Automatisiertes Notrufsystem

eCall verlockt zum Tracking

6. April 2018, 11:35 Uhr | Jona van Laak
Wer alamiert, wenns kracht? (Foto: pb press - Fotolia)

Neuwagen müssen ab sofort mit einem Notrufsystem ausgestattet werden. Während das eCall-System der EU klare Datenschutzauflagen macht, sind Kunden bei herstellereigenen TPS-Systemen auf die Transparenz und Ehrlichkeit der Hersteller angewiesen – bekanntermaßen keine Stärke der Automotive-Branche.

Bei schweren Verkehrsunfällen kann jede Sekunde über die Überlebenschancen eines Verletzten entscheiden. Automatisierte Notrufsysteme, die beim Auslösen eines Airbags einen Notruf absetzen und Standortdaten übermitteln, können diese wertvolle Zeit gerade bei Unfällen in abgeschiedenen Gebieten effektiv nutzen. Das Ziel, die Zahl der Todesopfer und die Schwere von Verletzungen im Straßenverkehr durch Notrufsysteme zu reduzieren, stand deshalb in den vergangen Jahren mehrfach auf der Agenda der EU. Mit der Verordnung 2015/758 vom 29. April 2015 wurde die verpflichtende Einführung von bordeigenen eCall-Systemen in allen neuen Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen ab dem 31. März 2018 beschlossen. Dabei handelt es sich um ein zertifiziertes Notrufsystem, das nur im Fall eines Verkehrsunfalls oder durch manuelle Aktivierung einen Notruf an die 112 absetzt. Im Normalmodus ist das System offline und übermittelt keine Daten. Doch die Autoindustrie bietet bereits seit Jahren lieber eigene TPS-eCall-Systeme (»Third-Party-Supported«) mit Zusatzfunktionen an. Hier ist der Kunde auf die Transparenz und Ehrlichkeit der Hersteller angewiesen, denn wer überprüft, ob Bewegungsprofile erstellt oder Audioaufzeichnungen angefertigt werden?

Die Krux an der Geschichte ist, dass die Hersteller auch weiterhin ihre eigenen Systeme anbieten dürfen. Auch wenn die EU-Verordnung vorschreibt, dass dem Kunden die Möglichkeit eingeräumt werden muss, sich zwischen dem EU-eCall-System und TPS-eCall-Systemen zu entscheiden, so wird dies vermutlich auch weiterhin nur auf explizite Nachfrage des Kunden geschehen. Es gibt keine Verpflichtung für die Hersteller, die Funktionsweise ihrer TPS-Systeme offenzulegen und den Kunden über die Alternative zu informieren. Und für diese TPS-Systeme gilt eben auch nicht, wie es in der Verordnung heißt, dass diese »im Normalbetrieb (…) nicht verfolgbar« sein müssen. Um ihre TPS-Lösungen zu verkaufen, locken die Hersteller Kunden zudem mit attraktiven Zusatzangeboten, vom Concierge-Service bis zu exklusiven Informations- und Unterhaltungsdiensten. Dabei gibt es klare Vorteile des eCall-Systems, das lediglich einen Mindestdatensatz mit GPS-Daten, Fahrtrichtung und Fahrzeug-ID direkt an die 112-Rettungsleitstelle überträgt. Als Offline-System kann es nicht gehackt werden, wodurch auch keine sensiblen Daten abgegriffen werden können. Zudem übermittelt es die Unfalldaten direkt an die Rettungsleitstelle und muss nicht den Umweg über das Call-Center des TPS gehen. Autofahrer sind allerdings darauf angewiesen, dass eCall-Systeme nicht von den Herstellern manipuliert werden und den Standards der Zertifizierung entsprechen.

Das gilt gerade auch dann, wenn Kunden beim Kauf die Abschaltung des TPS-eCall und Aktivierung des EU-eCall verlangen. Denn eine Garantie dafür, dass die bestehenden Systeme tatsächlich vollständig deaktiviert werden, gibt es natürlich nicht. Und die Anreize, mit Nutzerprofilen Geld zu verdienen, sind groß. Denn das GSM-Modul im Auto kann über das Bussystem theoretisch auf alle Sensordaten zugreifen – und diese umfassen mittlerweile aufwendige Kamerasysteme, Mikrofone und tausende Fahrzeugwerte. Es ist sehr bequem, wenn der Techniker einen Fehler per Fernwartung beheben kann oder der Concierge-Service die Theaterkarten reserviert, aber es gibt eben keine Transparenz, welche Daten dabei erhoben werden und wie mit ihnen umgegangen wird. Die Gefahr des Fahrzeug-Hackings steigt und jeder Kunde wird mit Sicherheit wieder ein Stückchen gläserner. Denken Sie dran, wenn Sie in Zukunft laut mitsingen oder vertrauliche Gespräche führen.


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