Open RAN

Revolution im Mobilfunknetz

9. März 2023, 13:30 Uhr | Autor: Michael Bindner / Redaktion: Lukas Steiglechner
Mobilfunkwellen
© kinwun / 123rf

Funkzugangsnetze bilden das Rückgrat des Mobilfunks. Telekommunikationsanbieter waren beim Aufbau dieser Netze immer abhängig von proprietären Herstellerlösungen. Der Ansatz Open RAN soll hingegen eine dynamische Architektur schaffen, die herstellerübergreifend arbeitet.

Die Verfügbarkeit des Mobilfunknetzes ist mittlerweile eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Täglich nutzen Milliarden von Menschen diese Möglichkeit des Datenaustauschs. Damit die Datenpakete gesendet und empfangen werden können, kommen standardisierte Übertragungstechnologien wie UMTS (Universal Mobile Telecommunications System), dem sogenannten 3G Netz, oder LTE (Long Term Evolution), dem 4G Netz, zum Einsatz. Mithilfe von Funksignalen wird die Verbindung zwischen den Basisstationen und den mobilen Endgeräten wie Laptops oder Smartphones hergestellt. Beim Aufbau des neuen Mobilfunkstandards 5G, der erhöhte Netzwerkgeschwindigkeiten und Echtzeit-Kommunikationsmöglichkeiten verspricht, setzen die Netzverantwortlichen nun erstmals auf offene Netzwerkarchitekturen sowohl im Bereich der Software wie auch bei der Hardware.

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Was sind RANs und wie sind sie aufgebaut?

Um die Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen besser zu verstehen, muss zunächst der technische Aufbau der Netze verstanden werden. Das mobile, drahtlose Netzwerk besteht aus zwei Teilen: dem Kernnetzwerk (Core) und dem Radio Access Network (RAN).

Der Core-Bereich erfüllt verschiedene Funktionen. Er verbindet die Nutzer über das Internet mit der Welt und bietet Zugangskontrollen, die sicherstellen, dass die Nutzer für die von ihnen genutzten Dienste authentifiziert sind. Er leitet Telefongespräche über das öffentliche Telefonnetz weiter und ermöglicht den Betreibern, Gebühren für Anrufe und Datennutzung zu erheben. Außerdem steuert er die Netzverbindung, indem er Übergaben ermöglicht, während sich ein Nutzer vom Netz eines RAN-Funkturms zum nächsten bewegt.

Das RAN ist der sichtbare Teil des Netzwerks, er umfasst Radioantennen, Funktürme, die Sende- Empfangstechnik der Endgeräte sowie die benötigte Software. Im RAN wird die Verbindung zwischen dem Netzwerk und dem Mobiltelefon hergestellt. Dabei unterscheidet sich der technische Aufbau der Komponenten zwischen den verschiedenen Mobilfunkgenerationen.

Das Grundkonzept des Open RAN ist in verschiedene Funktionsblöcke unterteilt. Die Radio-Einheit (Radio Unit, RU), übernimmt die Aufgabe des Sendens und Empfangens der Daten. Zudem verstärkt es die Funksignale der verwendeten Frequenzbänder. Die Verteiler-Einheit (Distributed Unit, DU) und die Zentral-Einheiten (Central Unit, CU) sind Bestandteile der Basisstationen. Sie leiten die Signale in das Kernnetz (Core) weiter.

Herstellerübergreifender Mobilfunk

Im Open RAN sollen die Funktionsblöcke über standardisierte, herstellerunabhängige Schnittstellen und Protokolle miteinander kommunizieren. Bisher war dies unüblich, da sich die Telekommunikationsanbieter zuvor beim Aufbau der bestehenden Netze wie 3G oder 4G bereits im Vorfeld auf einen Anbieter festlegen mussten. Dieser lieferte sämtliche benötigte Hard- und Softwarekomponenten und aufgrund der proprietären Schnittstellen war eine Kombination mit Wettbewerbsprodukten unmöglich. Auch war es bei solch geschlossenen Systemen notwendig, mit jeder neuen Mobilfunkgeneration die gesamte Technik auszutauschen oder parallel aufzubauen. Dies verursachte enorme Kosten bei den Betreibern. Fehlender Wettbewerb und große Abhängigkeit, auch im Bereich des Service, führten dazu, dass die bisherige Architektur vor allem für die Hersteller, nicht aber für die Betreiber, lukrativ war. Auch aus technischer Sicht hatte der bisherige Ansatz seine Schwächen. So mag die Hersteller-Expertise zum Beispiel für Komponenten im Bereich Routing exzellent sein, doch im Bereich der Stromverteilung und Absicherung des Routers gibt es eventuell andere Lösungen oder Anbieter, die besser geeignet wären, aber aufgrund der Herstellergebundenheit nicht einsetzbar waren.

Die Problematik der fehlenden Interoperabilität hat dazu geführt, dass sich eine Vielzahl an Telekommunikations- und Internetanbietern zur O-RAN Alliance zusammengeschlossen hat. Ihr erklärtes Ziel ist es, der Herstellerabhängigkeit entgegenzutreten und offene Schnittstellen zwischen den einzelnen Komponenten zu definieren. Dabei wird eine Trennung von Hardware und Software angestrebt. Ähnlich wie beim Cloud-Computing wird ein Software-definierter Ansatz angestrebt. Eine universell nutzbare Hardware soll also mittels eingespielter Software für viele unterschiedliche Funktionen verwendet werden können. Hierzu werden die bisher verwendeten Single-Purpose-Prozessoren, die auf eine spezielle Anwendung optimiert sind, durch General-Purpose-Prozessoren ersetzt. Die offene Gestaltung der Hard- wie auch Softwareschnittstellen erlaubt es dann, die passendsten Komponenten miteinander zu kombinieren. Damit ist der Aufbau von herstellerneutralen Netzen möglich. Technische Probleme, die sich aus dem Single Source ergeben, können somit reduziert werden und der gesunde Wettbewerb kann die Kosten des Netzausbaus senken. Der sogenannte Single-RAN-Ansatz geht sogar noch eine Stufe weiter. Hierbei sollen alle Mobilfunkstandards mit einem Modul abgedeckt werden. Das führt dazu, dass der kostspielige und aufwändige Betrieb paralleler Strukturen für 3G, 4G und 5G vermieden werden kann.

Doch es gibt nicht nur Befürworter des Open-RAN-Ansatzes. So wird darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Open-RAN-Vereinigungen keine Standardisierungs-Gremien im klassischen Sinne sind. Entsprechend werden Probleme mit herstellerspezifischer Interpretation vorhergesagt. Auch bleibt fraglich, ob die großen Player Interesse daran bekunden, kleineren Marktteilnehmern den Markt zu öffnen. Dem Vorteil der Kostensenkung wird das Handling einer großen Zahl an kleinen Lieferanten entgegengestellt. Der Wegfall der Fokussierung auf einen Anbieter könnte somit zwar zu niedrigeren Kosten für die Komponenten führen, jedoch steigen die tatsächlichen Total Costs of Ownership aufgrund des Managements der vielen Lieferanten.

Status Quo – Open RAN im Feldtest

Deutsche Mobilfunkbetreiber sind derzeit in Tests zur Tauglichkeit des Open-RAN-Ansatzes. So hat die Deutsche Telekom in Neubrandenburg die sogenannte O-RAN Town gebaut, in der bis zu 25 Standorte Massive-Mimo Funkeinheiten im Live-Betrieb testen. Telefónica unternimmt in Landsberg am Lech einen Pilotversuch und Vodafone führt ebenfalls Tests in Plauen durch. Einen Schritt weiter ist hier bereits die United Internet Tochter 1&1. Zusammen mit dem japanischen Generalunternehmen Rakuten wird ihr gesamtes deutsches 5G Netz im Sinne des Open-RAN-Ansatzes aufgebaut.

Open RAN stellt eine interessante Möglichkeit dar, ein herstellerunabhängiges Netz mit offenen Schnittstellen aufzubauen. Neue Anbieter könnten den Netzbetreibern zum einen durch mehr Wettbewerb kostengünstigere Komponenten anbieten, zum anderen wären die Betreiber in der Lage für jede Komponente den technischen Spezialisten ihrer Wahl einzusetzen. Aufgrund der Verfügbarkeit einer Vielzahl an Herstellern könnte der Ausbau des Mobilfunknetzes trotz der derzeitigen Lieferkettenproblematik zeitlich beschleunigt werden. Schlussendlich wird die Zeit zeigen, ob sich Open RAN durchsetzen kann und welche Auswirkungen es tatsächlich auf den Netzausbau in Deutschland und weltweit hat.

Michael Bindner, Produktmanager Communication Systems bei E-T-A


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