Mit dem Aufstieg sozialer Netzwerke wurde der E-Mail der Untergang vorhergesagt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Und soziale Netzwerke gehören zu den größten E-Mail-Versendern, beispielsweise um Facebook- oder Xing-Nutzer zu reaktivieren. Über die Treiber der E-Mail im Interview mit GMX/Web.de.
funkschau: Mit dem Start sozialer Netzwerke prophezeiten viele Experten der E-Mail ihren Untergang. Warum tragen sie nun zu ihrem Boom bei?
Jan Oetjen: Unsere Analysen zeigen, dass vor allem eine verstärkte Nutzung durch professionelle Versender zum aktuellen E-Mail-Boom beigetragen hat. Waren in den Vorjahren noch andere E-Mail-Dienste Top-Zusteller bei Web.de und GMX, haben Social Media- und E-Commerce-Anbieter inzwischen aufgeschlossen. Gerade soziale Netz-werke setzen mit Benachrichtigungen über neue Posts oder Profilbesuche sehr stark auf die E-Mail zur Reaktivierung ihrer Nutzer. Ähnlich stark setzen E-Commerce-Anbieter und Apps auf E-Mail als Kanal.
funkschau: Welche Rolle spielt das E-Mail-Postfach beim Thema digitale Identität?
Oetjen: Ohne E-Mail-Adresse gibt es gegenwärtig keine digitale Existenz. Alle Dienste, auch soziale Netzwerke, fragen bei der Anmeldung nach der E-Mail-Adresse, mit der sich der Nutzer identifiziert. Dabei hat sich der Umgang mit E-Mail geändert. Früher agierten die Nutzer mit ihrer echten Identität im Netz sehr zurückhaltend. Kaum einer traute sich, seinen echten Namen preiszugeben. Phantasieadressen wie „supermikey@web.de“ waren typisch. Heute ist der persönliche Name in der Kommunikation Standard. Deswegen legen Nutzer bei der Wahl ihres E-Mail-Anbieters neben der Funktionalität und Vertrauenswürdigkeit auch Wert auf das Image des Anbieters. Denn der persönliche Name ist eng mit der Domain des Anbieters verknüpft.
funkschau: Warum steckt die geschäftliche Kommunikation in Deutschland noch in den Kinderschuhen, wenn es um Digitalisierung geht?
Oetjen: In den vergangenen Jahren wurde von Fotos über Filme und Musik bis hin zur Pizza-Bestellung nahezu alles digitalisiert. Daher überrascht es zunächst, dass die Digitalisierung des Briefverkehrs noch hinterherhinkt. Experten schätzen, dass über 80 Prozent des Briefverkehrs digital abgewickelt werden können. Dass dieses enorme Potenzial bisher noch nicht ausgeschöpft ist, lag lange am fehlenden Standard für die rechtsverbindliche Kommunikation, aber auch an der langsamen Veränderung etablierter Prozesse – vor allem auch bei der Verwaltung. Hier bremst die Fragmentierung und zögerliche Umsetzung bundesweit einheitlicher Standards die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen, die dem Staat viel Geld sparen könnten.