Chaos pur in Deutschland: Der DIHK stellt der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie ein vernichtendes Urteil aus.
Das Reich gleiche einem irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper, kritisierte der Philosoph und Staatsrechtler Samuel Freiherr von Pufendorf die politischen Zustände Deutschlands im 17. Jahrhundert. Nun ist zwar mittlerweile Monarchie und Absolutismus hierzulande abgeschafft. Aber politisch und verwaltungstechnisch hat der viel kritisierte Flickenteppich unseres föderalen Staatsgebildes alle Umwälzungen bestens überstanden. Auch Edmund Stoiber, oberster EU-Leiter für den Bürokratieabbau, scheint den Teppichklopfer längst noch nicht ausgepackt zu haben.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kritisiert die chaotischen Zustände in den bundesdeutschen Verwaltungen, mit denen Dienstleistungsunternehmen hierzulande konfrontiert werden. Eigentlich wollte die EU mit ihrer Dienstleistungsrichtlinie genau das Gegenteil erreichen: In einem Europa ohne Grenzen sollten Unternehmen sämtliche Verwaltungsverfahren vollständig online bei einer einzigen Stelle abwickeln können. Das Internet würde Diensteistungsunternehmen dabei als einheitliche Anlaufstelle dienen (»single point of contact«). Transparent, unbürokratisch, flexibel und schnell sollten Verwaltungsvorgänge vonstatten gehen. Soweit die gut gemeinte Theorie. Nun warnt der DIHK davor, dass Deutschland die Chance zum Bürokratieabbau verspielt. »Es zeichnet sich ab, dass die an sich positive Grundidee letztlich zum Aufbau paralleler Verwaltungsstrukturen und damit zu einer Verschwendung öffentlicher Mittel führen wird«, sagt Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des DIHK.
Deutschland muss bis Ende Dezember die EU-Dienstleistungsrichtlinie umgesetzt haben. Daran arbeiten die Verwaltungen auch. Recht unabhängig voneinander, mit der Folge, dass »ein wahrer Flickenteppich von unterschiedlichen Ansprechpartnern entstanden ist«, berichtet Wansleben. Um der Richtlinie formal gerecht zu werden, hat Schleswig-Holstein eine eigene Behörde gegründet, andere Bundesländern haben Wirtschaftskammern und/oder Kommunen beauftragt, einige Länder ihren Landesbehörden die Aufgabe übertragen.
Den Vogel schießen Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ab. Sie haben, berichtet Wansleben, in ihrem jeweiligen Bundesland gleich mehrere Anlaufstellen für Dienstleistungsunternehmen geschaffen, die untereinander derzeit kaum vernetzt seien und mit unterschiedlichen IT-Lösungen arbeiten würden. »Sie scheinen die Idee vom single point of contact völlig missverstanden zu haben«.
Es geht aber noch bunter. Deutsche Firmen, die eine Ansprechstelle gefunden haben, könnten nicht sicher sein, dass diese auch für sie tätig wird. Denn einige Einheitliche Ansprechpartner seien nur für ausländische Hilfesuchende zuständig. »Die Richtlinie hat einen Webfehler«, meint Wansleben.
Auch deswegen, weil für zahlreiche Branchen kein Einheitlicher Ansprechpartner vorgesehen sei. Während ein Gastwirt für seine Gründung einen zentralen Ansprechpartner hat, bleibe dem Spediteur dieser Weg verschlossen, kritisiert Wansleben. »Der Einheitliche Ansprechpartner wird zu einem teuren Unterfangen für Steuerzahler«, so das Fazit des DIHK-Hauptgeschäftsführers.