Domino-Effekt
Mit Lotus-Dominos reichhaltigen Funktionalitäten für die Anwendungsentwicklung fordert IBM die Konkurrenz heraus. Network Computing untersuchte, wie sich Microsoft und Novell zur Wehr setzen.

Der Einkauf, die Installation und die Entwicklung von Enterprise-Groupware erfordern viel Geld und Personal. Ist es die Sache wert? Absolut. Wird es richtig gemacht, dann hält Groupware jeden Mitarbeiter der Organisation »up to date« und in der Spur. Projekt-Leads erreichen die richtigen Leute zur richtigen Zeit, Team-Meetings finden statt, selbst wenn die Mitglieder übers ganze Land verteilt sind, und jeder einzelne Mitarbeiter, angefangen beim Geschäftsführer bis hinunter zur neuen Empfangsdame, hat Zugriff auf die Informationen, die zur effizienten Ausführung des Jobs notwendig sind.
Network Computing bat die drei größten Enterprise-Groupware-Hersteller, ihre aktuellsten Produkte testen zu dürfen – und alle drei willigten ein. In unserer 24/7-Produktionsumgebung testeten wir IBMs Lotus-Domino 6.5, Microsofts Exchange-Server 2003 und Novells Groupwise 6.5.
Wir begrenzten unseren Test auf diese drei größten Hersteller, weil sie ihre eigene Client-Software bieten, womit vollständige Ende-zu-Ende-Client/Server-Pakete zur Verfügung stehen. Diese Vorgehensweise ist sicher sinnvoller, als Tausende von Mail-Programmen zu beurteilen, die sich doch wieder nur an die populärsten Clients hängen.
Report-Card: Enterprise-Groupware
Features: Enterprise-Groupware
Wir bewerteten jedes Produkt in puncto Plattformunterstützung, Skalierbarkeit, Performance, Leichtigkeit der Groupware-Anwendungsentwicklung und Verfügbarkeit von Drittanbieter-Add-ons. Außerdem testeten wir die Gruppenkalender, Mailbox-Delegation und Instant-Messaging-Unterstützung der Produkte. Für den Verzeichniszugriff nutzen wir Active-Directory bei den Exchange- und Domino-Tests und Novells e-Directory beim Groupwise-Test.
Schließlich verglichen wir die Listenpreise. Microsofts Lizenzierung ist die billigste mit 67 Dollar pro Client-Zugriffslizenz. Novells Groupwise ist billiger als Domino, wenn es in kleineren Lizenzmengen (50 Lizenzen) gekauft wird, aber geringfügig teurer, wenn mehr Lizenzen (5000 Lizenzen) angeschafft werden. IBMs Preis war der höchste – bei kleineren Lizenzmengen etwa 42 Dollar pro Lizenz mehr als Microsofts Produkt. Wartungsverträge und andere Discounts können die Kosten natürlich beeinflussen.
Nicht überraschend sind die drei Produkte herausragende Groupware-Plattformen. Die Pakete sind schon lange genug auf dem Markt, so dass wir Basisfunktionen wie Kalender und E-Mail als alte Hüte abhaken konnten. Wir fanden aber einige wichtige Unterschiede, die die Art, wie die Anwender die Produkte nutzen und modifizieren, beeinflussen. Geht es beispielsweise um die Anwendungsentwicklung, enthält nur Domino gleich eine eingebaute Programmierplattform und alle Werkzeuge, die zur Entwicklung benutzerdefinierter Anwendungen nötig sind. Exchange bietet die populäre .Net-Entwicklungs-Suite und Novell ein Basispaket für eingeschränkte Funktionalität. Für die Erweiterung von Groupwise steht aber noch eine Reihe Drittanbieter-Produkte, beispielsweise Advansys´ Formativ, zur Verfügung.
Die drei Pakete unterscheiden sich auch bei der Benutzeradministration voneinander. Die bevorzugten Methoden für Exchange und Groupwise sind Verknüpfungen mit den jeweiligen Verzeichnisdiensten. Domino verwendet seine eigene Verzeichnisstruktur, die zwar LDAP-konform ist, der aber einige Administrationsfunktionen fehlen. Aber die LDAP-Konformität bedeutet immerhin, dass Unternehmen ihre existierende Verzeichnisstruktur beibehalten und damit das Domino/Notes-Adressbuch bevölkern und administrieren können.
IBM Lotus Domino 6.5
Die jüngste Inkarnation der Domino-Mail-Plattform ist auch eine robuste Anwendungs-Entwicklungsumgebung. Die Entwicklung ist lange Zeit schon eine Stärke von Domino. Version 6.5 erlaubt Anwendungsdesignern, selbst existierenden Notes-Anwendungen IM-Unterstützung hinzuzufügen, indem sie einfach ein paar Kontrollkästchen im Domino-Designer anklicken.
Anwendungsentwicklung lässt sich mit Lotusscript (die natürliche Programmiersprache von Domino), Java-Runtime-Environment (JRE), Javascript, HTML und XML durchführen. Damit erhalten Entwickler eine Vielzahl Optionen für die Erzeugung von Anwendungen, die in einer Multiplattformumgebung ausführbar sind. Domino-Designer erlaubt Programmierern die Erzeugung von Anwendungen, die sich direkt an externe Datenquellen binden und den Workflow rationalisieren, indem sie alle relevanten Informationen in eine einzelne, vertraute Schnittstelle packen. Außerdem ist die Domino-Umgebung in sich selbst geschlossen. Benutzerdefinierte Notes- oder Webanwendungen lassen sich direkt innerhalb der Domino-Umgebung entwickeln und einrichten.
Unter den getesteten Paketen unterstützt Domino die meisten Hardwareplattformen und Betriebssysteme. Dazu gehören IBM iSeries und zSeries, Linux und Windows. Unsere Basisinstallation des Domino-Servers verlief schnell und simpel. Der Administrator braucht nur die CD einzulegen, ein paar Fragen zu beantworten und ist dann schon fertig. Der Domino-Server ist eine einfache Anwendung ohne Kinkerlitzchen. Das Programm läuft als Systemdienst und zeigt in einem Befehlszeilenfenster Benutzerverbindungen und Agenten genannte geplante Aufgaben. Der Server lässt sich von jedem Arbeitsplatz aus verwalten, auf dem der Domino-Administrator-Client installiert ist. Diese Schnittstelle ist gut und sinnvoll gestaltet und lässt sich als einzelne Schnittstelle für Verbindungen mit allen Domino-Servern im Unternehmen benutzen.
Neu beim Notes-Client ist dessen Integration mit dem Lotus-IM-Client (vormals Sametime). Das erlaubt den Benutzern schnelle Antworten an andere IM-Benutzer. Der IM-Client unterstützt außerdem AOLs AIM-Client für die externe Kommunikation. Mit dem Notes-Client können die Benutzer ihre Willkommen-Seite modifizieren. Sie wählen dazu einfach aus, welche Informationen angezeigt werden sollen, wenn der Client startet. Verfügbare Optionen umfassen das Öffnen der Inbox, des Kalenders, der Aufgabenliste oder einer Webseite.
IBM Lotus Domino 6.5 behebt frühere Probleme
Domino-Web-Access (zuvor iNotes) ist in Domino-6.5 enthalten. Web-Access bietet den Außendienstlern der Organisation von jedem beliebigen Web-Browser aus Zugriff auf E-Mail, Kalender, Kontakte und Aufgabenlisten über eine verschlüsselte Verbindung. Eine Anforderung ist allerdings ein separates Internet-Passwort, das im Domino-Verzeichnis zu definieren ist. Normalerweise wird diese Aufgabe gleich beim Einrichten des Benutzerkontos erledigt.
Die neue Version von Web-Access behebt ein paar Probleme früherer Versionen von iNotes. Am bemerkenswertesten: Benutzer können Mail per Drag-and-Drop von einem Ordner in einen anderen verschieben oder kopieren. Die Anwender dürfen außerdem eine Menge Optionen anpassen, darunter solche für die Mail-Datei-Delegation, die automatische Verarbeitung von Meeting-Einladungen und Notes-Passwortänderungen, die zuvor nur über die vollständige Client-Software durchführbar waren. Web-Access unterstützt nun den Mozilla-Browser, was Linux-Clients den Weg für Remote-Verbindungen öffnet.
Ein neues Smart-Upgrade-Feature soll die Installation neuerer Versionen schmerzloser machen – oder zumindest ein bisschen weniger lästig. Client-Computer erhalten Benachrichtigungen, wenn neue Client-Software zur Verfügung steht. Die Benutzer können ein vollständig automatisiertes Upgrade durchführen oder es aufschieben. Weder Exchange noch Groupwise bietet ein solches Feature.
Microsoft Exchange Server 2003
Mit dem Debüt von Exchange 2003 scheint Microsoft ihre Collaboration-Strategie geändert zu haben. Der Schwerpunkt liegt nun auf der Office-Suite. Exchange ist als Teil der so genannten whole office experience entworfen. Ein Resultat daraus ist, dass einige Features, die in vorangegangenen Versionen von Exchange verfügbar waren, nun in anderen Produkten enthalten oder gar separate Produkte geworden sind. Beispielsweise enthält Exchange keine IM-Server mehr. Um Microsoft IM zu nutzen, muss man nun den Office-Live-Communications-Server kaufen. Und um Text zu archivieren, ist ein SQL-Server verfügbar zu machen. All dies beschert Organisationen, die IM nutzen müssen, zusätzliche Kosten.
Vor dem Setup eines Exchange-Servers sind einige Vorbereitungen durchzuführen. Exchange 2003 läuft auf Windows-2000-Server mit SP3 oder Windows-Server-2003. Active-Directory muss installiert und das Active-Directory-Schema erweitert werden. Sind diese Vorbereitungen getroffen, ist die eigentliche Installation keine große Sache. Die Benutzer-Administration führt der Administrator mit dem Active-Directory-Management-Snap-in basierend auf dem Benutzerobjekt des jeweiligen Clients durch. Das Exchange-System-Manager-Snap-in steht für die Serveradministration zur Verfügung. Der Administrator definiert damit die Speichergruppe für Mail und die verfügbaren Transportprotokolle. Es ist unbequem, zwischen diesen beiden Bildschirmen hin- und herzuspringen, aber nach Microsoft-Denke ist es sinnvoll.
Der Outlook-2003-Mail-Client besitzt eine klare, polierte Benutzerschnittstelle. Die Features sind zahlreich und nach Belieben der Benutzer anpassbar. Mail lässt sich in jedem Ordner nach Empfangsdatum, Konversationsfaden, E-Mail-Konto und anderen Optionen separieren. Das Lesefenster und die Auto-Vorschau können individuell für jeden Ordner eingestellt werden. Microsoft hat die Integration von Outlook und Exchange durch Erhöhung der Performance des Mail-Checks noch enger gemacht. Zur Synchronisation einer lokalen Kopie der Mail mit den Informationen auf dem Server lässt sich außerdem ein Cached-Modus-Feature verwenden.
Exchange-Server 2003 enthält Outlook-Web-Access (OWA) und Outlook-Mobile-Access (OMA). OWA ist so formatiert, dass es weitgehend wie Outlook 2003 funktioniert – das »Look and Feel« ist identisch mit dem vollständigen Mail-Client. OMA ist eine Schnittstelle geringerer Bandbreite für mobile Geräte; es unterstützt HTML, XHTML und kompaktes HTML. Vor dem Kauf eines neuen mobilen Geräts sollte man aber Microsofts Produkt-Kompatibilitätsdiagramm studieren, um sicherzustellen, dass das neue Spielzeug auch mit diesen Produkten funktioniert. OMA bietet direkte Wireless-Synchronisation mit Pocket-Outlook, das mit vielen Windows-Mobilgeräten geliefert wird.
Ein weiteres neues Feature ist die Synchronisation vom Mail zwischen Outlook und Exchange unter Verwendung eines Remote-Procedure-Calls (RPC) über eine HTTP-Verbindung. Damit dies funktioniert, müssen alle Mail-Server Exchange 2003 unter Windows-XP, SP1 oder höher ausführen. Die Client-Maschinen müssen Outlook 2003 ausführen. Ferner sind einige Registry-Änderungen auf dem Server erforderlich. Der Vorteil dieser Konfiguration ist, dass sie erlaubt, die Kommunikation mit dem Exchange-Server außerhalb der Unternehmens-Firewall aufzubauen, ohne dass zusätzliche Ports auf der Firewall geöffnet werden müssen. Loyale Microsoft-Sites werden Exchange 2003 sicher mit Freude aufnehmen.
Novell GroupWise 6.5
Groupwise 6.5 ist wahrscheinlich am besten für existierende Novell-Kunden geeignet. Das Paket verlangt die Ausführung von Novell-Directory-Service (NDS) oder e-Directory und der Console-One-Anwendung für die Administration. All dies könnte Organisationen, die andere Betriebssysteme ausführen, dazu zwingen, ein weiteres Verzeichnis zu pflegen. Groupwise läuft unter Windows, Netware und Linux.
Groupwise war das einzige Produkt im Test, das ein IM-System in seinem Mail-Server enthält. Die beiden anderen Produkte unterstützen IM, verlangen aber Clients von Drittanbietern. Groupwise-Messenger unterstützt LDAP und bindet sich zur Authentifikation an e-Directory. Die gesamte Kommunikation ist mit SSL verschlüsselt. Benutzer können Konversationen für die persönliche Verwendung in privaten Dateien aufzeichnen, anderseits lässt sich die Aufzeichnung auf der Serverseite einrichten, um den Verordnungen einiger Regierungen zu entsprechen.
Groupwise enthält für mobile Benutzer einen auf Web basierenden Mail-Client, Webaccess. Webaccess verlangt allerdings einige weitere Komponenten. Zwei Anwendungen, Webpublisher und Webaccess, müssen auf jedem Web-Server installiert sein, der Client-Anforderungen verarbeiten soll. Eine dritte Komponente, der Webaccess-Agent, kümmert sich um die Verteilung der Anfragen an die Mailboxen. Alle drei Komponenten können auf einem Server installiert oder zur Erhöhung der Skalierbarkeit auf mehrere Server verteilt werden. Eine Ungereimtheit: Der Webaccess-Agent läuft nur auf einem Netware- oder Windows-Server, während die beiden anderen Anwendungen auch auf einem Sun-Solaris-Server ausführbar sind.
Der natürliche Groupwise-Client konnte uns nicht beeindrucken. Er tut, was er tun soll, aber der Benutzer muss schon eine Menge Schritte ausführen, um selbst einfache Aufgaben zu erledigen. Groupwise 6.5 unterstützt auch den Outlook-Client, aber dies kann zu Problemen führen, falls die Software nicht auf einem aktuellen Stand gehalten wird. Die Client-Installation kann zu seltsamen System-Integrationsproblemen führen. Wir konnten Excel nicht mehr verlassen, nachdem Groupwise installiert war – die X-Schaltfläche zum Verlassen der Anwendung funktionierte einfach nicht mehr.
Ein Problem von Groupwise war schon immer das Fehlen von Anwendungsentwicklungsfähigkeiten – und das hat sich nicht geändert. Sowohl Domino als auch Exchange erlauben Entwicklern die Programmierung benutzerdefinierter Anwendungen, während Novell sich offenbar dazu entschlossen hat, diese Sache Drittanbietern zu überlassen. Im Kielwasser von Novells Übernahme von Suse-Linux wird es interessant sein zu sehen, ob sich das Unternehmen von Groupwise ab- und zu Ximian-Evolution hinwendet.
Fazit
Unsere Auszeichnung »Referenz« vergaben wir an Lotus Domino 6.5. Domino besitzt die einfachste Benutzer-Administrationsschnittstelle, und es enthält mehr eingebaute Funktionalität als die Mitbewerber. Die Anwendungsentwicklung basiert auf Standards und ist Multiplattform-fähig. Dominos Client-Software ist grenzenlos konfigurierbar. Zwar erlaubt die Domino-Software die Entwicklung direkt auf einem Produktionsserver, aber das ist keine gute Idee. Microsoft blieb IBM dicht auf den Fersen. Exchange ist geeignet zum Aufbau einer hochklassigen Collaborative-Umgebung, aber man muss bereit sein, in das halbe Dutzend Applikationen zu investieren, die zur vollständigen Implementation notwendig sind. Außerdem ist zur Ausführung die richtige Hardware zu kaufen. Novells Groupwise läuft den beiden anderen Produkten auf vielen Gebieten hinterher. Beispielsweise sind Entwicklungswerkzeuge so gut wie nicht existent. Und obwohl Groupwise ein reifes Produkt ist, ist der Client nicht so ausgegoren wie die beiden anderen. [ nwc, dj ]