»Das Flugzeug spricht mit dir«

6. Mai 2005, 0:00 Uhr |
Die technologische Basis unterstützt die Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern. Claus E. Heinrich, Vorstandsmitglied der SAP

»Das Flugzeug spricht mit dir«. Interview mit Claus E. Heinrich, ­Vorstandsmitglied der SAP

»Das Flugzeug spricht mit dir«

Herr Heinrich, was versteht SAP unter Real Time Enterprise?
Wir verwenden die Begriffe Real Time Enterprise, Adaptive Enterprise oder, bezogen auf ein Business Ökosystem, Adaptive Business Networks, um Unternehmenslösungen zu klassifizieren, die durch Flexibilität, Geschwindigkeit und Anpassungsfähigkeit gekennzeichnet sind. Sie alle beruhen auf einem Konzept, das beschreibt, wie Unternehmen Informationen in Echtzeit von Menschen, IT-Systemen und Objekten erhalten sowie durch die nahtlose Integration unternehmerischer Planung und Ausführung, Geschäftsprozesse schnell anpassen oder ändern und so integrierte, durchgängig vernetzte Wertschöpfungsketten schaffen können.

Das klingt eher nach einem Prozess- als nach einem IT-Konzept?
Ja und nein. Der unternehmerische Wertschöpfungsprozess steht im Mittelpunkt, aber es bedarf der IT, um diese Prozesse zu realisieren: Adaptive Business Networks arbeiten in Echtzeit, liefern Daten direkt in die Business-Anwendungen, die Geschäftsprozesse steuern, und die erhobenen Daten sind überall verfüg- und auswertbar. Maßgeblich beteiligt sind SCM-, CRM- und natürlich ERP-, aber auch MES- und Maschinensteuerungssysteme, zudem spielen analytische Anwendungen und Portallösungen eine zentrale Rolle.

Jedoch scheinen Unternehmen noch nicht soweit zu sein. Wo stehen wir denn heute?
Wenn man die Unternehmenssteuerung mit der Luftfahrt vergleicht, befinden wir uns heute noch im Zeitalter des Sichtflugs. Mit Technologien wie RFID, Sensortechnik und integrierten Softwaresystemen katapultieren sich Unternehmen schlagartig in die Ära des Instrumentenflugs. Während die Piloten früher alles von Hand erledigen mussten, funktioniert das heute weitgehend automatisiert. Dies bedeutet, dass Un­ternehmen über eine Umgebung verfügen, die durch neue Technologien automatisiert ist und sich praktisch selbst steuert

Und was genau ist daran Real Time?
Die nahtlose Integration von Zulieferern-, Partner- und Kundenprozessen stellt Informationen sofort zur Verfügung. Technologien wie RFID oder Sensoren erfassen diese zu alltäglichen Geschäftsvorfällen in Echtzeit, und liefern diese Daten direkt in die ERP-Anwendungen. Ein weiterer Aspekt betrifft die Verwendung: Echzeitinformationen kön­nen schnell verarbeitet und ausgewertet werden. Hierzu sind analytische Anwendungen sowie rollenbasierte Zugriffe auf diese Anwendungen und auf Daten prädestiniert, um genau die Informationen zu erhalten, die benötigt werden.

Das klingt nach Zukunftsmusik. Wer betreibt denn heute solche Netzwerke, solche Anwendungen?
Zum Beispiel Procter & Gamble (PNG). Der Konzern beschäftigt 110000 Mitarbeiter in 80 Ländern der Erde. Keith Harrison, der Global Product Supply Officer, erläutert in meinem Buch »RFID & Beyond«, dass eine auf Absatzprognosen basierende Lieferkette, wie sie das Unternehmen in den 90er Jahren installiert hatte, heute nicht mehr angemessen ist. Heute gilt es, differenzierte Wege der Wertschöpfung zu etablieren, die sich an den aktuellen Kundenanforderungen ausrichten.

Was hat Procter & Gamble unternommen, wie wurde die IT ausgerichtet?
Die Herstellung wird heute nach dem tatsächlichen Bedarf gesteuert, nicht nach der Prognose. Dafür wurde ein durchgängiges Real Time-Informati­onssystem aufgebaut, das die Komplexität der Lieferketten abbildet, inklusive aller Differenzierung der verschiedenen Produkt- und Vertriebslinien. Der wichtigste Punkt ist dabei, die POS-Daten direkt der Fertigung und den Zulieferern verfügbar zu machen. Der Absatz ist also die Basis der Produktionsplanung. Die Herausforderung ist, die Informationen über die Kundenanforderungen - also POS- und CRM-Informationen - direkt in die Planungssysteme der Produktion zu bringen.

Gibt es noch andere Kundenbeispiele von Echtzeitunternehmen?
Selbstverständlich. Zu nennen sind zum Beispiel Delta Airlines. Sie statten die Ersatz- und Abnutzungsteile ihrer Flugzeuge mit Sensoren aus, die dort erhobenen Daten fließen in ein Steuerungssystem. »Das Flugzeug spricht mit dir«, nennt es Ray Valeika, Senior Vice President for Technical Operations bei Delta. Auch Airbus SAS arbeitet mit RFID: Präzisionswerkzeuge zur Reparatur hochsensibler Flugzeugteile werden vom Unternehmen im Leasing-Verfahren auch an Wartungsgesellschaften verliehen. Ausgestattet mit RFID-Etiketten, liefern sie alle wichtigen Informationen zur Identifizierung und Lokalisierung direkt, und beherbergen darüber hinaus Daten zu ihrem gesamten Lebenszyklus.

Wie wird die Entwicklung der sogenannten Adaptive Business Networks weiter gehen?
Adaptive Business Networks sind für SAP ein Konzept, kein Softwareprodukt. Das wird schon wegen der individuellen Anforderungen der Unternehmen auch so bleiben. Weitere Vorstöße werden durch die rasante Entwicklung von Sensor-Technologien und vor allem von RFID  und die Einbindung dieser Daten in ERP-Systeme sowie von serviceorientierten Architekturen und Integrationstechniken forciert.  


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