Im September 2021 wurde Kyndryl von IBM IT Infrastructure Services ausgegliedert. „Man könnte uns als das größte Start-up der Welt beschreiben“, sagt CTO Stephan Hierl. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass der Kundenstamm dieses „Start-ups“ 75 der Fortune-100-Unternehmen umfasst.
funkschau: Warum wurde Kyndryl als Spin-Off von IBM überhaupt gegründet?
Stephan Hierl: Dieser Schritt bedeutet für uns in erster Linie mehr Freiheit und Autonomie. Wir können nun viel mehr auf Länderebene entscheiden, was es uns erlaubt, schneller und flexibler auf Kundenbedürfnisse zu reagieren. Insgesamt streben wir eine agilere Organisationsstruktur mit flacheren Hierarchien an. Die gewonnene Autonomie schlägt sich natürlich auch in unserem Partnergeschäft nieder, wo wir seither völlig frei agieren können.
Kunden haben beispielsweise Präferenzen für den einen oder den anderen Hyperscaler, wenn sie Cloud-Projekte angehen. Als Kyndryl sind wir hier nicht an bestimmte Angebote gebunden, sondern können ganz individuell auf Kundenwünsche eingehen. Partnerschaften pflegen wir mit den großen drei der Cloud-Welt, Google, AWS und Microsoft, gleichermaßen. Auch darüber hinaus sind wir in der IT- und Software-Welt mit Allianzen, bis heute sind dies 27 Partnerschaften bestens vernetzt. Zu diesem Ökosystem gehören beispielsweise auch VMware und SAP. Neben unserer Erfahrung und Größe ist diese umfangreiche Vernetzung definitiv eine unsere Stärken.
Kyndryl hat sich außerdem aus den Grenzen der Infrastruktursparte befreit. Natürlich bleibt dieser Bereich enorm wichtig für uns, aber wir bieten nun auch weitreichendere Dienstleistungen an. So gehören Beratung und Co-Creation nun ebenfalls zu unserem Portfolio.
funkschau: Was bedeutet der Name Kyndryl?
Hierl: ‚Kyn‘ steht für kin (engl. Verwandtschaft) und ‚Dryl‘ für tendril (engl. Ranke) – zusammen ergibt das Kyndryl, was für gemeinschaftliches Wachstum mit Kunden steht. Die enge Beziehung zu Kunden ist bei uns nicht nur eine hohle Phrase, das belegen Verträge wie etwa mit Hapag Lloyd, die bereits über Jahrzehnte laufen. Beim Übergang von IBM zu Kyndryl haben wir daher auch auf eine möglichst hohe Kontinuität geachtet und Teams soweit wie möglich beibehalten.
funkschau: Sie haben angedeutet, dass Kyndryl über den klassischen IT-Betrieb hinauswachsen will. Wo liegen denn die Kernkompetenzen Ihres Unternehmens?
Hierl: Wir sind und bleiben natürlich auch in Zukunft ein Managed Service Provider. Der Betrieb von IT-Infrastrukturen für Kunden gehört weiterhin zu unseren wichtigsten Geschäftsfeldern, hier haben wir einen ungeheuren Erfahrungsschatz und globale Ressourcen. Kyndryl ist seit seiner Gründung der größte Anbieter von IT-Infrastrukturdienstleistungen. Unsere 90.000 Mitarbeiter weltweit betreuen 4.000 Kunden, die meisten von ihnen sind sehr große Unternehmen, darunter 75 der Fortune 100. Darauf können wir uns heute allerdings nicht ausruhen. In einer Welt, in der die Schlagworte Transformation und Disruption allgegenwärtig sind, müssen auch wir uns ständig weiterentwickeln.
Die Cloudifizierung erfordert neue Modi des IT-Betriebs und macht den Blick über den Tellerrand zwingend notwendig. Die Zeiten, in denen man Rechenzentren als isolierte Entitäten betrachten konnte, sind definitiv vorbei. Dieser veränderten Situation wollen wir durch eine neuartige Organisationsstruktur und neue Angebote Rechnung tragen: Innerhalb von Kyndryl haben wir die sechs verschiedenen Practices Cloud, Core Enterprise/ zCloud, Netzwerk, Digital Workplace, App/ AI/ Data und Security and Recovery geschaffen.
„Die Zeiten, in denen man Rechenzentren als isolierte Entitäten betrachten konnte, sind definitiv vorbei. [...] Innerhalb von Kyndryl haben wir die sechs verschiedenen Practices Cloud, Core Enterprise/ zCloud, Netzwerk, Digital Workplace, App/ AI/ Data und Security and Recovery geschaffen.“ |
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funkschau: Welche Lösungen bietet man für wen an?
Hierl: Das kommt natürlich ganz auf die Anforderungen unserer Kunden an. Im Cloud-Bereich arbeiten wir beispielsweise mit der Deutschen Bank zusammen, die ein langjähriger Kunde von uns ist und die wir nun bei ihrer Cloud-Transformation begleiten. Bei Symrise übernehmen wir die Standardisierung und Modernisierung der digitalen Arbeitsplätze. Unsere Netzwerk-Practice ist praktisch in alle Projekte involviert, da IT heute immer auch Vernetzung bedeutet.
Der Geschäftsbereich Core Enterprise/ zCloud richtet sich an Branchen und Unternehmen, die noch stark auf Mainframe-Umgebungen setzen, beispielsweise der Finanzsektor. Wir helfen hier dabei, Mainframe Workloads in die Cloud zu migrieren. Unser App/ AI/ Data-Bereich befasst sich mit Software, allen voran SAP und kommt daher für eine ganze Reihe von (potenziellen) Kunden in Frage. Ähnlich verhält es sich mit der Practice Security and Recovery – diese Bereiche haben ebenfalls für jedes digitale Unternehmen große Relevanz.
Was wir nun aber ganz konkret anbieten, hängt von der individuellen Situation beim Kunden ab, die wir zunächst genau analysieren. Wie gesagt sind wir für die Mehrzahl der Top-100-Unternehmen weltweit tätig – derartige Umsetzungen erfordern immer maßgeschneiderte Lösungen. Wir haben auch einen starken Fokus auf Co-Creation mit Kunden und Partnern. Unser entsprechendes Angebot nennt sich Kyndryl Vital und darauf sind wir in Deutschland besonders stolz. Wir haben das erste Team in diesem Bereich aufgebaut und konnten Ende Dezember in München das weltweit erste Kyndryl Vital Studio eröffnen. Damit schaffen wir einen echten physischen Ort für die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit. Zu unserem ganzheitlichen Ansatz gehört auch die eigene Beratungssparte Kyndryl Consult, wo wir von der langjährigen Expertise unserer Mitarbeiter profitieren. Ganzheitlich heißt für uns auch, dass wir nicht nur Ideen entwickeln, sondern auch die Umsetzung übernehmen können. Dazu setzen wir unter anderem auf Kyndryl Bridge, eine Integrationsplattform, die komplexe Multi- und Hybrid-Cloud-Ökosysteme für Kunden einfach handhabbar macht.
funkschau: Wo ergeben sich Synergiepotenziale mit IBM, die auch für die Kunden sichtbar sind?
Hierl: Hier wäre zum Beispiel Kyndryl Managed Extended Cloud Infrastructure as a Service für IBM Z (zCloud) zu nennen. Der moderne Mainframe von IBM schafft hier die infrastrukturelle Basis für Kunden, um gemeinsam mit uns die Reise in die Hybrid Cloud anzutreten. Unser Credo ist es, funktionierende Dinge nicht über den Haufen zu werfen, sondern sie in Neues zu integrieren. So bleiben bei unserem Ansatz Workloads auch weiterhin auf der IBM Z Plattform, wenn sie dort sicher und performant laufen. Die Plattform wird in ein hybrides Ökosystem integriert. Kunden haben die Wahl, ob sie ihre Mainframes mit IBM z/OS oder verschiedenen Linux-Plattformen betreiben wollen. zCloud unterstützt auch weitere IBM-Software.
„Von konjunkturellen Schwankungen sind wir vergleichsweise wenig betroffen. Die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen ist unelastisch, beziehungsweise einfacher ausgedrückt: IT braucht heute jeder zu jeder Zeit.“ |
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funkschau: Was waren die Herausforderungen des ersten Jahres auch mit Blick auf Entwicklungen am Markt?
Hierl: Von konjunkturellen Schwankungen sind wir vergleichsweise wenig betroffen. Die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen ist unelastisch, beziehungsweise einfacher ausgedrückt: IT braucht heute jeder zu jeder Zeit. Das versetzt uns in eine relativ komfortable Lage. Vor allem die Energiekrise geht natürlich auch an uns und unseren Kunden nicht spurlos vorüber. Wir müssen den Stromverbrauch der Rechenzentren unbedingt in den Griff bekommen, damit die Digitalisierung nicht zu einer Belastung für das Klima wird. Wir bei Kyndryl haben uns zum Ziel gesetzt, bis 2040 komplett klimaneutral zu werden. Bereits bis 2030 werden wir unsere Emissionen halbieren. Neben diesen eigenen ehrgeizigen Zielen helfen wir auch Kunden dabei, ihre Rechenzentren effizienter zu machen.
funkschau: Ausblick in die Zukunft: Was wird im kommenden Jahr wichtig für Kyndryl?
Hierl: Man könnte uns als das größte Start-up der Welt beschreiben. Dementsprechend gibt es bei uns intern auch noch ein paar Baustellen, um unsere Organisation optimal für die Zukunft aufzustellen. Wir hatten bereits in unserem ersten Jahr mehr als 150 Neuzugänge, wollen aber noch weiter wachsen. Gleichzeitig wollen wir unsere eigene Identität und Arbeitgebermarke schärfen. Insgesamt sehe ich uns sehr gut auf die Herausforderungen des neuen Jahres vorbereitet. Für Probleme wie Kosteneffizienz und Fachkräftemangel, die Unternehmen aktuell sehr beschäftigen, können wir Lösungen bieten oder diese zusammen mit unseren Kunden entwickeln. Ich rechne auch mit einer steigenden Nachfrage im Bereich IaaS und Automation, wo wir im Markt bereits prominent vertreten sind.