Anwendungen setzen stabile, zuverlässige und unterbrechungsfrei verfügbare Kommunikationsverbindungen voraus, ohne die zum Beispiel Funktionalitäten für das autonome Fahren nicht umsetzbar sind. Ähnliches gilt für die Übermittlung von Steuerbefehlen an einen mobilen Roboter oder ein fahrerloses Transportfahrzeug. Hier ist nicht nur eine niedrige Latenz gefordert, also schnelle Aktionen und Reaktionen, sondern die erzielte Latenz muss auch innerhalb vorgegebener Schwellenwerte bleiben. Das heißt, der Jitter der Latenz muss mitbewertet werden.
3GPP, das zuständige Standardisierungsgremium für 5G NR, hat im Rahmen seiner Selbstevaluierungsberichte Performance-Ergebnisse mit umfassendem Datenmaterial vorgelegt, worin auch Angaben zur Latenz enthalten sind. Die Daten betreffen jedoch die Umlaufverzögerung (Round Trip Delay), also die Gesamtverzögerung des Mobilfunknetzes im Downlink (DL) von der Basisstation zum Endgerät und im Uplink (UL) vom Endgerät zur Basisstation. Darüber hinaus basieren die Daten auf Simulationen der Datenübertragung mit einer festen und zudem kleinen Paketgröße, was die üblichen Datenraten kommerzieller Netze nicht realistisch widerspiegelt. Erfahrungen und objektive Messdaten zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der heute betriebenen Netze sind daher von großem Interesse. In vielen Ländern der Welt betreiben inzwischen vornehmlich Mobilfunknetzbetreiber 5G-NR-Netze. Diese basieren auf der 5G-NSA-Architektur (5G Non-Standalone). Im Bereich der privaten Campusnetze ist allerdings ein großes Interesse an 5G-SA-Architekturen (5G Standalone) zu verzeichnen (siehe dazu auch das Interview mit der Innovation Alliance, Anm.d.Red.). Im Folgenden werden Messergebnisse sowohl für die Einweg-Latenz (One-Way Latency, OWL) als auch für die Rundlaufzeit (Round Trip Time, RTT) in einem kommerziell betriebenen, öffentlichen 5G-NSA-Netz vorgestellt. Außerdem werden diese mit der LTE-Latenz am selben Standorten verglichen.
Alle Messungen fanden in der Umgebung des Rohde & Schwarz-Geländes in München statt. Die Latenzmessungen erfolgten mit dem kommerziell verfügbaren Interaktivitätstest der „QualiPoc Android“-Software von Rohde & Schwarz. Als Messgerät diente ein „Samsung S20“-Smartphone mit der „QualiPoc Android“-Messlösung und einer kommerziellen SIM-Karte der Deutschen Telekom für den Zugang zu LTE- und 5G-Diensten.
Die Messungen umfassten Interaktivitätstests, bei denen die Round Trip Time (RTT) ermittelt wurde, sowie Messungen der One-Way Latency (OWL), mit deren Hilfe sich die Verzögerung in der UL- und DL-Richtung separat bestimmen lässt. Für diese Messungen nutzte das Team einen Lösungsprototypen mit angebundenen GPS-
Ressourcen auf der Sende- und Empfangsseite. Damit können unterschiedliche Datenraten von 100 kBit/s bis 15 MBit/s gemessen werden. Hierzu versendet sie Datenströme mit den in Tabelle 1 gezeigten Datenlastschemas (Traffic Pattern).
Tabelle 1: Liste der in der Messkampagne verwendeten Datenlastschemas
Traffic Pattern | Packets per Second | Packets Size | Target Bandwidth |
---|---|---|---|
Constant Low |
125 | 100 Bytes | 0.1 Mbit/s |
Constant Medium | 200 | 650 Bytes | 1 Mbit/s |
Constant High | 1300 | 1.450 Bytes | 15 Mbit/s |
Die vom Messgerät gesendeten Pakete empfängt ein Server, der das in IETF RFC 5357 spezifizierte Two Way Active Measurement Protocol (TWAMP) verwendet, und reflektiert es sofort. Der TWAMP-Server befindet sich in einem Gebäude von Rohde & Schwarz und ist über eine öffentliche IP-Adresse erreichbar. Die Testlösung ist in Bild 1 dargestellt. Obwohl der Schwerpunkt der Messungen auf der Latenz von LTE und 5G NR lag, ist die Lösung unabhängig von der zugrunde liegenden Funktechnologie anwendbar. Bild 1 beschreibt auch den eingesetzten Lösungsprototypen für OWL-Messungen. Hierfür wird eine dedizierte Software auf dem Server und dem Gerät verwendet. Außerdem liefern zusätzliche GPS-Quellen auf der Sende- und Empfangsseite einen PPS-Puls, der während einer Vorsynchronisation sowie der eigentlichen Messphase genutzt wird. Folglich dauert ein OWL-Test länger als ein Interaktivitätstest. Um einen fairen Vergleich der RTT- und OWL-Ergebnisse zu gewährleisten, konzentrierte sich das Team auf stationäre Tests. Dazu wurden bestimmte Teststandorte analysiert.
Die Anfangsmessungen fanden an Standorten statt, die 5G-NR-Netzabdeckung boten. Um die beiden Mobilfunktechnologien vergleichen zu können, wurde bei den LTE-Messungen eine Verbindung über LTE erzwungen. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die im Versorgungsbereich gefundenen LTE- und 5G-Frequenzen.
Network | Duplexing | Band | DL-ARFCN (CF) | UL-ARFCN (CF) | BW (UL & DL) |
---|---|---|---|---|---|
LTE | FDD | b1 | 475 (2157.5 MHz) | 18475 (1967.5 MHz) | 5 MHz |
FDD | b3 | 1300 (1815 MHz) | 19300 (1720 MHz) | 20 MHz | |
FDD | b7 | 3050 (2650 MHz) | 21050 (2530 MHz) | 20 MHz | |
FDD | b8 | 3749 (954.9 MHz) | 21749 (909.9 MHz) | 5 MHz | |
5GNR | FDD | n1 | 431554 (2157.8 MHz) | 393560 (1967.8 MHz) | up to 20 MHz |
FDD | n78 | 643554 (3653.3 MHz) | 643554 (3653.3 MHz) | up to 100 MHz |
Das Team absolvierte eine Scouting-Phase und mehrere Messkampagnen, um sich zunächst ein grundlegendes Verständnis der Abdeckung und der Latenzleistung zu verschaffen. Es führte anschließend Messungen an den zwei zuverlässigsten Standorten durch, die sowohl LTE- als auch 5G-NR-Messungen ermöglichte (siehe auch Bild 3).
Die gesamten NR- und LTE-Messdaten an den Standorten L1-NR / L1-LTE sowie L2-NR / L2-LTE wurden zu einem großen Datensatz zusammengeführt, der einen gemittelten Überblick über die Latenzen von 5G NR und LTE liefert. Dabei konnte das Mess-Team keine signifikanten Veränderungen in Abhängigkeit vom Wochentag oder der Tageszeit der Messungen feststellen. Tabelle 3 fasst die Verbesserung der Latenzleistung für alle Datenlastschemas zusammen.
Tabelle 3: Verbesserung der Latenz im 5G-Netz gegenüber LTE
Traffic | RTT Improvement |
Total OWL Improvemen |
OWL-UL Improvement |
OWL-DL Improvement |
---|---|---|---|---|
Low |
6.45 ms | 6.38 ms | 6.35 ms (99.53 %) | 0.03 ms (0.47 %) |
Medium |
8.00 ms | 8.05 ms | 7.59 ms (94.29 %) | 0.46 ms (5.71 %) |
High |
6.60 ms | 4.68 ms | 3.04 ms (64.96 %) | 1.64 ms (35.04 %) |
5G NR erzielte vor allem im Uplink eine bessere Performance als LTE, also bei der Übertragung der Pakete von der Quelle im Teilnehmergerät durch das Funkzugangsnetz und das Kernnetz bis zum Empfängersystem auf dem Server. Erwartungsgemäß nimmt die Latenz mit steigenden Datenraten zu, wobei die Performance im Downlink im Allgemeinen deutlich besser ist als im Uplink. Best-Case-Messungen für 5G NR ergaben bei einem Dienst mit einer Datenrate von 100 kBit/s eine OWL von weniger als 7 ms im Downlink. Bei Worst-Case-Messungen für 5G NR mit einem 15-MBit/s-Datendienst wurde demgegenüber eine OWL von etwa 18 ms im Uplink festgestellt.
Aus den Messergebnissen lässt sich folgendes schlussfolgern:
Die vorgestellte Analyse veranschaulicht die Ergebnisse für ein beispielhaftes kommerziell betriebenes Netz. Die entsprechenden Messungen wurden im Sommer und Herbst 2021 in München durchgeführt. Selbstverständlich ist der Aufbau eines 5G NR-Netzes ein langfristiger Prozess, sodass künftig Verbesserungen durch eine bessere Abdeckung und zusätzlich installierte Kapazitäten möglich sind.
Die erzielte Latenz ist insbesondere bei privaten 5G-NR-Implementierungen von großer Bedeutung. Denn diese Netze werden häufig für die Prozessautomatisierung, die Fernsteuerung automatisierter Anlagen oder für den Betrieb mobiler Roboter und fahrerloser Transportfahrzeuge eingesetzt. Das Mess-Team geht davon aus, dass sich diese privaten Netze flexibler für die jeweiligen Zielanwendungen anpassen lassen. Dann wäre die erzielte Latenz ein zentraler Parameter.
Für die Auswertung der Ergebnisse nutzte das Team eine Box-Plot-Darstellung. Diese „Kastengrafiken“ eignen sich zur Veranschaulichung der Verteilung von Messdaten.
Sie zeigen die zentrale Tendenz (Median, Mittelwert, Modus) sowie die Streuung der Daten. Zudem lassen sich Ausreißer in Datensätzen schnell identifizieren, um sie für die Auswertung herauszunehmen.
Meik Kottkamp, Principal Technology Manager, Rohde & Schwarz München