Moral: Manager lachen mit und über Wilhelm Busch
Gutmenschen, Betroffenheitsapostel, die »Bild« sowieso und wahrscheinlich auch der Papst: sie alle sind betroffen und schockiert.
Überall herrscht Instinktlosigkeit, Verfall der Moral, Untergang des Abendlandes! Barbara E., seit 31 Jahren Kassiererin bei der Kaiser’s Tengelmann AG, soll Pfandbons über insgesamt 1,30 Euro unterschlagen haben. Das Arbeitsgericht griff durch: Fristlose Kündigung geht völlig in Ordnung. Die Frau brach in Tränen aus, wahrscheinlich auch deshalb, weil das Geld längst ausgegeben ist und die Lebensmittelkette nun eine Milliardenspritze vom Staat benötigt.
Kein Einzelfall, mit dem sich Arbeitsgerichte heute immer mehr zu beschäftigen haben. Dreiste Fahrer betanken nicht nur den Bus, sondern auch gleich ihr Feuerzeug mit, verantwortungslose Büroangestellte zweck entfremden Büroklammern für ihre Nagelpflege (während der Arbeitszeit, versteht sich) und selbst Kindergärtnerinnen schrecken vor nichts mehr zurück: skrupellos greifen sie in die Brotzeitdose ihrer Schützlinge. Wo soll, wenn man nicht rechtzeitig durchgreift, das alles enden?
Bei Georg Funke. Dem ehemaligen Chef des leider am Abgrund stehenden Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate, geht es um nichts weniger als um seine Existenz. Das muss man ernst nehmen, wenn der Mann jetzt auf Wiedereinstellung vor dem Münchner Arbeitsgericht klagt. Es geht vergleichsweise um wenig, wenn man die 102 Milliarden Euro Steuergelder zählt, die bislang in die HRE geflossen sind: auf 3,5 Millionen Euro Gehalt pocht der fristlos entlassene DAX-Vorstand Funke bis zum Ende seines Arbeitsvertrags 2013. Und auch ein Ruhegeld von 45.000 Euro pro Monat ab seinem 60. Lebensjahr möchte der heute 55-Jährige nun vor Gericht erstreiten. Gute Chancen zu gewinnen, hat der Mann.
Der Job setzt absolute Ehrlichkeit, unbedingte Zuverlässigkeit und absolute Korrektheit voraus. Nicht seiner, wohlgemerkt. Während unsere Kassiererin diese Zeilen der Urteilsbegründung studiert, darf Top-Manager Funke schließlich mit und über Wilhelm Busch lachen: Ach, der Tugend schöne Werke / Gerne möcht ich sie erwischen / Doch ich merke, doch ich merke / Immer kommt mir was dazwischen.