Messtechnik

Neue Testmethoden für 6G

22. Mai 2023, 9:00 Uhr | Redaktion: Diana Künstler
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Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Virtualisierung sind grundlegende TK-Aspekte, die sich wohl stark auf 6G-Tests auswirken werden. Was das genau für künfige Testszenarien bedeutet und wie sie sich von bisherigen unterscheiden werden, erläutert Jonathan Borrill von Anritsu im Interview.

connect professional: Wie unterscheiden sich 6G-Tests von 5G-Tests?

Jonathan Borrill: KI/ML und Virtualisierung sind grundlegende Aspekte der Telekommunikation, die sich voraussichtlich am stärksten auf 6G-Tests auswirken werden. Da KI/ML nativ in den Entwurf der RAN-Funktionen und der Luftschnittstelle integriert wird und in Echtzeit ausgeführt werden muss, sind neue Test- und Validierungsmethoden erforderlich. Dazu gehört das Erzeugen geeigneter „Lerndaten“ sowie unabhängiger „Validierungsdaten“, anhand derer die KI/ML-gestützten Funktionen validiert werden können.

Jonathan Borrill, Anritsu
Jonathan Borrill, Head of Global Market Technology, Anritsu: „Für 6G werden neue Testmethoden erwartet, die nicht nur die aktuelle Testausrüstung skalieren, sondern auch die Art und Weise, wie wir Messungen durchführen.“
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Bisher ist in den 3GPP-Standards nur das Kernnetz als virtuelle Architektur definiert. Der nächste Schritt wird voraussichtlich ein RAN-Netz sein, das als virtuelle Funktion definiert ist. Verschiedene Branchengremien wie die ORAN Alliance haben zusätzliche Spezifikationen erstellt, um die Industrie bei der Implementierung von 5G-RAN in eine virtuelle Umgebung zu unterstützen. Es wird aber erwartet, dass 6G das RAN grundsätzlich als virtuelle Funktionen definieren wird, wie es bereits für das 5G-Kernnetz geschehen ist. Ein vollständig virtualisiertes RAN-Netz erfordert virtualisierte Sonden und Messfunktionen, die dann neben den virtuellen Funktionen eingesetzt werden können.

connect professional: Ist es nur eine Frage der Zahlen – höhere Frequenzen usw. – oder gibt es einen qualitativen Unterschied, den 6G-Tests erfordern?

Borrill: Es ist nicht nur eine Diskussion über die Frequenz, sondern die Latenz ist ein wichtiges Thema und ein KPI, den es zu messen gilt. Bereits bei 5G sehen wir, dass sich die Branchenvertikalen auf Schlüsselparameter wie Latenz und Sicherheit konzentrieren, anstatt nur auf Datenrate und Durchsatz. Da 6G in neue Anwendungen expandiert, wird erwartet, dass die Latenz ein wichtiger Faktor sein wird, den es zu überprüfen gilt. Denn viele Anwendungen basieren auf sehr niedrigen Latenzzeiten und/oder sehr zuverlässigen Funkverbindungen basieren.

connect professional: Welche Herausforderungen werden Fähigkeiten wie Terahertz-Signalübertragung und Latenzzeiten im Mikrosekundenbereich für die 6G-Testverfahren mit sich bringen?

Borrill: Für 6G werden neue Testmethoden erwartet, die nicht nur die aktuelle Testausrüstung skalieren, sondern auch die Art und Weise, wie wir Messungen durchführen. Over-The-Air-/OTA-Testaufbauten wurden bei 5G für FR2 (24-52 GHz) eingeführt, und diese werden sich für Sub-THz-Frequenzbereiche (100-300 GHz) weiterentwickeln. Die Umstellung auf 5G führte zu einer etwa 10-fachen Frequenzerhöhung (von 1-3 GHz auf 20-40 GHz), und bei 6G wird eine weitere 10-fache Erhöhung erwartet (auf 100-325 GHz), so dass die OTA-Testmethoden weiter ausgebaut werden müssen. In den Sub-THz-Bändern werden neue Herausforderungen in Bezug auf Strahlformung, Antennenaufbau und -integration, Prüfspitzen und die 10-fache Verringerung der Wellenlänge neue Anforderungen an die Genauigkeit von OTA-Systemen und Verbindungsbudgets stellen. Die für die Anwendung erforderliche Latenz und Synchronisation im Mikrosekundenbereich stellt neue Anforderungen an die Erzeugung und Messung von Datenpaketen mit Zeitstempel zu Testzwecken – und an die Zeitsynchronisationsgenauigkeit der End-to-End-Prüfsonden. Um dies zu ermöglichen, sind spezielle Testlösungen erforderlich, die die Erzeugung und Analyse von Testpaketen in „Messqualität“ verwenden. Kommerzielle Lösungen (wie Smartphone-Apps und PING-Messungen) werden dann nicht mehr ausreichen. Eine Messleistung ist gefragt, um die erforderliche Genauigkeit und das erforderliche Vertrauensniveau für die Messung und Überprüfung von Netzen zu erreichen, damit die geforderten Service Level Agreements (SLA) und Quality of Service (QoS) eingehalten werden.

„Wird eine Funktion durch KI/ML-basierte Algorithmen gesteuert, kann die Bewertung der Ergebnisse einen anderen Ansatz erfordern. Anstatt herkömmliche Pass/Fail-Kriterien zu verwenden, werden wahrscheinlich mehr Funktionen mit statistischen Analysemethoden bewertet.“

connect professional: Was ist beim Entwurf eines 6G-Testaufbaus zu beachten?

Borrill: Virtualisierte Netzwerkfunktionen erfordern eine virtualisierte Testausrüstung. Eine der wichtigsten Überlegungen für einen 6G-Testaufbau besteht also darin, die richtige Testarchitektur mit virtualisierten Komponenten zu erstellen, um die physischen und virtualisierten Komponenten im 6G-System aufeinander abzustimmen. Wir werden wohl die grundlegende Leistungsfähigkeit der physischen Komponenten testen, die das 6G-Netz hosten, als auch die virtualisierten Funktionen, die dynamisch konfiguriert werden und dann auf der physischen Infrastruktur ausgeführt werden. Es wird also eine nahtlose Mischung aus physischen und virtuellen Testumgebungen erforderlich sein.

connect professional: Nach welchen Daten suchen Entwickler beim Testen? Welche Parameter werden von Interesse sein?

Borrill: KI/ML erfordert die Generierung von Lerndatensätzen für die Überprüfung und den Test von KI-basierten Funktionen. KI/ML reagiert empfindlich auf den Lerndatensatz, der zum Einlernen verwendet wurde (Lernverzerrung), daher müssen die Test- und Verifizierungsdatensätze völlig unabhängig von den Lerndatensätzen (Trainingsdaten) sein. So wird verhindert, dass sich die Lernverzerrung durch die Testdaten verstärkt. Dafür müssen völlig unabhängige Datensätze erzeugt werden, genauso wie Maßnahmen zur Bewertung und Bestätigung des Grads der Unabhängigkeit zwischen ihnen. Die Parameter zur Beschreibung der Qualität, des Umfangs und des Informationsumfangs der zum Lernen und zum Testen verwendeten Datensätze werden daher neue wichtige Parameter sein.

connect professional: Benötigen Analysegeräte eine besondere Empfindlichkeit oder Genauigkeit, um 6G-Tests durchzuführen? Welche neuen Funktionen oder Fähigkeiten sind gefragt?

Borrill: Wird eine Funktion durch KI/ML-basierte Algorithmen gesteuert, kann die Bewertung der Ergebnisse (der von KI/ML getroffenen Entscheidungen) einen anderen Ansatz erfordern. Anstatt herkömmliche Pass/Fail-Kriterien zu verwenden, werden wahrscheinlich mehr Funktionen mit statistischen Analysemethoden bewertet (Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Outputs, Verteilung der Output-Entscheidungen). Solche statistischen Tests dauern in der Regel viel länger, da genügend Ausgangsdaten erzeugt werden müssen und ein ausreichend großer Bereich von Kombinationen abgedeckt werden muss, um statistisch signifikant und repräsentativ für die zu testende Funktion zu sein. Bei der neuen Generation von HF-Testgeräten für die Sub-THz-Frequenzbereiche hängt die erreichbare Empfindlichkeit und Genauigkeit von der verfügbaren Leistungsfähigkeit der Halbleiterbauelemente ab. Hier zeigt sich, wie neue Generationen von Transistoren/Mischern/Verstärkern in Forschungslabors entwickelt und getestet werden – und es wird erwartet, dass sie eine geeignete Leistungsfähigkeit für zukünftige Anforderungen an Testgeräte bieten.

connect professional: Können bestehende 5G-Lösungen angepasst oder erweitert werden, um 6G-Tests zu ermöglichen?

Borrill: Es ist noch zu früh, dies zu beurteilen, da die Diskussionen noch in einem frühen Stadium sind und die Standardisierung noch nicht begonnen hat. Grundlegende Parametertests (zum Beispiel HF- und optische Spektrum-Analyzer) können bei Bedarf erweitert werden – aber standardspezifische Messungen (um Beispiel Protokolltest oder Emulation) müssen an die neuen 6G-Protokolle angepasst werden. Wir müssen also abwarten, bis 6G-Merkmale wie Modulations- und Kodierungsschemata (MCS) und Fehlerkorrekturverfahren (EC) ausgewählt sind, um dann die entsprechenden Emulatoren und Testsysteme dafür zu entwickeln. In der Zwischenzeit wird in den Forschungsgemeinschaften intensiv an der Entwicklung und Bewertung dieser Verfahren gearbeitet – und es besteht ein Bedarf an grundlegender Testausrüstung, die diese Bewertungen ermöglicht.


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