Nach der Funkstille seitens Oracle spekulieren die Analysten über Stand und Zukunft der Fusion-Apps

Oracles Fusion-Apps: Sie kommen, kommen nicht, kommen…

7. Oktober 2008, 22:57 Uhr |

Das Überraschendste auf der jüngsten Oracle-World waren nicht die vielen Neuankündigungen, sondern das, was nicht gesagt wurde. Beispielsweise, wie es um die einst groß angekündigten Fusion-Applications steht. Folglich vermuten inzwischen viele Analysten, dass es zumindest in den vorhersehbaren Jahren keine große Fusion-Vorstellung geben wird.

Am 18. Januar 2006 präsentierte Oracles Präsident Charles Phillips gemeinsam mit einer Handvoll
anderer Topmanager den Stand der Fusion Applications. "Wir haben die erste Hälfte davon bereits
geschafft und werden das gesamte Paket bald vorstellen können", hieß es damals. "Wir schaffen eine
neue Generation an Anwendungssoftware, die vollständig standardbasiert ist. Oracle wird das erste
Softwareunternehmen der Welt sein, das eine einheitliche ERP-Suite erstellt, die sowohl für große
Konzerne als auch für kleine und mittlere Unternehmen nutzbar ist", sagte der damals allmächtige
Entwicklungs-Chef John Wookey, der es sich zum persönlichen Ziel gemacht hatte, alle hinzugekauften
Pakete zu vereinen.

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Doch danach wurde es still um die als ERP-Killer-Applikation gepriesene Suite, in der das Beste
aus den Zukäufen von J. D. Edwards, Peoplesoft und Siebel integriert werden sollte. Nur ein paar
Personalmeldungen deuteten zwischendurch darauf hin, dass es um die Entwicklung der Fusion-Apps
schlecht bestellt ist. So wurde Wookey im März 2007 entmachtet. Gemeinsam mit Jesper Andersen, dem
so genannten "Mr. Fusion" sollte er sich fortan nur noch um die Fusion-Apps kümmern. Doch nur sechs
Monate später warf Wookey das Handtuch und verließ Oracle. Im vergangenen Sommer folgte ihm dann
auch Andersen. Parallel dazu haben Oracles Topmanager immer weniger über die Fusion-Apps geredet –
und auf der jüngsten Open-World gab es gar keine Hinweise mehr darauf.

Dass die Fusion-Apps nicht mehr die erste Priorität genießen, zeigte sich spätestens auf der
Oracle Open-World 2007, als mit der Application Integration Architecture eine minimalistische
Integrationsmöglichkeit vorgestellt wurde. Damit lassen sich vor allem Punkt-zu-Punkt-Verbindungen
schaffen. Oracle hat diese Integrationsplattform inzwischen intensiv genutzt, um eine Reihe an
vertikalen Lösungen auf den Markt zu bringen. Die jüngsten davon sind eine Versicherungslösung und
eine Anwendung im Gesundheitswesen.

So vermuten schon seit einiger Zeit viele Analysten, dass die Fusion-Apps frühestens 2010 auf
den Markt kommen werden, oder vielleicht auch gar nicht mehr. "Sie haben sich damit erheblich
übernommen, sie wollen damit SOA, Web 2.0, Business Intelligence und die neuen mobilen Features
integrieren – so etwas dauert viele Jahre", sagt Ovum-Analyst Dwight Davis, der aber immer noch der
Ansicht ist, dass die Fusion-Apps irgendwann kommen werden.

Auch IDC-Analyst Albert Prang glaubt, dass die Fusion-Apps zwar noch nicht endgültig vom Tisch
sind, doch er meint, dass Oracle derzeit andere Prioritäten hat: "Es ist für Oracle derzeit
wichtiger, die Kundenbasis auf die jeweils letzten Release-Stände von J.D. Edwards, Peoplesoft und
Siebel zu bringen, ein Hinweis auf baldige Fusion-Apps am Horizont würde diesen Prozess erheblich
unterlaufen", lautet seine Einschätzung.

Anders dagegen die Ansicht von Gartner-Analystin Yvonne Genovese. "Inzwischen hat Oracle
Dutzende an Produkten hinzugekauft, und jedes neue hat erheblichen Einfluss auf die darunter
liegende Architektur. Da wird die Integration zu einer Art unendlichen Geschichte", lautet ihre
Einschätzung. So hätte sich bei jeder neuen Akquisition die Fragestellung ergeben: Alles neu
programmieren, damit es auf die Basisarchitektur passt, oder die Grundstruktur umstellen, was aber
zu immensen Konsequenzen bei den Module führen kann, an denen man bereits arbeitet. "Es ist
unmöglich, einen Standard für eine sich fortlaufend ändernde Systemumgebung zu schaffen", sieht sie
als Grund, warum Oracles Fusion-Pläne inzwischen so sehr unter Druck stehen.

Andere Analysten sehen inzwischen auch gar keine Notwendigkeit mehr für eine solche
Mega-ERP-Plattform. Dazu AMR-Research-Analyst Jim Shepherd: "Die hinzugekauften Kunden wollen gar
keine Superplattform, sie wollen vor allem funktionale Verbesserungen ihrer Anwendungen und eine
bessere Abdeckung ihrer branchenspezifischen Geschäftsprozesse." Auch Ovum-Analyst Davis meint,
dass, selbst wenn Oracle heute Fusion anbieten würde, es kein Kaufinteresse dafür gäbe: "Ich
bezweifel sehr stark, dass ein Markt dafür vorhanden ist."

Harald Weiss/dp


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