Die kommerzielle Einführung von 6G könnte Holographien, erweiterte Realitäten und Digital Twins mit sich bringen. Damit einher gehen strenge Anforderungen an Datenübertragungsrate und Latenz. Ein Überblick über wichtige 6G-Forschungsbereiche, die neue Mobilfunk-Anwendungsfälle erschließen sollen.
Der Artikel liefert unter anderem Antworten auf folgende Fragen:
Große zusammenhängende Frequenzbänder, mit denen die Nachfrage nach extrem hohen Datentransferraten im Tbit/s-Bereich bedient werden kann, sind eine wesentliche Voraussetzung für die nächste Mobilfunkgeneration 6G. Während diese noch im frühen Entwicklungsstadium ist, unterstützen landesweite 5G-Netze mit Enhanced Mobile Broadband (eMBB), ultrazuverlässiger Kommunikation mit geringer Latenz (URLLC) und massive Machine Type Communications (mMTC) bereits neue Anwendungsszenarien wie Industrie 4.0. Doch die nächste Mobilfunkgeneration steht bereits vor der Tür. Wichtige 6G-Forschungsbereiche sollen neue Anwendungsfälle für den Mobilfunk erschließen. Während manche der Technologien Weiterentwicklungen früherer Mobilfunkgenerationen darstellen, sind einige Innovationen disruptiv und könnten die Shannon-Grenze sprengen (Anm. d. Red.: Das Shannon-Hartley-Gesetz beschreibt die theoretische Obergrenze der Bitrate eines Übertragungskanals in Abhängigkeit von Bandbreite und Signal-zu-Rausch-Verhältnis, über den mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine fehlerfreie Datenübertragung möglich ist).
Die allgemeine Vision für die 6G-Ära ist eine vernetzte Gesellschaft, in der die Kommunikationstechnik Menschen, Maschinen und virtuelle Dienste in allen Lebensbereichen miteinander verbindet, sodass die digitale, physische und menschliche Welt miteinander verschmelzen. |
---|
Es ist schwer vorherzusehen, welche der Applikationen und Anwendungsfälle, die heute in der Branche diskutiert werden, letztlich die Entwicklung der nächsten Mobilfunkgeneration tragen und die Systemanforderungen (KPIs) und Technologien von 6G prägen werden. Die allgemeine Vision für die 6G-Ära ist eine vernetzte Gesellschaft, in der die Kommunikationstechnik Menschen, Maschinen und virtuelle Dienste in allen Lebensbereichen miteinander verbindet, sodass die digitale, physische und menschliche Welt miteinander verschmelzen. In nebenstehender Tabelle sind die geschätzten KPI-Anforderungen zusammengefasst. Die für 6G angestrebten Werte sind im Vergleich zu 5G um einen Faktor von etwa 10 bis 100 strenger und stellen neue Herausforderungen für das Funkkommunikations- und Transportnetz dar.
Bei bestimmten zeitkritischen Steuerungsanwendungen zum Zweck der Synchronisation – zum Beispiel bei industriellen Anwendungen wie der Fabrikautomatisierung – ist weniger die Nettolatenz von Bedeutung als eine konsistente und vorhersehbare Ende-zu-Ende-Latenz mit geringer Schwankung, das heißt niedrigem Jitter. Diese Anforderung wird als neue Leistungskennzahl (KPI) eingeführt. Die Raum-Zeit-Synchronisation wird die Zeitsynchronisation und wechselseitige Positionsbestimmung durch Drahtlostechnologie ermöglichen, damit voneinander entfernte Geräte zusammenarbeiten können.
Das Bild stellt einige der Entwicklungs- und Forschungsbereiche dar, in denen zur Zeit am 6G-Mobilfunk gearbeitet wird. Im Folgenden finden sich einige Anmerkungen zu den wichtigsten davon. Der effiziente Betrieb eines drahtlosen Systems hängt stark von der verwendeten Signalform ab. Das orthogonale Frequenzmultiplexverfahren (Orthogonal Frequency Division Multiplexing, OFDM) ist zwar nach wie vor ein aussichtsreicher Kandidat für 6G-Signalformen, doch müssen auch alternative applikationsspezifische Signalformen oder einheitliche, skalierbare Signalformen erforscht werden. Zu den neuen Signalformen, die in Betracht gezogen werden, gehört die OTFS-Modulation (Orthogonal Time Frequency Space) für hochmobile Szenarien mit großen Doppler-Verschiebungen. Außerdem können Einzelträger-Wellenformen eine bedeutendere Rolle erhalten, um den Anforderungen an die Energieeffizienz gerecht zu werden. Damit eine flexiblere Nutzung des Funkkanals möglich wird, könnte weiterhin nicht-orthogonaler Vielfachzugriff (Non-Orthogonal Multiple Access, NOMA) relevant werden.
Das in den aktuellen Netzarchitekturen verwendete zellulare Layout ist darauf ausgelegt, Interferenzen an den Zellgrenzen zwischen Zellen zu minimieren. Zur Kommunikation mit ultrahoher Geschwindigkeit, hoher Kapazität und hoher Zuverlässigkeit muss jedoch über kurze Entfernungen über einen verlustarmen Pfad kommuniziert werden. Eine Option für solche räumlich verteilten Topologien sind zellfreie Netze, in denen Basisstationen, die über ein großes Gebiet verteilt sind, eine kohärente gemeinsame Übertragung koordinieren, um die Dienstbereitstellung für die Nutzer zu ermöglichen. Dies führt zu einem höheren Signal-Rausch-Verhältnis und einer höheren Verstärkung sowie zu einer gleichmäßigeren Erlebnisqualität für Nutzer an verschiedenen Orten. Damit verbunden ist jedoch eine hohe Rechenkomplexität, und es ist eine enge Synchronisation zwischen den Basisstations-Standorten erforderlich. Außerdem müssen große Datenmengen zwischen den einzelnen Standorten ausgetauscht werden.
Durch die Ausweitung der Netzabdeckung auf drei Dimensionen können auch entlegene Gebiete, das Meer und der Weltraum versorgt werden. Dazu könnten nicht-terrestrische Netze (NTN) auf Basis von Höhenplattformen (High-Altitude Platform Stations, HAPS) und Satellitenkonstellationen in erdnaher Umlaufbahn (LEO) eingerichtet werden. Diese Systeme fungieren dann als Mobilfunk-Basisstationen in großer Höhe über dem Erdboden.
Der Sub-THz-Frequenzbereich (100 GHz bis 300 GHz) mit extrem hohen Bandbreiten von mehreren GHz bietet enormes Zukunftspotenzial. Neben ultrahohen Mobilfunk-Datenraten könnten so auch Sensorik- und Bildgebungsanwendungen sowie medizinische Diagnosen unterstützt werden. Das Konzept der gemeinsamen Funkkommunikation und Sensorik (Joint Communications and Sensing, JCAS) unterstützt aufgrund der Struktur der Bitübertragungsschicht – der Signalformen und der Netzwerkarchitektur – beide Anwendungen nativ. Hierfür werden nicht nur THz-Frequenzen, sondern auch der Millimeterwellenbereich genutzt. Große Bandbreiten werden auch hochpräzisen Sensorikanwendungen zugute kommen, von Positionsbestimmung, Objekterfassung und hochauflösendem Radar bis hin zur spektroskopischen Analyse. Besonderes Interesse richtet sich auf die Umgebungserfassung.
Terahertz-Systeme und -Anwendungen sind nur ein möglicher Baustein des künftigen 6G-Mobilfunks. Dennoch könnte die Technologie unverzichtbar werden: nicht nur, um Anforderungen wie einen Maximaldurchsatz im Tbit/s-Bereich und eine extrem niedrige Latenz zu erfüllen, sondern auch, um faszinierende neue Anwendungen möglich zu machen. Mögliche 6G-Anwendungsfälle decken vielfältige Einsatzbereiche wie Kommunikation, Spektroskopie, Bildgebung und Sensorik ab. Für eine erfolgreiche kommerzielle Umsetzung werden jedoch praktische Geschäftsmodelle benötigt, die erst noch entwickelt werden müssen.
Die optische drahtlose Kommunikation (OWC) vereint hohe Geschwindigkeit und hohe Signaltreue mit geringen Implementierungskosten. Zu den wichtigsten Vorteilen gegenüber Hochfrequenz-Zugangsnetzen gehören die Verfügbarkeit einer lizenzfreien Bandbreite von 300 THz im sichtbaren und IR-Wellenlängenbereich, die Robustheit gegenüber Störungen und die Kommunikationssicherheit, zum Beispiel in Innenräumen, da diese Strahlung keine Wände durchdringen kann. Bei der optischen Freiraumkommunikation (FSO) mit Wellenlängen im Infrarotbereich werden modulierte Laserdioden für Backhaul-Lösungen oder die Kommunikation im Weltraum eingesetzt. Auf der Erde wird sie jedoch durch Wetterbedingungen, atmosphärische Turbulenzen und insbesondere Nebel beeinträchtigt.
Bei der VLC-Kommunikation (Visible Light Communications) werden Daten durch Intensitätsmodulation mit hoher Bandbreite von kommerziellen LEDs übertragen. Als Empfänger dient eine Fotodiode. Dieser kosteneffiziente Ansatz ermöglicht eine einfache Integration in bestehende Infrastrukturen, vor allem bei Innenraumanwendungen mit Sichtverbindung.
6G wird auch die Entwicklung künftiger Transportnetze in Funknetzen vorantreiben. Das Innovative Optical and Wireless Networks Global Forum (IOWN) will beispielsweise Technologien für eine Rechen- und Kommunikationsnetzarchitektur entwickeln, die Skalierbarkeit, Elastizität, Energieeffizienz und Latenzverwaltung bietet. Photonische Technologien können helfen, diese Herausforderungen zu bewältigen. Das vorgeschlagene offene All-Photonic Network (APN) könnte dazu beitragen, die Datenübertragung und -verarbeitung zu rationalisieren und Infrastrukturen mit großer Kapazität, geringen Latenzzeiten und niedrigem Energieverbrauch zu schaffen. Integrierte optische Bauteile könnten Routing- und Abschlussfunktionen bieten, um durchgängig optische Verbindungen zu realisieren. Weiterhin wird die steigende Kapazitätsnachfrage in den 2030er Jahren die Langstreckenübertragung revolutionieren.
Eine weitere photonische Technologie, die in letzter Zeit auf wachsendes Interesse stößt, ist die Quantenkommunikation. Diese könnte bei 6G eine ergänzende Rolle spielen, zum Beispiel zur Gewährleistung der Vertrauenswürdigkeit für die hochsichere und zuverlässige Kommunikation.
Durch rekonfigurierbare intelligente Oberflächen – die Abkürzung lautet RIS (Reconfigurable Intelligent Surfaces) – an Gebäudefassaden oder in Innenräumen lässt sich die Energie von Funksignalen in Richtung eines bestimmten Punktes lenken, sodass die Abdeckung bei fehlender Sichtverbindung verbessert und der Energieverbrauch reduziert werden kann. Eine rekonfigurierbare intelligente Oberfläche ist eine planare Struktur mit speziellen Eigenschaften, die eine dynamische Steuerung elektromagnetischer Wellen ermöglichen. RIS-Oberflächen sind besonders für extrem engmaschige Netzwerke – hauptsächlich im Innen-bereich – interessant.
Obwohl die künftigen 6G-Anwendungsszenarien derzeit noch nicht definiert sind, ist klar, dass die künftigen Leistungsanforderungen im Hinblick auf Übertragungsraten, Latenz, Spektrumeffizienz, Sicherheit, Zuverlässigkeit und Energieverbrauch noch wesentlich höher sein werden als bei 5G. Dies wird sich auch auf die Verarbeitungsarchitektur auswirken: Informationstechnologien und Kommunikationstechnologien werden noch weiter ineinandergreifen. Die Verarbeitung großer Datenmengen in verteilten Systemen in Netzwerken stellt jedoch hohe Anforderungen an die Übertragungsraten und Latenz.
Künstliche Intelligenz (KI) wird in der Zukunft integraler Bestandteil aller Bereiche des Funkkommunikationssystems sein. Dazu könnte ein Bitübertragungsschicht-Design gehören, das sich an den spezifischen Ausbreitungskanal und die Umgebungsbedingungen anpasst und End-to-End-Lösungen unterstützt.
Angesichts der enormen Komplexität der künftigen 6G-Netze werden Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen eine Schlüsselrolle bei der Einführung und beim Betrieb von 6G spielen: Sie werden das Benutzererlebnis revolutionieren, aber auch zu Kosten- und Energieeinsparungen beitragen.
Taro Eichler, Technology Manager Wireless Communication / Photonics bei Rohde & Schwarz in München