DaimlerChrysler macht SAP über Funk

23. November 2006, 12:57 Uhr |
Das DaimlerChrysler-Werk für Achsmontage in Kassel.

DaimlerChrysler macht SAP über Funk Das DaimlerChrysler-Werk für Achsmontage in Kassel hat das bisherige proprietäre Produktionsplanungssystem durch SAP-R/3-Module ersetzt. Benutzerseitig wird dabei zu 98 Prozent von Scanner-Terminals über Funk-LAN-Verbindungen auf die R/3-Module zugegriffen.

Bei der Produktion von Nutzfahrzeugen bestimmen Güte und Zusammenspiel der einzelnen Komponenten die Qualität und Leistungsstärke des Endprodukts. Daher sind moderne Achssysteme echte Hightech-Produkte, die sich den Anforderungen der Märkte und Kunden dynamisch anpassen müssen. Flexibilität und transparente, stetig optimierte Produktionsprozesse sind die Voraussetzung für den Erfolg in diesem Marktumfeld. »Die IT ist ein wichtiger Baustein in der Kette der »Just-in-Time«- und »Just-in-Sequence«-Fertigung der Achssysteme«, weiß Peter Hohberger, Leiter IT-Management und Organisation der DaimlerChrysler AG in Kassel. Das Werk ist das größte für Achsmontage in Europa: 3000 Mitarbeiter produzieren etwa 600000 Achssysteme im Jahr. Die DaimlerChrysler AG in Kassel arbeitete bis vor einem Jahr mit einem proprietären, hostbasierten Produktionsplanungssystem, das aufgrund der ständig wachsenden Marktanforderungen und neuer logistischer Prozesse technisch an seine Grenzen stieß. Hinzu kam, dass der Standort Kassel sämtliche Fixkosten der Eigenentwicklungen tragen musste, da nur noch dort das System im Einsatz war. »Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Analysen unserer Geschäftsprozesse brachten ganz klar ans Licht: Wir mussten sowohl Software als auch Hardware erneuern, um die IT-Betriebskosten deutlich senken zu können«, erläutert Hohberger.

Die Messlatte hängt hoch
Nach einer Ausschreibung entschieden sich die Kasseler, das bisherige Produktionsplanungssystem durch SAP R/3-Module auf Unix-basierten Servern zu ersetzen und Siemens Business Services mit der Einführung zu betrauen. Die Erwartungshaltung gegenüber der neuen Lösung war hoch. Unter anderem erhoffte sich Hohberger, die Produktionsprozesse zu beschleunigen, höhere Flexibilität und Transparenz in die Fertigung zu bringen und mehr Zeit im Rahmen der Inventur zu gewinnen. »Weg von der Stichtags-Inventur«, lautete die Devise. Der IT-Dienstleister hatte noch weitere Herausforderungen zu meistern. So musste beispielsweise mit dem neuen System das bereits flächendeckend in allen deutschen Werken von DaimlerChrysler installierte Finanzsystem Nacos (New Accounting & Controlling)-System unterstützt werden. Dieses wird bereits seit der Jahrtausendwende für das SAP R/3-basierte Finanz- und Rechnungswesen im Konzern eingesetzt. Doch galt es auch, weitere vorhandene Systeme zu berücksichtigen: »Um eine perfekte Anbindung an Bestehendes zu schaffen, mussten wir neben Nacos insgesamt rund 60 Schnittstellen der vielen, unterschiedlichen Subsysteme berücksichtigen – eine Aufgabe, die nicht eben trivial war«, betont Guido Fritz, Account Manager bei Siemens Business Services.

Scanner als SAP-Eingabestationen
Projektvorbereitung und Planungsphase, bei denen auch das hauseigene Si­mu­lationswerkzeug von SBS (»Live Kit«) für die Einführung und Weiterentwicklung von SAP-Lösungen eingesetzt wurde, dauerten etwa ein dreiviertel Jahr. Die Realisierung der Planung, wozu ­beispielsweise das Verfeinern der Konzepte, die Kundenanpassungen sowie Integrationstests gehörten, be­nötigten dann noch einmal drei Mo­nate. Danach folgte die etwa fünfmonatige Inbe­triebnahmephase, bei der unter anderem das System in den einzelnen Kostenstellen implementiert wurde. Während dieser Zeit war das Altsystem parallel aktiv, um einen Arbeitsstillstand zu vermeiden. »Die Testphase verlief dabei so reibungslos und realitätsnah, dass es viele Mitarbeiter gar nicht be­merkten, als die neue Lösung live geschaltet wurde«, freute sich Projektleiter Michael Rauch. Seither läuft die neue Lösung mit einer Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit auf vier Unix-Servern. Das sind ein SAP Web-Applikations-Server sowie ein Datenbank- und zwei Applikationsserver, welche zu dritt das SAP-Produktivsystem darstellen. Als Test- und Entwicklungsumgebung stehen zwei weitere SAP-Systeme zur Verfügung. An den Web-Applikations-Server sind rund 350 mobile Scanner im Funk-LAN angebunden. 170 Drucker in den Produktionshallen sowie 500 PCs sind darüber hinaus im Werk angeschlossen. Das Besondere an der SAP for Automotive-Installation in Kassel sind die über Funk-LAN direkt an die SAP-Lösung angeschlossenen mobilen Scanner der Firma Symbol. Das entbindet 98 Prozent der DaimlerChrysler-Mitarbeiter in der Produktion von der Benutzung einer Tastatur. Diese Mitarbeiter haben also keinen unmittelbaren Kontakt mit der SAP-Lösung. Das bringt neben der Fehlervermeidung bei der Dateneingabe auch den Vorteil der leichten Erlernbarkeit mit sich. Sämt­liche erforderlichen Eingaben vom Wareneingang über die gesamte Fertigung bis hin zum Versand erfolgen drahtlos über Scanner. Dabei sind die Datenerfassungsgeräte über eine zertifizierte Zusatzsoftware von Mobisys an die SAP-Lösung angeschlossen, um so für entsprechende Sicherheit und Performance zu sorgen.

Durchgängig unter­stützte Logistikkette
Das angestrebte Ziel von DaimlerChrysler am Standort Kassel war mit der Einführung von SAP for Automotive klar umrissen: Mit der neuen Lösung sollte die logistische Prozesskette durchgängig unterstützt werden, und zwar angefangen vom Materialabruf über die Direkt­anlieferung und Qualitätssicherung bis hin zur Fertigung, Montage und Versand an den Kunden. An einem Beispiel lässt sich zeigen, wie der Material-Prozess heute prinzipiell funktioniert. Ein Mitarbeiter fordert in der Produktion exemplarisch via Scanner Material vom Lager an. Dabei hilft ihm die Anforderungsmaske auf dem Scanner und die als Barcode erfassbare Teilenummer. Das Lager stellt daraufhin das angeforderte Material in den Transport. Mit Bestätigung des richtigen Lagerplatzes per Scan werden die Behälter in den Transport gebucht. Anschließend geht das Material vom Transport aus in die Fertigung. Dort erfolgt das Anscannen der Zielkostenstelle über Barcodekennung vor Ort. Daraufhin werden die Fertigteile hergestellt und deren Verfügbarkeit über die Teilerückmeldung bestätigt. Die Material-Begleit-Karten (MBK) werden automatisch gedruckt und an den Transport-Behälter geheftet. An jedem Eingabepunkt im Prozess wird der Barcode auf der MBK gescannt. Dieses Vorgehen entspricht dem Auftrags-Kanban-Verfahren; die Logistik wird sowohl auf dem Papier als auch elektronisch verfolgt. Anschließend erfolgt die Materialanforderung der Montage an die Fertigung, etwa mit dem Hinweis: »Bestand von Bremsscheiben zu niedrig«. Daraus entsteht ein Transportauftrag in der Fertigungskostenstelle, die dann – sofern die Komponenten verfügbar sind – diese an die Montage liefert. Gleichermaßen kann natürlich auch die Montage Kaufteile aus dem Lager bestellen.

Verzögerungen ­verständlich
Wenngleich sich im gesamten Projektverlauf gezeigt hat, wie harmonisch die 18 Mitarbeiter des IT-Dienstleisters mit den 60 Projektmitarbeitern seitens DaimlerChrysler bis hin zur Führungsebene zusammengearbeitet haben, gab es doch einige Herausforderungen, die es zu lösen galt. So verschob sich gegen Ende des Projektes die Produktivschaltung um fünf Monate. Hohberger hält das bei einem so großen Projektumfang für »relativ normal«. Die ur­sprünglich geplante Projektdauer von knapp 21 Monaten sei wirklich sehr kühn gewesen. Man habe indes die kleinen Verzögerungen sehr gut abfangen können.

Andrea Stercken ist freie Journalistin in München


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