Über das Internet der Dinge werden bereits Millionen von Maschinen, Geräten und Sensoren vernetzt. Aus verschiedenen Gründen, wie zu hohen Kosten oder Störanfälligkeit, waren einige Netzwerkszenarien mit den bisherigen Funkstandards jedoch nicht möglich. Das soll sich mit NR+ nun ändern.
Das Internet der Dinge gilt als Nervensystem der Digitalisierung und ist in vielen Unternehmen und Behörden nicht mehr wegzudenken. Das rasant wachsende IoT-Ökosystem umfasst alles: Maschinen, Geräte, Sensoren sowie Fahrzeuge aller Art. Auch kritische Infrastrukturen etwa zur Wasser- und Stromversorgung werden über das Internet der Dinge überwacht und gesteuert. Doch mit den bisherigen IoT-Standards wie LTE-M, LoRa oder NB-IoT lassen sich längst nicht alle Vernetzungsszenarien verwirklichen. Mit dem neuen IoT-Standard NR+ soll sich das ändern. Dank einer Topologie ohne Funkzellen und deutlich geringerer Latenzen sowie Kosten sollen damit nun nun viele weitere Vernetzungslösungen möglich werden.
Als NR+ (New Radio plus) wurde der neue IoT-Standard von der ITU (International Telecommunication Union) heuer als vierter 5G-Standard verabschiedet. Damit ist NR+ die erste anerkannte nicht-zellulare 5G-Technologie weltweit. Der Standard – der auch als DECT-2020 bezeichnet wird – basiert auf dem seit Jahrzehnten etablierten DECT-Funk1, unterscheidet sich aber technisch wie konzeptionell erheblich von DECT sowie von allen anderen 5G-Standards.
Noch steckt NR+ in den Kinderschuhen, doch die Fähigkeiten des neuen IoT-Standards wecken schon heute Begehrlichkeiten in der Industrie, in Versorgungsunternehmen und in vielen anderen Unternehmen und Behörden. Die geringen Kosten, die lizenzfreie Nutzung sowie die Skalierbarkeit und Stabilität der Vernetzung beeindrucken die Verantwortlichen der ITU ebenso wie die potenziellen Anwender.
Die Topologie eines NR+ Netzes besteht ausschließlich aus zahlreichen einzelnen Netzwerkelementen (Nodes) und unterscheidet sich so grundlegend von der Netzwerk-Architektur bekannter 5G-Standards wie 5G LTE-M und NB-IoT. Es gibt bei NR+ keine Funkzellen und keine proprietären Funkprotokolle. NR+ ermöglicht den Aufbau eines dezentralen Funknetzes ohne weitere Infrastruktur wie Funkzellen oder Basisstationen. Jeder Teilnehmer (Nodes) ist gleichberechtigter Teil eines Mesh-Netzes, das sich beim Ausfall einer Komponente automatisch mit anderen Teilnehmern verbindet. Einen Single-Point-of-Failure soll es bei NR+ somit nicht geben. Das Netzwerk baut wie das menschliche Nervensystem automatisch neue Verbindungen auf und ist so bestens geschützt vor Störungen und Sabotage.
Ein weiterer Vorteil von NR+ sind die geringen Kosten für den Aufbau und die Pflege des Netzwerks. Im Vergleich zu Mobilfunk-Komponenten sollen NR+ Netzwerke sowohl in der Anschaffung und Installation als auch im Betrieb deutlich günstiger sein. Laut Wirepas, einem Spezialisten für IoT-Vernetzungen, soll NR+ im Vergleich zu den drei anderen 5G-Funkstandards nur ein Zehntel kosten. Auf Grund der lizenzfreien Nutzung der Frequenzen (1,9 GHz) ergäben sich neben der Wartung und Pflege keine weiteren Gebühren. Der schnelle Aufbau und die geringen Kosten sollen auch Vernetzungen ermöglichen, die sich mit den bisherigen Lösungen nicht rentieren, da sie schlichtweg zu teuer wären.
Ein entscheidendes Argument für den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit des neuen NR+ Standards in der professionellen IoT-Anwendung ist die Skalierbarkeit des Netzwerks. In einem Youtube-Video2 beschreibt der norwegische Halbleiterhersteller Nordic Semiconductor eine nahezu unendliche Verdichtung am Beispiel von Straßenlaternen. Auf einem Quadratkilometer könne man mit NR+ 100 Geräte wie Straßenlaternen vernetzen – oder auch eine Million. In der Praxis wird das eher nicht nötig sein. Und genau daran zeigt sich, dass wirklich jedes von Anwendern gewünschte Szenario mit NR+ verwirklicht werden kann. Der neue 5G-Standard bildet also die perfekte Basis für eine komplexe Kommunikation zwischen allen denkbaren Maschinen, Geräten, Sensoren und Fahrzeugen: vom Verkehrs-Management und der Parkplatzsuche über das Abfall-Management der Müllabfuhr bis hin zur smarten Energiespeicherung – und einer Million anderer Anwendungsszenarien.
Tillmann Braun, freier Journalist und Kommunikationsberater
1 https://www.etsi.org/newsroom/press-releases/1988-2021-10-world-s-first-non-cellular-5g-technology-etsi-dect-2020-gets-itu-r-approval-setting-example-of-new-era-connectivity
2 https://www.youtube.com/watch?v=QGxnUh3jCg4