Smarte Zahnbürsten, Fitnessuhren, vernetzte Garagentore, Streaming-Accounts – überall hinterlassen wir digitale Spuren. Diese können professionellen ForensikerInnen einiges verraten. Aber nicht nur ihnen.
Smarte Zahnbürsten, Glühbirnen und Fitnessuhren, vernetzte Garagentore und Haustüren mit Videoerkennungssystemen, personalisierte Social-Media-Profile und Streaming-Accounts – überall hinterlassen wir im heutigen Alltag digitale Spuren. Das gilt auch für TäterInnen – und freut professionelle ForensikerInnen, die mittlerweile über einen Fuhrpark an hochtechnologisierten Instrumenten und Computerverfahren verfügen, um an diesen neuen Medientatorten zu ermitteln. So können sie ganze Tatorte dreidimensional einscannen und virtuell begehbar machen, Sensoren von smarten Kühlschränken und Lichtsystemen auslesen und damit Tathergänge exakt rekonstruieren. In seinem Buch „Medien der Forensik“ gibt Prof. Dr. Simon Rothöhler Einblicke in derartige Verfahren. Darüber hinaus nimmt der Medienwissenschaftler auch populäre forensische Praktiken unter die Lupe. „Serien-Franchises wie CSI oder zuletzt vor allem True-Crime-Formate, die oftmals Forensik-Anteile enthalten, sind gerade auf Streaming-Plattformen sehr beliebt. Zivilgesellschaftliche Investigativagenturen wie Bellingcat oder Forensic Architecture arbeiten ebenfalls forensisch – an der Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus. Forensik begegnet uns überall im Alltag“, so Rothöhler
Die Investigativportale Bellingcat und Forensic Architecture |
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Die Recherchenetzwerke Bellingcat und Forensic Archticture sammeln forensische Gegenbeweise zur staatlichen Forensik und Informationspolitik. Im Fokus steht die forensische Aufklärung von Kriegsverbrechen (zum Beispiel in Syrien, Ostukraine), Menschenrechtsverletzungen und Finanzkriminalität. Dazu setzen sie auf Open-Source-Intelligence, also Informationen, Bild- oder Videomaterial aus frei verfügbaren Quellen. Ihre Funde bereiten sie kreativ für Ausstellungen auf oder stellen sie NGOs, zivilen Opfern etc. in Gerichtsverhandlungen zur Verfügung. |
Doch zunächst zur institutionellen forensischen Praxis: Was tun professionelle ForensikerInnen, und was verstehen sie unter Medien? „Forensikerinnen und Forensiker sind zunächst staatliche und staatsnahe Akteure, die von Kriminaldienststellen und Staatsanwaltschaften aufgefordert werden, sich an der Aufklärung und Analyse krimineller Handlungen zu beteiligen“, erklärt Rothöhler, der sich für einen medien- und wissensgeschichtlichen Zugang zur Forensik interessiert. Bei der forensischen Ermittlungsarbeit spielen Medien an verschiedenen Stellen eine Rolle: von dem Moment an, an dem die Profis einen Tatort betreten und das sogenannte Spurenbild fotografisch oder lasermesstechnisch dokumentieren, über die Untersuchung der Proben in den Laboren, wenn digitale Vergleichsbibliotheken über Computernetzwerke abgerufen werden, bis zu den Auftritten forensischer Sachverständiger vor Gericht, wo die Befunde auch für Laien verständlich aufbereitet, dargestellt und kommuniziert werden müssen.
„Forensik ist als institutionelle Praxis um die Untersuchung von Spuren gebaut. Die Spur steht also im Zentrum“, so der Medienwissenschaftler. Dabei kann die Spur in gewisser Weise selbst schon als Mediator verstanden werden, denn sie ist nicht die Sache selbst, sondern etwas Vermittelndes, ein Handlungsrest, etwas, das übriggeblieben ist und rückwärts ausgelesen werden muss. „Es gibt also einerseits Spuren, die so gesehen Medien sind und als Reste eine Verbindung zu vergangenen Zeiträumen herstellen, und andererseits technische forensische Medien, die sich besonders gut dazu eignen, Spuren auszulesen“, fasst Rothöhler zusammen.
Blut, Haare, Speichelreste, Reifenabdrücke – es gibt eine Vielzahl materieller Spuren und damit auch viele Sachverständigengebiete. „In dieser Liste taucht Medientechnik als explizites Sachverständigengebiet erst recht spät auf“, weiß Rothöhler. Mit der Digitalisierung änderte sich das. „Die digitale Dimension von Tatorten wird heute von der institutionellen Forensik intensiv in den Blick genommen“, erzählt der Medienwissenschaftler. Denn mit der Digitalisierung des Alltags kommt es zu einem enormen Aufkommen an digitalen Spuren und Daten. Fast jede Handlung, jede Kommunikation, jedes Telefonat, jede Interaktion ist heute mit einer informationstechnischen Spur verbunden. „Es ist relativ schwierig, sich durch die Gegenwart zu bewegen und nicht ständig sensorisch erfasst zu werden oder sonstige digitale Spuren zu hinterlassen. Tracking und Tracing sind überall“, so Rothöhler.
Fast jede Handlung, jede Kommunikation, jedes Telefonat, jede Interaktion ist heute mit einer informationstechnischen Spur verbunden.
Damit bezieht sich der Medienwissenschaftler vor allem auf Geräte jenseits der klassischen Überwachungssysteme, wie beispielsweise Smartphones oder auch intelligente Kühlschränke, Lautsprecher oder Heizsysteme. All diese Alltagsgeräte haben Netzwerkzugang und speichern Daten, die wiederum forensisch ausgelesen werden können. „Der Begriff Medienforensik umfasst nicht nur Medien im engeren Sinne, wie etwa Tonaufnahmen und Bilder, sondern alles, was um den vernetzten Computer herum gebaut ist und als Internet der Dinge bezeichnet wird“, erklärt Rothöhler. Und tatsächlich hat es Fälle gegeben, in denen Forensikerinnen und Forensiker einen Mörder mithilfe der Sensoren eines smarten Kühlschranks erfassen und schlussendlich überführen konnten. „Digitale Medien sind sehr viel weniger flüchtig als gemeinhin angenommen. Das Digitale ist auch kein Reich des Immateriellen. Daten sind immer irgendwo physisch gespeichert. Für Festplatten und auch andere Speicherformen gilt: Vermeintlich Gelöschtes ist oft leicht rekonstruierbar.“ Diese Eigenschaft macht sich vor allem die Computerforensik als zunehmend wichtiges Teilgebiet der professionellen Medienforensik zunutze.