Derzeit wird viel über den Einsatz von privaten 5G-Netzen diskutiert. Andere Länder warten den deutschen Weg ab. Wie man sich hierzulande aufstellt und was Unternehmen beim Aufbau sogenannter 5G-Campusnetze beachten sollten, erläutern drei Vertreter der Innovation Alliance im Interview.
Als Kompetenzverbund aus Digitalisierungsspezialisten berät die Innnovation Alliance den Mittelstand sowie die öffentliche Verwaltung bei Digitalisierungsprojekten. Ihr Angebot richtet sich an Unternehmen vor allem aus den Branchen Industrie, Produktion, Handel und Dienstleistungen sowie an Städte und Kommunen in Deutschland. Initiiert wurde die Innovation Alliance 2016 von Cisco. Darüber hinaus zählen ausgewählte Digitalisierungsexperten aus dem Mittelstand – darunter Systemhäuser, Software-Entwickler, Managed Service Provider, Reseller und Berater wie Entiretec, Schweickert oder Xevit – zu den Partnern des Kompetenzverbunds.
Private 5G-Campusnetze |
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...sind lokal begrenzte Funknetze mit 5G-Technologie. Dabei müssen die Betreiber der Netze nicht die Eigentümer sein. Auch Mieter können Campus-netze auf abgegrenzten Campusflächen ausbauen, vorausgesetzt, sie haben die Erlaubnis des Vermieters. Auch Industrieparks sind Campusnetze, wenn sie lokal abgegrenzt und nicht öffentlich zugänglich sind. 5G fungiert in der Regel als weiteres Access-Medium parallel zu Wi-Fi und Wired Access. Unternehmen und öffentliche Einrichtungen nutzen Private 5G für die interne Datenübertragung in einem lizenzierten Funkspektrum. |
funkschau: Da Sie als Miglied eines Kompetenzverbunds Einblick haben – wo drückt denn salopp ausgedrückt bei Unternehmen Ihrer Erfahrung nach am stärksten der Schuh, wenn es um den Aufbau eines privaten 5G-Netzes geht?
Frank Dittmar: Auf alle Fälle erfordern der Aufbau und der Betrieb eines Private-5G-Netzes entsprechendes Know-how. Nur IT-Dienstleister zu sein, reicht nicht aus. Das Thema ist zu vielschichtig. Systemintegratoren spielen hier ihre Stärke aus. Sie kennen das Gesamtsystem, die IT-Umgebungen und sind in der Lage, ein homogenes Netzwerk mit unterschiedlichen Technologien aufzubauen und zu betreuen. Dieses Wissen haben Carrier nicht. Bei 5G-Projekten geht es zudem nicht bloß um die Einführung, sondern auch darum, sinnvolle Use Cases zu finden und diese in die Digitalisierungsstrategie einzubetten. Dafür braucht es Systemintegratoren als Spezialisten. Sie bieten den Kunden eine übergreifende Sicherheit.
Christian Freund: War die Verfügbarkeit von Endgeräten für die Integration in 5G bislang ein großes Problem, hat sich das mittlerweile gebessert. Immer mehr Geräte sind verfügbar, auch Router zur Verbindung von 5G mit zum Beispiel Ethernet oder Wi-Fi, Kameras, Sensoren in Industrieanlagen, aber auch Smartphones, Tablets und Laptops. Bislang problematisch war, dass der für private Campusnetze vorgesehene Mobile Country Code 999 nicht von allen Endgeräten unterstützt wird. Das war bis dahin eine große Hürde für den Betrieb von 5G-Netzen. Seit 2022 bietet die BNetzA jedoch dafür ein neues Nummernband an. Insgesamt ist die Entwicklung erfreulich, auch wenn die Lieferzeiten von Komponenten teils noch problematisch sind.
funkschau: Wie steht Deutschland denn aktuell bei Ausbau und Nutzung von 5G da?
Freund: Seit 2019 stellt die Bundesnetzagentur Lizenzen für Frequenzen zur Verfügung. Anfangs geschah dies nur sehr rudimentär mit 5G; die ersten Netze wurden mit 4G ausgebaut. Seitdem ist Bewegung reingekommen. Mittlerweile gibt es um die 50 bis 70 geförderten Private 5G-Projekte in Deutschland – meist für Universitäten oder Forschungseinrichtungen größerer Firmen –, für die zahlreiche externe Firmen liefern. Das fördert Interesse und Bereitschaft. Seit Anfang des Jahres verzeichnen wir zudem verstärkt Anfragen aus der Industrie nach Private-5G-Einsatzmöglichkeiten. Die erste Experimentalphase liegt damit hinter uns. Ein Boom an Private-5G-Projekten ist aus meiner Sicht im nächsten Jahr wahrscheinlich.
Sebastian Pütz: Es gibt immer noch viel Pionierarbeit in Deutschland zu leisten, und oft wird 5G noch als Handynetz abgetan. Die Bundesnetzagentur zeigt aber große Bereitschaft, Frequenzen zur Verfügung zu stellen, hierzu müssen Interessenten jedoch konkrete Use Cases einreichen. Von Seiten der Industrie, Logistik und großen Kliniken sehen auch wir deutlich gewachsenes Interesse – jetzt, da auch genügend Endgeräte für den Betrieb vorhanden sind. Bislang werden vor allem bestehende 4G-Netze um 5G-Funk-Komponenten erweitert. Wir rechnen aber damit, dass Private-5G-Netze mehr und mehr auch stand-alone entstehen werden.
funkschau: Welche Betriebsformen für 5G-Netze gibt es generell?
Dittmar: 5G ist eine hochkomplexe Technologie, die für mittelständische Betriebe schwer zu handhaben ist. Zum einen besteht das Netz selbst aus drei primären Segmenten – den Endgeräten, dem Funknetz und dem Kernnetz, dem sogenannten Core Network –, die alle verwaltet und abgesichert werden müssen. Auch erfordert es eine spezielle Expertise, um sinnvolle Einsatzszenarien für 5G zu definieren – und zwar auf Basis der bestehenden Infrastruktur. Denn 5G ist keine Insellösung, sondern muss in das vorhandene Netzwerk integriert werden. Die Technologie durch einen Systemintegrator als Managed Service zu beziehen und als Gesamtintegration zu betrachten, ist auf jeden Fall sinnvoll. Das schont die eigenen Ressourcen und erlaubt eine zentralisierte Verwaltung durch Experten inklusive Monitoring und Absicherung. Über verbraucherorientierte sogenannte Pay-as-you-use-Modelle können Unternehmen 5G flexibel in ihre Unternehmenslandschaft integrieren.
funkschau: Der Einsatz von privaten 5G-Netzen bietet Vorteile. Er ist aber auch an Bedingungen wie eine verpflichtende Nutzung inklusive Netzaufbau und das Einhalten des störungsfreien Betriebs an Frequenzgrenzen geknüpft. Welche weiteren Herausforderungen gibt es für die Implementierung?
Pütz: Herausfordernd ist es vor allem, die Funktionsweise der gesamten Wertschöpfungskette im Blick zu haben, auch ältere Maschinen und
Anlageteile zu integrieren und eine performante, ausfallsichere Netzwerkinfrastruktur sicherzustellen. Der verstärkte Einsatz von Sensoren stellt da schon mal eine besondere Herausforderung dar, ebenso wie unterschiedliche Konnektierungsformen wie WLAN, 5G, Bluetooth oder UWB. Sich hierfür spezialisierte Dienstleister mit ausgewiesener 5G-Kompetenz an Bord zu holen ist sinnvoll, um das große Ganze zu managen und den internen IT-Fachkräftemangel zumindest teilweise zu kompensieren.
funkschau: Je nach angedachten Use Cases des Netzbetreibers gehen unterschiedliche Frequenzen mit Stärken oder Schwächen einher. Wie stellen sich diese dar?
Dittmar: Je höher ein Frequenzband ist, desto kurzwelliger ist es, desto mehr Daten können in derselben Zeit übertragen werden. Allerdings beeinträchtigen Reflexionen durch Objekte und Hindernisse aus zum Beispiel Stahl oder Aluminium die Übertragungsleistung. Gleichzeitig braucht man mehr Antennen. Hohe Übertragungsraten bedeuten bei 5G-Frequenzen geringere Reichweiten. Für Private 5G spielt das meiner Meinung nach aber eine untergeordnete Rolle, da die Reichweite auf das eigene Betriebsgelände beschränkt sein sollte. Hier spielen Private-5G-Lösungen ihre Vorteile gegenüber Public-5G-Lösungen aus. Viel wichtiger ist es, vom Use Case aus zu denken. Verfügbarkeit durch geringe Latenzzeiten und dadurch mögliche Echtzeitkommunikation – das ist es, worauf es ankommt. Sicherlich muss bei vielen Anwendungen wie beispielsweise beim Einsatz von Drohnen ein hoher Datendurchsatz gewährleistet sein. An der Stärke der Frequenzen scheitert es aber bei den derzeitigen Projekten nicht.
funkschau: In vielen Anwendungen sind heutzutage Lösungen auf Basis der Wi-Fi-Technologie ausreichend. In Bezug auf zukünftige Entwicklungen mag dies jedoch nicht mehr genügen. Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund die Vorteile, die ein 5G-basiertes Netz mit sich bringen kann? Und welche neuen Chancen gehen damit einher?
Freund: Zunehmend digitale Geschäftsprozesse und wachsende Datenmengen erfordern neue Technologien. Mit 5G steht Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen ein Medium für mobile Anwendungen bereit; die Echtzeit-Ansteuerung über Funk von Robotern und ihren Werkzeugen und Sensoren oder die Vernetzung einer sehr großen Zahl von Maschinen wird damit möglich. WLAN als Local Area Network ist da keine Alternative, denn es funktioniert nur lokal und nicht unterbrechungsfrei. Wichtige Pluspunkte von 5G-Netzen sind niedrige Latzenzzeiten, hohe Bandbreite und Zuverlässigkeit. Da sie Frequenzen nutzen, die die Bundesnetzagentur exklusiv für ein Unternehmen oder ein bestimmtes Grundstück vergibt, können sie auch nur dafür verwendet werden. Das gewährleistet Vertrauenswürdigkeit und erhöhte Datensicherheit. Der interne Betrieb kritischer Dienste ist damit sicher möglich.
funkschau: Für wen sind in diesem Kontext private 5G-Netze geeignet? Welche Branchen können besonders davon profitieren? Nennen Sie uns bitte ein paar Anwendungsbeispiele. Und inwieweit sorgen Private-5G-Netzwerke für eine sicherere Produktion?
Freund: Der Einsatz von 5G ist im Grunde in allen Branchen denkbar. Von dem neuen Mobilfunkstandard profitieren aber insbesondere die Fertigungsindustrie, Logistik, aber auch Krankenhäuser, die Landwirtschaft oder die Baubranche. Beispielsweise im Krankenhausumfeld lassen sich über 5G-Netze sensible und große Datenmengen wie zum Beispiel Untersuchungsdaten sicher, verzögerungsfrei und zuverlässig transportieren. Auch im Bereich der Telemedizin und den sehr zeitkritischen Teleoperationen laufen bereits Forschungsprojekte. In der Baubranche lassen sich über stabile und vertrauensvolle 5G-Netze Informationen zu Baufortschritten austauschen, Geräte überwachen oder Bagger autonom fahren. Im Bereich der Landwirtschaft wird das autonome Fahren von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten einfacher. Es gibt unzählig viele weitere interessante Beispiele, die ich anführen könnte.
Dittmar: In Produktionen ist 5G überall da sinnvoll, wo mobile Maschinen wie autonom fahrende oder sich bewegende Objekte im Einsatz sind – das ist in den meisten Betrieben der Fall. Safety, also die Personensicherheit, ist darüber hinaus essenziell. Je stärker Betriebe automatisieren, desto größer wird die Gefahr von Kontrollverlust. Es greifen mehr und mehr Situationen ineinander mit zunehmender Geschwindigkeit – auch durch den Einsatz autonom fahrender Fahrzeuge. Ex-trem kurze Latenzzeiten, mehr Netzkapazitäten für die Nutzung diverser Anbindungen und eine erhöhte Sicherheit machen 5G somit auch für Produktionsbetriebe nicht nur attraktiv, sondern auch erfolgsentscheidend.
funkschau: Ein Ersatz oder eine Ergänzung der bestehenden Infrastruktur um Mobilfunktechnologien setzt natürlich auch entsprechende Investitionen voraus. Was sollten Unternehmen bei der Kosten-Nutzen-Aufstellung bedenken? Oder anders gefragt: Können es sich Unternehmen heutzutage überhaupt leisten, Private 5G nicht zu nutzen?
Freund: Wenn man sich vor Augen führt, dass immer mehr Geräte und Maschinen miteinander vernetzt werden, wird klar, dass kabel-gebundene Netze schnell an ihre Grenzen stoßen und 5G-Netze für viele Firmen notwendig werden. Der Einsatz von Sensoren wird sich weiter massiv erhöhen. Es gibt praktisch für jeden vorstellbaren Problembereich einen passenden Sensor, beispielsweise um Schwingungen, Füllstände, Geschwindigkeiten, Verunreinigungen oder Temperaturen zu messen. Diese erzeugen riesige Datenmengen, die sich mit einem 5G-Netz optimal sammeln lassen. 5G allein ist aber nicht die Lösung, es ist ein Enabler. Die Technologie muss in die vorhandene IT-Landschaft und die Digitalisierungsstrategie eingebettet werden. Ohne Kabel kann kein Produktionsbetrieb auskommen. Eine Gesamtstrategie mit einem optimalen Zusammenspiel verschiedener Netze ist die optimale Lösung. So ist Private 5G als Ergänzung und nicht als Ersatz für Wi-Fi oder Ethernet zu verstehen.
Dittmar: 5G ist ein Managementthema, das abteilungsübergreifend und im Rahmen der Digitalisierungsstrategie angegangen werden muss. Beispielsweise Instandhaltung ist in vielen Betrieben ein wichtiges Thema und muss Teil von Digitalisierungsprojekten sein. Bei 5G gibt es nicht die eine Lösung für eine Abteilung, sondern viele Use Cases für viele Abteilungen. Das macht es spannend, aber auch anspruchsvoll.
funkschau: Gibt es denn gegebenenfalls 5G-Campusnetz-Projekte, die Sie als wegweisend oder auch besonders gelungen ansehen? Und wenn ja, welche Projekte wären das und warum genau diese?
Pütz: Zu einem der interessantesten Projekte zählt der europaweit erste 5G-Medizincampus der Uniklinik Düsseldorf. Mit dem vom Land NRW geförderten Projekt soll die Krankenversorgung langfristig effizienter und sicherer gestaltet
werden. Der neue Mobilfunkstandard ermöglicht eine Echtzeitübertragung und leistet seinen Beitrag zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. So können Patienten, die sich in einem sehr kritischen Zustand in der zentralen Notaufnahme befinden, dank Echtzeit-Monitoring priorisiert werden. Das von der Lufthansa betriebene 5G-Campusnetz am Flughafen Hamburg ist ein weiteres Beispiel. Es wurde für zwei Einsatzfälle konzipiert, zum einen für die Echtzeit-Fernwartung von Bauteilen unter Einbindung des Kunden sowie für die virtuelle Modifikation des Kabineninnenraums. Es gibt zahlreiche weitere Use Cases, darunter der Einsatz von Drohnen und Sensoren zur Sicherung von Betriebsgeländen und zur Gefahrenabwehr.
funkschau: Welche Learnings konnte man aus den Projekten ziehen?
Pütz: Für viele ist 5G sehr innovativ und schwer fassbar. Neugier und Interesse an Einsatzmöglichkeiten sind auf alle Fälle da. Aufgrund der Innovationskraft der Technologie und Vielfalt der potenziellen Use Cases müssen wir aber auch viel Überzeugungsarbeit leisten. Wichtig ist auch: Der Einsatz von 5G muss unternehmensweit betrachtet werden.
Dittmar: Was 5G betrifft, wird noch viel geforscht. Es gibt einige interessante Fördermöglichkeiten und Forschungsgelder, die die Einführung erleichtern. Im Gegensatz zum öffentlichen Mobilfunkstandard 5G bietet Private 5G über Campusnetze die Möglichkeit, lokal begrenzt und dadurch sicher und hochverfügbar zu arbeiten. Bei einer guten Integration entsteht ein funktionierendes Ganzes mit der Möglichkeit, fortlaufend den Status des Netzwerks einsehen und überprüfen zu können. Auch bietet es Platz für weitere Technologien und Skalierbarkeit in puncto Bandbreite und Verfügbarkeit. Das ist sehr wertvoll.