Apps bestimmen längst den Nutzwert eines jeden Smartphones. Bald werden sie auch den Nutzwert eines Autos dominieren. Eine Herausforderung für die Autohersteller und ihre Zulieferer, denn mit der Software dringen immer mehr Drittanbieter ins Fahrzeug. Doch was bedeutet das für Kunden und Hersteller?
Der Artikel liefert unter anderem Antworten auf folgende Fragen:
Es sind veritable trojanische Pferde, die dabei sind, in das bisherige Hoheitsgebiet der Autobauer einzudringen. Apps wie Spotify, Google Maps und andere digitale Dienste von Drittanbietern sind für den Autonutzer inzwischen ein „must have“. Sie bedrohen damit die bislang unangefochtene Vormachtstellung der Hardware-Lieferanten über das Dienste-Portfolio und Apps im Auto. Bisher waren Benutzeroberfläche und Dienste im Fahrzeug fest in Hand der Autobauer. Inzwischen aber gewinnen Apple CarPlay und Android Automotive zunehmend an Boden. Damit ist es für einzelne App-Entwickler oder Zulieferer aus der ersten und zweiten Reihe (T1, T2) möglich, im Fahrzeug präsent zu sein und personalisierte Dienstleistungen anzubieten. Vor ein paar Jahren noch undenkbar. Die Parallelen zum Smartphone sind unübersehbar:
Das Fahrzeug wird zur Hardware-Basis für Software-Anbieter. Der konkrete Funktionsumfang und die Wertschöpfung verschieben sich mehr und mehr in Richtung softwaregetriebene Anwendungen und Dienstleistungen. |
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Im Wesentlichen sind es drei Bereiche, in denen Software im Auto künftig das Geschehen bestimmt:
Bei den Fahrerassistenzsystemen sind die Fahrzeughersteller aktuell noch im Vorteil: Hier greifen die gefragten Apps tief ins Auto ein – sie agieren mit Sensoren und Aktoren, die als Hardware im Fahrzeug verbaut sind, und nutzen Daten, die der Hersteller zur Verfügung stellt. Eine tiefe Kenntnis der E/E-Architektur und jahrzehntelanges Wissen, was die Absicherung von Systemkomponenten angeht, steht auf der „Habenseite“ der Automobilbauer. Attackiert werden sie allerdings von Digital Playern wie Waymo, die mit weit reichenden Kompetenzen im Bereich Künstliche Intelligenz, Big Data, Simulation, APIs oder Erfahrungen im App Store punkten.
Doch gerade beim autonomen Fahren wird es auch hier zu begleitenden Anwendungen kommen, die es zum Teil heute schon gibt und die sich als Spielwiese für Drittanbieter empfehlen – automatische Abrechnungssysteme für Maut, Parkgebühren oder E-Tankstellen etwa, oder individualisierte Navigationsdienste, die sich an den Präferenzen des Nutzers orientieren. Marktkenner gehen davon aus, dass Fahrerassistenzsysteme, aber auch andere softwaregestützte Dienste boomen werden, sobald das teil-autonome Fahren auf Level 3 (hochautomatisiertes) und 4 (vollautomatisiertes Fahren) zum Massenmarkt wird. Denn wenn die Kontrolle auf das Fahrzeug übergeht, sind nicht nur erweiterte Assistenzsysteme vonnöten. Der oder die Fahrerin hat auch die Möglichkeit, im Auto Systeme zu nutzen, die etwa der Unterhaltung dienen oder sonstigen Nutzen entfalten.
Jedenfalls sind die Softwareschmieden weltweit dabei, unter Hochdruck Apps dafür zu entwickeln und in den Markt zu bringen: Infotainment im weitesten Sinne, mobile Büroanwendungen, E-Commerce-Marketing-Instrumente und andere digitale Dienste. Neben Smartphone, Tablet, Laptop oder Smart-TV wird das Fahrzeug als nächster Touchpoint ausgestattet mit einem hochwertigen Screen. Für Millionen von Usern, die ihre Zeit während der Fahrt aktiv nutzen möchten.
Dass Tesla nicht nur mit nutzbringenden Anwendungen die Nase vorn hat, sondern auch mit Spielereien, überrascht nicht. So gibt es beispielsweise eine ganze Reihe von Gimmicks, die in den Tiefen der Onboard-Software versteckt sind. Etwa die sogenannten „Easter Eggs“, die man sonst nur von Computerspielen kennt. So findet sich dort der „Romance Mode“ – mit Kaminfeuer auf dem Display, warmer Luft aus der Heizung und passender Musik. Der „Santa Mode“ taucht den Tesla in weihnachtliche Stimmung, und das Furzkissen produziert Flatulenzen – erfreulicherweise nur als Geräusch.
Arbeiten während der Fahrt ohne die Hände vom Lenkrad zu nehmen – diese Möglichkeit bietet Mercedes mit seinem „In-Car Office“-Service. Das System liest beispielsweise E-Mails vor und erstellt Mails per Sprachbefehl, es erinnert an Telefonkonferenzen und wählt sich automatisch in das nächste Online-Meeting ein.
Interessant für sportliche Fahrer: die „AMG Track Pace“. Die App misst alle Details der Fahrperformance, erfasst die Fahrzeit „bis auf die Zehntelsekunde genau und ermittelt gleichzeitig bis zu 80 fahrzeugspezifische Daten“, heißt es in der Beschreibung. Damit man immer informiert ist, wie es um die fahrerische Performance steht. Oder die „Energizing“ Programme, vor allem gedacht für längere Fahrten. Sie dirigieren die im Fahrzeug verbaute Komfortausstattung wie Klimaautomatik, Ambientebeleuchtung und Musikanlage mit dem Ziel, Fahrerin oder Fahrer gezielt zu vitalisieren. Anhand von Fahrt- und Fahrzeugdaten wie Verkehrslage oder Wetter schlägt der Energizing Coach außerdem ein passendes Fitness- oder Wellness-Programm vor.
Fußballfans kommen mit der App „We Score“ von Volkswagen auf ihre Kosten: Einfach bis zu drei Vereinsmannschaften und ein Nationalteam einstellen, und die App liefert Live-Ticker, Tabellenstände und aktuelle News. Auf Wunsch liest die App alle Informationen auch vor.
Neben unzähligen Gaming- und Infotainment-Angeboten gibt es immer mehr Apps, die den E-Commerce ins Auto holen. Da kann ein neu eröffnetes Restaurant Parkplätze reservieren und automatisch übers Navi ansteuern lassen und per Display einen Begrüßungsdrink offerieren. Oder ein Einkaufszentrum lockt mit einem exklusiven Angebot einschließlich vergünstigter E-Lademöglichkeit und automatischer Zielnavigation.
Es ist wie mit den Smartphones: Der Fantasie der App-Entwickler sind keine Grenzen gesetzt. Und es sieht ganz danach aus, als müssten die Autobauer um ihre Dominanz im Auto kämpfen. Dies umso mehr, als sich bereits abzeichnet, dass viele digitale Dienste in Zukunft nicht mehr ans Fahrzeug gebunden sein werden sondern an die Person, die sie nutzt. |
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Per Software zubuchbare Dienste wie Sitzheizung, höhere Motorleistung oder stärkere Batterien werden auch dem Gebrauchtwagenmarkt neue Impulse geben. So gilt heute als die größte Akzeptanzhürde für solche Dienste, dass der Neuwagenkäufer immer das Gefühl hat, er bezahlt für Dinge, die sein Auto schon hat, die er aber nur gegen weitere Kosten nutzen kann. Kauft man künftig einen Gebrauchten, wird genau das zum Verkaufsargument – der Käufer entscheidet, was sein nächstes Fahrzeug können soll und gegebenenfalls sogar, wann er dieses oder jenes Feature nutzen will. Früher wäre eine fehlende Sitzheizung ein K.O.-Kriterium gewesen. Heute lässt sie sich nachbuchen. Software macht´s möglich.
Über personifizierte Apps denken inzwischen auch einige Kfz-Versicherer nach: kostenlose „Driver Packages“, die dem Versicherungsnehmer sicherheitsrelevante Funktionen und Informationen bieten. Erfüllen sie ihren Dienst, reduzieren sie das Unfallrisiko und sparen damit dem Versicherten Ärger und dem Versicherungsunternehmen Geld. Eine klassische Win-Win-Situation. Dass softwaregetriebene Funktionen definitiv mehr sind als nur nette Add-Ons, zeigt der digitale Schlüssel. Er ist das zentrale Element, um der modernen Mobilität neue Möglichkeiten zu eröffnen.
So können Carsharing-Anbieter, aber auch Privatleute ihr Fahrzeug problemlos vermieten. Der digitale Schlüssel macht nicht nur die physische Schlüsselübergabe obsolet, er lässt sich auch fast beliebig mit speziellen Merkmalen versehen: Der Vermieter kann eine bestimmte Höchstgeschwindigkeit ebenso vorgeben wie die Region, in der das Auto zu bleiben hat. Und wer am Sonntag eine Testfahrt mit seinem potenziellen Neufahrzeug unternehmen will, bekommt vom Händler einfach den digitalen Schlüssel mit dem vereinbarten Zeitfenster, innerhalb dessen das Auto verfügbar ist. Fertig. Kurz: Mit dem digitalen Schlüssel lässt sich detailliert festlegen, was die Fahrerin/der Fahrer mit dem Auto darf und was nicht. Und für die Abrechnung protokolliert die Software alle relevanten Daten, gegebenenfalls inklusive Tankentgelt, Park- und Mautgebühren, und stellt sie dem Vermieter in Echtzeit zur Verfügung.
Wasser auf die Mühlen des Carsharing und des digitalen Schlüssels sind die steigenden Kosten fürs Autofahren und die beengten Verkehrsverhältnisse in Ballungsgebieten. Sie sorgen fast automatisch für ein steigendes Bedürfnis danach, ein Auto nicht mehr zu besitzen, sondern nur bei Bedarf zu nutzen. Der digitale Schlüssel kommt genau diesem Bedürfnis entgegen.
Wie aber können die Automobilbauer konstruktiv mit den trojanischen Softwarepferden umgehen? Wahrscheinlich ist eine Hybrid-Strategie am ehesten geeignet, das Thema zu entschärfen. Einige der genannten Beispiele zeigen, dass sich diese Strategie offenbar durchsetzt: Die Autohersteller bauen massiv eigene Software-Kompetenz auf und investieren in ihr eigenes Betriebssystem und darin integrierte Anwendungen. Damit versuchen sie, sich gegen Google, Apple und App-Anbieter zu positionieren und nicht allzu sehr von ihnen abhängig zu werden. Auf der anderen Seite sieht man sich aber auch gezwungen einen Apple und Google App-Store zu integrieren. Schließlich bringen die beiden Plattformanbieter ein großes Portfolio an Apps mit, die der Kunde aktiv nachfragt und erwartet.
Für den Endkunden dürfte sich das als Vorteil erweisen. Denn bekanntlich belebt Konkurrenz das Geschäft – und der Endverbraucher kann sich aussuchen, was er zu welchen Konditionen nutzen will. Entscheidend wird auch hier sein: Durchsetzen werden sich die Apps, die den größten Nutzen bringen – oder einen emotional aufgeladenen Hype auslösen. Sicher ist: Software treibt den Wandel.