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Broadline- und Spezialdistribution: Hunger auf die Kleinen

Broadline- und Spezialdistribution: Hunger auf die Kleinen. Die ohnehin schon erdrückend mächtigen Broadliner sind unersättlich: Jetzt wollen sie auch noch in Nischensegmenten verstärkt Fuß fassen. Doch beherrschen die Sortimentsriesen überhaupt das Geschäft mit erklärungsbedürftigen Produkten und Lösungen? Die spezialisierten Distributoren machen sich derweil schon Sorgen um ihre gewohnten Margen.

Autor:Samba Schulte • 11.5.2005 • ca. 5:30 Min

Broadline- und Spezialdistribution: Hunger auf die Kleinen

Bislang waren die Rollen klar verteilt: Standard- und Commodity-Artikel beziehen Reseller über die Broadline- und Volumendistributoren, beratungsintensive Produkte kauft der Fachhandel nach wie vor lieber bei Spezial- und Value add-Distributoren. »Den Broadlinern fehlt das Detailwissen, wenn es um erklärungsbedürftige Produkte geht«, fasst beispielsweise Jan Amberg, Geschäftsführer des Systemhauses Amberg & Hornung, zusammen.

Das soll sich aber schleunigst ändern, zumindest wenn es nach dem Willen der Distributionsriesen geht. Die Broadliner verstärkten in den vergangenen Jahren ihr Engagement in den verschiedenen VAD-Segmenten zusehends: Tech Data beispielsweise bietet heute innerhalb des Konzerns integriert VAD-Know-how in den Bereichen Storage (TD Midrange), Netzwerke (Azlan) und auch innerhalb der Broadline-Organisation gut aufgestellte Spezialistenbereiche, beispielsweise rund um die CAD-Lösungen von Hersteller Autodesk. »Welcher Distributionskonzern bietet denn schon eine vergleichbare Angebotsbreite?«, fragt Tech-Data-Chef Marcus Adä und fügt hinzu: »Das ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.« Nicht nur im Vergleich zu den anderen Broadlinern, versteht sich, denn Tech Data konkurriert wie auch Ingram Micro und Actebis Peacock mittlerweile längst mit manchen Spezialdistributoren um Marktanteile in den margenträchtigen Nischensegmenten.

Spezialisten spüren die Broadline-Konkurrenz

Und in der Tat: Die VADs und Nischendistributoren bekommen zunehmend die Marktmacht der Großen zu spüren. »Da die Broadliner stärker in Nischenbereiche vordringen, wird der Wettbewerb für uns Spezialdistributoren immer härter«, hat etwa Thomas Veith, Geschäftsführer des Zubehördistributors Soft-Carrier, erkannt. Der Vorteil der Broadliner: Sie arbeiten mit stark optimierten Prozessen, sind vor allem als Logistiker den kleinen Großhändlern haushoch überlegen. »Die Spezialdistribution muss ihre Prozesse verbessern, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben will«, prognostiziert Gerhard Schulz, Geschäftsführer von Marktführer Ingram Micro. Denn Tatsache ist: Die großen Distributoren können aufgrund der schlanken Prozesse mit spitzer Feder rechnen und auch von niedrigen Margen leben. »Da können wir Spezialdistributoren nicht mithalten«, gibt deshalb auch Anton Thoma, Geschäftsführer des VAD Brainworks, zu. »Doch solange die Logistik nicht das einzige Argument in den Spezialisten-Segmenten ist, werden unsere Geschäftschancen sogar noch steigen.«

Dabei haben die Broadliner mit VAD-Kompetenz neben den optimierten Prozessen noch einen weiteren Vorteil: Sie können mittlerweile eine größere Spanne des Entwicklungszyklus eines Produktes, von der innovativen, erklärungsbedürftigen Lösung hin zum Standard-Artikel, abbilden. »Zum Wettbewerb zwischen Broadliner und VAD kommt es dann, wenn Hersteller ihre Distributionskanäle umstellen«, erklärt Erwin Leichter, Manager Director von VAD Adiva, die tragende Rolle der Lieferanten in dieser Entwicklung. Tatsächlich geschieht dies vor allem bei Herstellern, die sowohl Lösungen in High-End- und Standardausführungen anbieten, schließlich fällt der Produktlebenszyklus immer kürzer aus. So bietet Broadliner Actebis Peacock rund um den in einem eigenen Geschäftsbereich fokussierten Hersteller Hewlett-Packard umfangreichen Support. Aber nicht nur in punkto HP erfahren die Partner beim Soester Distributor eine umfassende Projektbetreuung, von der Vor-Ort-Beratung bis hin zum ausgefeilten Finanzierungskonzept. Actebis Peacock beschäftigt im Rahmen seiner VAD-Unit ein spezialisiertes Fokus Sales Team, das für Reseller auch bedarfsgerechte komplexe Lösungen entwerfen kann. »Wir haben in den Bereichen Software, Communication, Netzwerke und Storage gezielt VAD-Know-how aufgebaut«, versichert Rene Schäfer, Leiter dieses Bereichs bei Actebis. Er ist davon überzeugt, dass seine Mannschaft es bei den namhaften Herstellern mit jedem VAD aufnehmen kann. »In punkto Finanzierung bieten wir den Resellern im Projektgeschäft aufgrund unserer Finanzstärke sogar noch besseren Support«, beteuert Schäfer.

Wer aber darüber spricht, was die Broadliner mittlerweile rund um die beratungsintensiven Produkte leisten können und wollen, darf nicht außer Acht lassen, was die Distributionsriesen immer noch nicht anbieten können und manchmal auch nicht wollen. Schließlich haben alle drei Top-Distributoren, die unter ständigem Kostenoptimierungsdruck stehen, ihre im VAD-Bereich aktiven Gesellschaften mittlerweile mehr oder weniger in den Konzern integriert: Netzwerke-VAD Compu-Shack wurde zur Ingram Micro Networking Division, Peacock agiert heute als VAD-Bereich innerhalb der Actebis Peacock GmbH und auch Azlan und TD Midrange wurden zumindest in punkto Back Office stärker an den Konzern gebunden. Die Broadliner indes werden nicht müde zu betonen, dass man dabei kein Gramm VAD-Kompetenz abgegeben habe. »Die Leistung unseres Netzwerkbereichs wird durch die Integration besser werden«, kündigte der damalige IM-Holding-Chef Michael Kaack noch zur Compu-Shack-Integration an. Das kann der Fachhandel nicht in allen Fällen nachvollziehen: Bernd Huber, Geschäftsführer des Systemhauses Compus, suchte sich beispielsweise einen neuen spezialisierten Lieferanten, denn »Broadliner konnten unsere komplizierten Software- oder Storage-Probleme nicht lösen«. Tatsächlich war immer wieder zu hören, dass viele Reseller, die Cisco-Lösungen vormals über Compu-Shack bezogen hatten, seit der Integration in Ingram zu anderen VADs wechselten. Allerdings weniger zu Azlan, denn dort ist das Cisco-Geschäft ebenfalls eingebrochen. Was jedoch Azlan-Zentraleuropa-Chef Erich Glaeser gegenüber CRN dementierte: »Diese Gerüchte entbehren jeglicher Grundlage.« Wie ist das also mit den VAD-Ambitionen bei den Broadlinern? Geht mit der Integration in die Broadline-Kostenstruktur tatsächlich auch das letzte Quäntchen Value add flöten? Sind persönliche Betreuung, technisches Know-how und Vor-Ort-Support Luxusgüter, welche sich die Broadliner nicht leisten können?

Spezialisten überzeugen bei der Betreuung

Wie die Ergebnisse der regelmäßig erhobenen Reseller-Befragung CRN Channeltracks immer wieder zeigen, überzeugen vor allem spezialisierte Grossisten ihre Partner in punkto Betreuung oder Know-how der Mitarbeiter: In den Bewertungskategorien »persönliche Ansprechpartner« oder »Fachkompetenz der Mitarbeiter« erhalten die Nischendistributoren bessere Noten als die Broadliner, die wiederum eher bei den logistischen Bewertungskategorien überzeugen. Für spezialisierte Segmente, zumal bei Projektgeschäften, ist die kompetente Betreuung durch einen persönlichen Ansprechpartner das entscheidende Kriterium, findet Bernd Huber von Compus: »Wissen ist ein Wert, der uns viel wert ist«. Auch Brainworks-Chef Thoma weiß, warum viele Systemhäuser bei Fragen zu komplizierten Netzwerk-, Storage- oder Security-Problemen bei ihm landen: »Bei den Broadlinern gestaltet sich schon die Suche nach einem kompetenten Ansprechpartner schwierig. Ein Ozeandampfer tue sich eben auf kleinen Flüssen schwer«, schließt er. Für Helge Scherff, Vertriebsleiter des Security-Spezialisten Wick Hill, sind es ebenfalls die eigenen Mitarbeiter, die mit ihrem Spezialisten-Know-how den Unterschied zu den Großen markieren: »Im Revier der VADs können die Broadliner nur dann wildern, wenn sie ebenfalls konsequent auf geschulte Mitarbeiter und Service setzen. Damit verspielen sie aber wiederum ihren Kostenvorteil.«

Erwin Leichter von Adiva verweist darüber hinaus auf das breite Dienstleistungsspektrum der Value add-Distribution bei der Projektabwicklung: »Projektanfragen fordern einen umfassenden Konfigurationssupport bis hin zu Customizing- und Sizing-Anforderungen und das in meist heterogenen IT-Welten.« Neben Presales- und Postsales-Service seien auch Installationsaufgaben gefragt. »Unser Zielsegment sind schon historisch gesehen VARs, mit eigenen Lösungen oder die auf eine Standard-Software aufsetzen.« Überschneidungen bei den Partnern gebe es mit den Broadlinern beispielsweise bei den Top-Systemhäusern, welche die gesamten IT-Landschaften ihrer Endkunden, vom Entry-Level-Gerät bis hin zu unternehmenskritischen Systemen, betreuen und bedienen müssten.

Immer auf der Suche nach neuen Werten

Da sich jedoch in den meisten Segmenten die Entwicklung hin zur Commodity, und damit hin zum Massenprodukt mit geringer Marge, nicht aufhalten lässt, müssen Nischendistributoren immer wieder neue Trendbereiche erschließen und innovative Lösungen aufspüren, um den Partnern qualitative und margenträchtige Alternativen anbieten zu können. Beispielsweise hat sich der Software-Distributor Trade-up vom Vertrieb von Standard-Software an Retailer in Deutschland verabschiedet. Die Marge bei den Software-Boxen sei vor allem auch im Wettbewerb mit den Broadlinern zu gering. Nun will sich der Distributor statt dessen auf die drei Bereiche Dokumenten-Management, Grafik-/Medienverarbeitung sowie Unternehmenssicherheit spezialisieren und dabei verstärkt auf Exklusiv-Distributionen setzen, die besonders margenträchtige Alternativ- und Ergänzungslösungen für SMB-Reseller gewährleisten sollen. Tatsächlich gebe es ja viele Hersteller mit interessanten Lösungen, die es nicht einmal ins Vertriebssortiment der Broadliner schaffen würden, stellt Anton Thoma fest, und auch Thomas Veith ist sich sicher: »Es wird immer Produkte und Bereiche geben, in denen sich Spezialisten behaupten können, denn wir halten mit technisch ausgefeilten Lösungen dagegen.«