Das Klischee des Software-Entwicklers als Eigenbrötler ist längst überholt. IT-Teams müssen kreativ agieren, neue Dinge anstoßen, direkt an den Bedürfnissen der Kunden arbeiten und idealerweise eng verzahnt mit den Abteilungen des Unternehmens. Am besten gelingt dies durch Diversität.
IT-Entwicklung bedeutet heutzutage nicht, auf Befehl von oben den Code nachzujustieren oder nach Schema F eine neue Funktion zu implementieren. Moderne IT-Teams in Tech-Firmen arbeiten eng mit den KundInnen und allen anderen Abteilungen. Durch regelmäßige User-Tests werden Präferenzen der NutzerInnen erkannt. Was stört sie? Was gefällt ihnen? Was wünschen sie sich? Dann geht es ans Eingemachte: Wie werden wir diesen Vorlieben am besten gerecht? Welche Optionen haben sie? Was sind Vor- und Nachteile? Und schlussendlich implementiert das Team neue Features, optimiert vorhandene Lösungen und Anwendungen. Wohlgemerkt: das Team, nicht ein einzelner Entwickler. Alle ziehen gemeinsam an einem Strang. Diversität ist in diesem auf kundenzentrierte Kreation ausgerichteten Vorgehen der Schlüssel zum Erfolg. Die Stärke des Teams ist schließlich nicht einfach die Summe der individuellen Stärken der Einzelnen. Teams funktionieren, wenn Stärken und Schwächen sich gegenseitig aufheben. Auch im Fußball gewinnt ein Team mit elf weltbesten Stürmern keinen Blumentopf. Es braucht Verteidiger, Mittelfeldspieler. Einige können besser dribbeln, andere gewinnen Zweikämpfe. Der Trainer orchestriert das ganze Gefüge zu einer Einheit und schlussendlich gewinnt die Mannschaft mit dem besten „Teamgeist“, und nicht die mit den besten Einzelkönnern.
Nicht anders ist es in der modernen Arbeitswelt. Ein Unternehmen profitiert wenig davon, wenn es den oder die in der Theorie besten KI-Experten/-Expertin in den eigenen Reihen hat. Wie motiviert man, sein Wissen in das Unternehmen einzubringen? Wer steht mit Rat und Tat beiseite, um dafür zu sorgen, dass einzelne Expertise in die Entwicklung neuer Features einfließt? Und zwar nicht in dem Sinne, dass ein hoch kompliziertes, theoretisch exzellentes Produkt entsteht, sondern eines, das die KundInnen lieben?
Neben harten Faktoren wie Kenntnis von Code und Programmiersprache, von Schnittstellen und Servern oder der Cloud-Infrastruktur sollten andere Teammitglieder agil Projekte managen, alle Einzelnen tagtäglich motivieren und in ihrer Karriere weiter entwickeln. Projektmanagement, Führungserfahrung und ihre Kommunikationsfähigkeit sind in der neuen Tech-Welt ebenso gefragt wie das Coden an sich. Automatisch führt diese neue Vielfalt an individuellen Stärken und Schwächen zu diversen Ausbildungen im Team. Längst bestehen Tech-Teams nicht nur aus studierten ProgrammiererInnen der besten Universitäten. QuereinsteigerInnen oder auch GeisteswissenschaftlerInnen – sie finden durchaus ihren Platz in der heterogenen Arbeitswelt.
Es ist umso vorteilhafter, wenn sich die Einzelnen nicht nur in ihrem akademischen und beruflichen Werdegang unterscheiden. Gleiche kulturelle und ethnische Hintergründe, aber auch rein männliche Teams laufen Gefahr, viele wichtige Aspekte außer Acht zu lassen. Stichwort Kundenzentriertheit. Gute Lösungen erfordern Dialog und Debatte – beides kommt aber kaum zustande, wenn alle ohnehin gleich ticken.
Diversität führt zudem in einer zunehmend auf Kreation, nicht mehr auf Maintenance und Administration ausgerichteten Welt zu motivierten MitarbeiterInnen. Laut einer Linkedin-Studie von 2018 zählt Diversität zu den drei wichtigsten Faktoren, warum sich MitarbeiterInnen einem Unternehmen zugehörig fühlen. Weitere Faktoren sind Fairness und Gleichbehandlung. Das hat auch auf dem Arbeitsmarkt große Vorteile: Die hart umkämpften Arbeitskräfte bleiben länger, je glücklicher sie sind. Außerdem erweitern Unternehmen automatisch auch den Pool an potenziellen BewerberInnen, wenn sie nicht nur gemäß 08/15 aus den bekannten Informatik-Studiengängen recruiten. Dabei kommen nicht nur QuereinsteigerInnen in Frage, sondern auch Fachkräfte vom anderen Ende der Welt. Praktischer Nebeneffekt: Diese können auch beim Erschließen neuer globaler Märkte und der Lokalisierung der Produkte eine wichtige Rolle einnehmen.
Gerade in Zeiten der hybriden Arbeitswelt und Remote kann Diversität nur seine Wirkung entfalten, wenn sich im virtuellen Raum auch Möglichkeiten des Kennenlernens, des Austauschs und des Diskutierens ergeben – solche digitalen Interaktionen werden angesichts der anhaltenden Covid-Krise immer wichtiger. Nicht selten endet soziale Isolation im Worst-Case im Burn-out. Umso wichtiger, dass im Remote- und hybriden Zeitalter agile ProjektmanagerInnen den Hut aufhaben, mit ausreichend Empathie für die ganz verschiedenen Sorgen und Wünsche der vielfältigen Teammitglieder.
Entscheidend dafür, dass Teams funktionieren, ist ihre Dynamik, psychologische Komponenten, die Arbeitsprozesse und wie die Einzelnen tagtäglich gemeinsam arbeiten und untereinander kommunizieren. Durch das Kreieren neuer Systeme und Rahmenbedingungen lässt sich Verhalten beeinflussen und Vertrauen fördern. Vertrauen in das Unternehmen und in die Einzelnen ist entscheidend dafür, dass alle gemeinsam – so verschieden sie auch sind – das gleiche Ziel erreichen wollen. Bleibt festzuhalten, dass – wie divers die Teams auch sein mögen – die Teammitglieder einen gemeinsamen Nenner mitbringen müssen: Alles, was anders ist, schreckt sie nicht ab. Im Gegenteil: Es weckt ihre Neugier.
Aliona Virsutiene, Director of Engineering bei Vinted