Immer Schwierigkeiten mit ERP-Lösungen. ERP und Unternehmen - das ist eine Beziehung wie in einer gut funktionierenden, routinierten Ehe: Man kennt sich, man vertraut und braucht sich, und kommt mal etwas Neues ins Spiel, gibt es meist Probleme. Die InformationWeek befragte ERP-Anwender im Retail-Bereich zu ihren Erfahrungen.
Wilfried Gast, Vorstand von Gravis: "Die ERP-Lösung, die wir ausgewählt haben, bildet unsere Bedürfnisse am eindeutigsten ab."
Foto: Gravis AG
ERP (Enterprise Ressource Planning) ist ein alter Hut, jeder kennt es, jeder hat es - oder etwa doch nicht? Eine Umfrage bei mittelständischen Anwendern ergab, dass es allen ERP-Elogen zum Trotz noch große Unterschiede gibt, von den Early Adopters, die mittlerweile über eine Nachfolge-Generation nachdenken oder bereits gewechselt haben, bis hin zu Unternehmen, die sich relativ neu mit der Thematik befasst haben. Ähnlich unterschiedlich sind deswegen auch die Anforderungen, die ein Handelsunternehmen an sein ERP-System stellt, ob es sich offen dazu bekennt oder unter dem Nimbus des Betriebsgeheimnisses sich nur nebulös darüber äußern möchte. Überraschende Übereinstimmung gab es allerdings bei zwei Punkten: Jedes Unternehmen hatte Schwierigkeiten bei der Implementierung - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - und fast jedes erklärt im Nachhinein, dass ein unabhängiges Beraterteam gute Dienste hätte erweisen können.
Hermann Haug, Geschäftsführer bei Poschmann + Neff, einem Optik-Großhandel, erklärt dies näher: "Der Vorteil von externen Dienstleistern besteht vor allem darin, dass sie sich auch mit den Schwachstellen, die nun mal jedes System besitzt, auskennen. Das schützt vor betriebsblinder Euphorie." "Mindestens genauso wichtig ist es aber, zuvor seine Anforderungen genau zu analysieren und sich nicht von tollen Features blenden zu lassen. Dann fällt die Entscheidung leicht", ergänzt Robin Wittland aus der EDV-Abteilung der Wortmann AG, einem Handelshaus der IT-Branche mit 5500 Wiederverkäufern. Eine Ansicht die auch Markus Jeßberger teilt, seines Zeichens Abteilungsleiter EDV beim Produzenten von Musikzubehör König & Meyer. "Funktionalität, ein den Bedürfnissen angepasstes System und ein leicht zu erreichender Dienstleister sind enorm wichtig. Kein Mittelständler kann es sich leisten, auf Support zu verzichten oder eine überdimensionierte Lösung einzusetzen."
Was dabei als überdimensioniert gilt, ist verständlicherweise sehr unterschiedlich. Finanzbuchhaltung, Zahlungsverkehr, Einkauf, Verkauf, Ausschreibungen, CRM, Lager, Seriennummernverwaltung, Service, Call Center, Retouren, Produktionen, Logistik, Versand, Statistiken und Kundenportal, das ist beispielsweise die lange Liste der "Muss-Kriterien" bei Wortmann. Und weil diese Liste so lang ist, ist Wortmann auch "wunschlos glücklich" mit seinem ERP-System. Wittland: "Wir optimieren nur weiterhin die Abläufe und implementieren neue Funktionen." Auch Haug von Poschmann + Neff ist grundsätzlich mit seinem ERP-System zufrieden. Zu bedenken gibt er allerdings, dass "alles auch eine Frage des Geldes ist." So wohl auch die ERP-Lösung bei Media Saturn. Ganz im Sinne seines Slogans "Geiz ist geil" setzt der Händler lediglich im Backoffice auf gekaufte Lösungen, nämlich Finanzen und HR von SAP. "Der Rest der eingesetztes Komponenten, etwa Warenwirtschaft oder Kassensysteme, sind Eigenentwicklungen", lässt Manuela Drexelius von der Unternehmenskommunikation bei Media Saturn sparsam verlauten und kann sich auch keine weiteren Wünsche an das ERP-System vorstellen.
Markus Jeßberger, Abteilungsleiter EDV bei König & Meyer: "Funktionalität, ein den Bedürfnissen angepasstes System und ein leicht zu erreichender Dienstleister sind enorm wichtig."
Foto: König & Meier
Ganz anders stellt sich die Situation bei der Gravis AG dar. Wilfried Gast, Vorstand von Gravis erzählt gerne über seine ausgewählte Software der Bäurer GmbH und wünscht sich ständige Verbesserungen. Die Apple-Macintosh-Handelskette hat sich für den mittelständischen Hersteller und dessen Lösung B2Trade entschieden weil, so erläutert Gast: "Die Lösung von Bäurer kommt im Vergleich zu anderen Software-Lösungen unseren Vorstellungen am nächsten und sie bildet unsere Bedürfnisse am eindeutigsten ab". So hatte das Handelsunternehmen im Vorfeld - ähnlich wie Media Saturn - versucht, verschiedene Software-Lösungen zu verbinden, gab dies aber nach grossen Schwierigkeiten beim Datentransfer und der Synchronisation wieder auf und entschied sich deshalb für eine Komplettlösung.
Für Markus Jeßberger wäre ein Web-Client wünschenswert und auch die Anbindung des Außendienstes könnte bei seinem ERP-System reibungsloser funktionieren. Mit diesem Wunsch hat er genau die Richtung formuliert, in die sich nach Ansicht von Rüdiger Spies, Vice President Enterprise Applications bei der Meta Group, der Markt entwickeln wird: "ERP zeigt eine klare Tendenz in Richtung Web-Services. Auch die Anbindung von externen Mitarbeitern wird künftig mehr thematisiert." Außerdem wird sich ERP von einer Business-Software zu einem Business-Backbone weiterentwickeln, orakelt Spies weiter.
Sollte also ERP den Sprung von einer softwarelastigen Lösung zu einem offenen Backbone-System schaffen, dann dürfte das zu Anfang genannte Problem der Implementierung wohl hinfällig werden. Noch ist es aber nicht so weit, die Implementierung eines neuen Systems oder das Ablösen eines alten stellt fast jedes Untenehmen vor bedeutende Hürden. Ganz massive Probleme hatte beispielsweise Hermann Haug zu beklagen. "Ein unerfahrener Projektleiter und ein fahrlässiges Systemhaus haben mir ganz schön zu schaffen gemacht." Robin Wittland von Wortmann, der Navision einsetzt, hatte eher mit der technischen Seite zu kämpfen: "Wir nutzen Microsoft Navision Attain 3.01B mit dem MS SQL Server 2000. Zwar wurde Navision Attain für den SQL Server 2000 angeboten, doch gab es bezüglich der Performance einige Optimierungen, die wir für unsere angepasste Version durchführen mussten. Die Verbesserungen liegen auf der einen Seite auf der verwendeten Serverhardware und auf der anderen Seite bei der Programmierung, sowie der Auswahl der Schlüssel, die in Navision verwendet werden." Zwei Stimmen, ein Tenor: Implementierung kostet Nerven. Fast keine Problem bei der Implentierung hatte lediglich Jeßberger - vielleicht als gerechten Ausgleich für seine noch offenen ERP-Wünsche: "Echte Probleme bei der Implementierung hatten wir glücklicherweise nicht, eher mit der Philosophie von Navision. Wir vermissen eine 100-Prozent-Lösung. Navision setzt manchmal zu sehr auf Partnerschaften."
Anbieter von ERP-Lösungen für Retailer Baan
www.baan.com bäurer
www.baeurer.de Intentia
www.intentia.com Microsoft Navision www.microsoft.com/germany/businesssolutions/ navision/default.mspx Oracle
www.oracle.com Peoplesoft / J.D.Edwards
www.peoplesoft.com SAP Business One www.sap.com/solutions/smb/businessone
Dass Jeßberger vor allem mit der ERP-Philosophie Probleme hat, könnte eventuell daran liegen, dass er zu den alten ERP-Hasen gehört und im Lauf der Jahre die Tücken seines Systems kennen gelernt hat. Bereits seit Anfang 1999 läuft das aktuelle ERP-System im Unternehmen und auch zuvor hatte König & Meyer eine ERP-Lösung im Einsatz. "Die Lebensdauer der ERP-Systeme ist immens lang", erklärt Spieß von der Meta Group. "Deswegen wächst der Markt zurzeit auch minimal, es herrscht eher eine Verdrängungsphase." Erst vor rund zwei Jahren hingegen haben sich Poschmann + Neff sowie Wortmann für eine neue Lösung entschieden. "Eine heterogene Landschaft von vier unterschiedlichen Systemen war auf Dauer nicht mehr tragbar, da wir sie nicht mehr weiter entwickeln konnten", so Wittland. "Deswegen haben wir die Euro-Umstellung zum Anlass für einen Wechsel genommen", erzählt Haug.
Doch egal, ob es um einen Wechsel geht oder darum, ein bestehendes System aufzurüsten, eines zeigt sich klar bei allen Anwendern: Es gibt keine Alternative zu ERP-Systemen - und man sucht sie auch nicht.