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Hinter den Schlagzeilen

Hinter den Schlagzeilen Herr D. ist Mitte fünfzig. Er ist ein anständiger Kerl, der seinen Beruf mag, weil er dabei täglich mit Menschen zu tun hat. Herr D. hat daher sein ganzes Leben gut gearbeitet – er war nie ein Überflieger, aber mit seiner Arbeit konnten er und seine Vorgesetzten immer zufrieden sein.

Autor:Markus Bereszewski • 17.8.2007 • ca. 1:35 Min

Markus Bereszewski

Vor vier Jahren, Herr D. war gerade über die Fünfzig, da strukturierte sein Arbeitgeber um. Er bekam ein Angebot. Herr D. war noch nicht alt genug für den gesetzlichen Vorruhestand. Er fühlte sich auch zu jung, um die Offerte seines Arbeitgebers anzunehmen. Herr D. wollte lieber arbeiten. Er schlug die Abfindung also aus, aber arbeiten durfte er dennoch nicht. Er wurde von seinem Arbeitgeber einfach ignoriert. Herr D. rief in der Zentrale an, wollte seinen Vorgesetzten sprechen, doch der war immer zu beschäftigt. Herr D. schrieb E-Mails und Briefe, die nie beantwortet wurden. Er erhielt sein monatliches Salär einfach weiter – ohne Gegenleistung, ohne dass man ihn überhaupt wahrgenommen hätte. Herr D. war schwer getroffen. Es konnte sich mit der Situation kaum abfinden, er fühlte sich nutzlos in diesen Jahren. Vor wenigen Wochen bekam Herr D. dann wieder etwas von seinem Geldgeber zu hören – es war ein neuerliches Abfindungsangebot, ein deutlich schlechteres als seinerzeit. Er lehnte erneut ab. Dann bekam Herr D. wieder Arbeit – sehr viel Arbeit, viel mehr Arbeit als man schaffen kann. Herr D. bekam auch Ziele – unerreichbare Ziele. Und Druck – sehr viel Druck. Er verbringt seither täglich etliche Stunden zwischen dem Steuer und den Kisten mit Telekommunikationsprodukten, um die Kunden in der von »der Zentrale« vorgeschriebenen Reihenfolge anzufahren. Herr D. steht oft im Stau und erreicht dann seine Kunden überhaupt nicht. Er würde sich selbst die Termine gerne sinnvoller legen. Herr D. hätte dann mehr Zeit für seine Verkaufsgespräche. Ein Gespräch führt er in jedem Fall täglich: Herr D. ruft jeden Abend seinen Vorgesetzten aus unterschiedlichen Städten und Hotelzimmern an, um zu erklären, warum er die Umsatzvorgaben wieder nicht erreicht hat. Anschließend schreibt er dann noch bis spät in den Abend hinein die neuerdings erforderlichen zahl- und sinnlosen Berichte. Herr D. bedauert manchmal, dass er immer brav seinen Job gemacht hat, statt, wie andere im Konzern, »an der Karriere zu arbeiten«. Er tröstet sich damit, dass er dann wahrscheinlich auch Angst vor den Bestechungsermittlungen haben müsste und noch mehr Sorgen hätte als jetzt. Früher konnte man stolz sein, ein Siemensianer zu sein, heute ist ihm das peinlich. Herr D. wünscht sich, er hätte die Abfindung genommen.