Zwar hat die Corona-Pandemie einen wahren Digitalisierungsschub ausgelöst, paradoxerweise aber auch zu einer neuen Spaltung der Bevölkerung beigetragen. Denn profitiert haben vor allem höherqualifizierte Beschäftigte, die ihre Arbeit im Homeoffice erledigen konnten. Ein Kommentar von Dell.
Rund 8,5 Millionen Menschen in Deutschland sind „Offliner“, nutzen also das Internet nicht. In der Gruppe der Menschen mit niedrigem Bildungsgrad sind es sogar knapp ein Drittel, wie der vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte D21-Digital-Index für 2020/20211 zeigt. Der Hauptgrund: Die Befragten sehen für sich keinen Vorteil oder finden Internet und Co. grundsätzlich zu kompliziert. Das ist fatal – denn die digitale Teilhabe wird in unserer Gesellschaft immer stärker auch zur gesellschaftlichen Teilhabe sowie zur Voraussetzung für den sozialen Aufstieg.
Zwar hat die Corona-Pandemie einen wahren Digitalisierungsschub ausgelöst, paradoxerweise aber auch zu einer neuen Spaltung der Bevölkerung beigetragen. Denn profitiert haben vor allem höherqualifizierte Beschäftigte, die ihre Arbeit im Homeoffice erledigen konnten. Gerade Kinder trifft diese Polarisierung nach Bildung und Einkommen besonders stark: Wer zuhause keine passende Ausrüstung und keine Unterstützung hatte, wurde durch den digitalen Fernunterricht abgehängt. Dass sich daran eigentlich nichts geändert hat, belegt eine Studie der Universität Göttingen, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Sommer 2021 vorgestellt hat. Demnach steht in vielen Schulen nach wie vor weder das technische Equipment bereit, noch erwerben Schüler digitale Kompetenzen, die für ihren weiteren Weg notwendig sind.
Fakt ist: Besonders Ältere, Nichtberufstätige und Menschen mit niedrigem Bildungsniveau oder Migrationshintergrund haben vom digitalen Fortschritt weit weniger als der Bevölkerungsdurchschnitt profitiert. Wenn wir keine Zweiklassengesellschaft riskieren wollen, müssen wir dringend an mehreren Punkten ansetzen.
In ihrem Koalitionspapier hat die neue Bundesregierung zahlreiche Digitalisierungsmaßnahmen auf die Agenda gesetzt, die nun allerdings so schnell wie möglich realisiert werden müssen. Das schließt zunächst einmal den allgemeinen Zugang zu Lösungen und Technologien inklusive einer flächendeckenden Verfügbarkeit von Glasfaser und dem neusten Mobilfunkstandard 5G ein. Um die Modernisierung des Bildungswesens voranzutreiben, sollen zudem das Antragsverfahren für den Digitalpakt Schule vereinfacht und beschleunigt sowie die Fördermöglichkeiten ausgebaut werden. Nur so können alle Schulen in die Lage versetzt werden, Präsenzunterricht und E-Learning zu Hause miteinander zu verbinden. Ein guter Schritt sind auch das millionenschwere Sofortausstattungsprogramm zur Anschaffung von digitalen Endgeräten für bedürftige Schülerinnen und Schüler sowie das Vorantreiben offener Unterrichtsbausteine wie Lernpodcasts.
Die Technologiebranche muss hin und wieder die eigene „Bubble" verlassen und die Augen für die Bedürfnisse der weniger digital-affinen Menschen öffnen. Das Ziel sollten immer Lösungen sein, die individuelle Interessen so konkret wie möglich abdecken und so auch Lust auf Digitalisierung machen. |
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Natürlich muss die Weiterbildung aller Menschen stärker gefördert werden. Nur wer durch Qualifizierung auf die digitale Arbeitswelt und die digitale Zukunft ganz allgemein vorbereitet ist, findet sich in dieser zurecht. Gleichzeitig müssen Services – etwa bei digitalen Behördengängen – niedrigschwellig und praktikabel sein, da sie ansonsten nicht genutzt werden. Auch hier hat sich die neue Bundesregierung viel vorgenommen: Die Weiterentwicklung des Onlinezugangsgesetzes (OZG), automatisierte Bürgerservices wie die Auszahlung der Kindergrundsicherung oder das Once-Only-Prinzip, also ein elektronischer Personalausweis, der universell einsetzbar ist, werden Behördengänge vereinfachen.
Wie die Zukunft aussehen kann, zeigt ein Blick auf bereits vorhandene digitale Technologien im Bereich Telemedizin, die bislang aber viel zu wenig genutzt werden. So können Ältere mit Hilfe von Assistenzsystemen, die Grenzwerte bei biometrischen Daten erkennen oder Warnungen bei Stürzen abgeben, länger autonom in den eigenen vier Wänden leben. Ersthelfer können unter Anleitung von spezialisierten Chirurgen und Diagnostikern effiziente Maßnahmen zur Lebensrettung anwenden, bevor der Patient überhaupt das Krankenhaus erreicht. Telemedizin ermöglicht zudem ein kontinuierliches Monitoring von chronisch Erkrankten und stellt in ländlichen Regionen die Behandlung sicher. Denn dort ist die räumliche Distanz zwischen Praxis und Patient in der Regel viel größer als in urbanen Ballungsräumen – besonders, wenn ein Besuch beim Facharzt notwendig ist.
Damit künftig alle Menschen, unabhängig von Alter, Einkommen, Bildung oder Herkunft, von solchen Anwendungen profitieren, sind allerdings das Wissen über die Vorteile und ein einfacher Zugang unabdingbar. Das bedeutet auch, die Technologiebranche muss hin und wieder die eigene „Bubble“ verlassen und die Augen für die Bedürfnisse der weniger digital-affinen Menschen öffnen. Das Ziel sollten immer Lösungen sein, die individuelle Interessen so konkret wie möglich abdecken und so auch Lust auf Digitalisierung machen.
Die Zeit ist reif für einen tiefgreifenden Wandel Deutschlands. Die neue Bundesregierung hat sich in puncto Digitalisierung viel vorgenommen – ob und wie schnell die entsprechenden Punkte des Koalitionsvertrags umgesetzt werden, müssen nun die kommenden Monate zeigen. Ich bin auf jeden Fall zuversichtlich, dass wir die digitalen Nachzügler an Bord holen können.
1 https://initiatived21.de/d21index20-21/