Wie LLMs das Marketing neu definieren
Sichtbarkeit in LLMs basiert nicht mehr auf Keywords, sondern auf radikaler Relevanz. Entsprechend gilt es das Marketing umzubauen, um Menschen und Maschinen gleichermaßen zu begeistern.

Künstliche Intelligenz verändert in atemberaubender Geschwindigkeit, wie wir Marken im Digitalen kontaktieren und mit ihnen interagieren. Was gestern noch SEO war, um hohe Nutzerzahlen zu generieren, ist heute GEO – Generative Engine Optimization. Der Grund für den Wandel: An der neuen Schnittstelle zwischen Kunde und KI gelten andere Spielregeln. Wir suchen nicht mehr, wir prompten. Wir erwarten Passgenauigkeit. Wir erwarten Antworten auf lebensnahe, persönliche Fragen zu Produkten und Services, und wir wollen Empfehlungen, die objektiv, relevant und werbefrei auf unsere Situation zugeschnitten sind. Aufwändige, händische Produktvergleiche oder endlose Tab-Recherchen verschwinden aus unserem Leben. KI übernimmt diese Arbeit als vertrauter Co-Pilot.
Ein Beispiel: Wer heute einen neuen Mobilfunktarif sucht, musste bislang Vergleichsportale durchforsten, Kleingedrucktes studieren und Optionen wie Datenvolumen, 5G-Abdeckung oder Auslandspakete gegeneinander abwägen. Ein LLM-basierter Assistent fragt stattdessen nach den individuellen Bedürfnissen – etwa „Ich streame sehr viel unterwegs, bin beruflich oft in Kapstadt und möchte das am besten getestete Klapphandy“ – und erstellt daraus in Sekunden eine transparente, maßgeschneiderte Empfehlung, die die besten Tarife und Hardware mehrerer Anbieter objektiv gegenüberstellt.
Dieses Beispiel macht klar: Menschen verlassen sich auf ihren digitalen “Life Companion” – ein LLM-basiertes KI-System, das sie versteht, Muster erkennt, mitlernt und Vertrauen aufbaut. Sam Altman, CEO von OpenAI, bezeichnete jüngst die Memory-Funktion von ChatGPT als eines der wichtigsten Features für die Zukunft. Je besser KI sich an individuelle Präferenzen erinnert, desto selbstverständlicher wird ihre Rolle im Alltag der Menschen. Die Nutzung steigt exponentiell – ob ChatGPT, Gemini oder Claude. Vor allem bei komplexen Entscheidungen etabliert sich ein neues Suchverhalten, das klassische Suchmaschinen und deren Werbelogiken rund um Keywords und Ad Spendings im Sinne der Werthaftigkeit für Menschen – und damit auch für Kunden –abhängt.
Marketing im Schatten der KI
Für Unternehmen und Marken bedeutet dieser Wandel eine Zäsur. Wer in den Antworten der LLMs nicht auftaucht, existiert im Kaufentscheidungsprozess mitunter nicht mehr. Und wer dort schlecht bewertet wird, verliert möglicherweise Marktanteile. Der Wettbewerb verlagert sich von Platzierungen in Suchergebnissen (Ranks) hin zur Präsenz im KI-Dialog (Mentions).
Solange eine Bezahlvariante in LLMs für mehr Markenpräsenz- und Aufmerksamkeit nicht existiert – sie würde ohnehin bei bislang gewohnter Implementierung auch das Nutzervertrauen in die KI potenziell konterkarieren – ist die einzige Währung im LLM-Kosmos radikale Relevanz. Nur Inhalte, die relevant sind, schaffen Vertrauen, nur Marken, die als relevant gelten, werden empfohlen. Das Spannende: Diese Relevanz ist heute messbar. Prompt-Analytics ermöglichen es, die Sichtbarkeit, die Qualität von Empfehlungen und sogar das Sentiment in den Antworten der KIs systematisch und statistisch stabil zu erfassen.
Um dabei als Marke langfristig erfolgreich zu bleiben, gilt es entsprechend das Marketing umzubauen. Dabei sind folgende zwei Bausteine entscheidend:
Der taktische Umbau zum maschinenlesbaren System
Die erste Ebene ist primär struktureller Natur: Inhalte müssen so gestaltet werden, dass LLMs sie optimal verarbeiten können. Keywords allein reichen nicht mehr. Gefragt sind konversationale Strukturen, inhaltliche Tiefe und E-E-A-T (Experience, Expertise, Authority, Trust). Aktualität und Faktentreue gewinnen an Gewicht. Wer seine Daten sauber pflegt und Inhalte konsistent hält, wird von KI-Systemen als zuverlässig eingestuft.
Dazu kommt die technische Basis. AI-kompatible Strukturen wie Schema Markup, Metadaten oder strukturierte Feeds erleichtern das Verarbeiten. Performante, API-first-Architekturen stellen sicher, dass Informationen crawlbar und anschlussfähig sind. Neue Standards wie das Model Context Protocol deuten an, wie Marken künftig direkt mit LLMs interagieren können und geben Orientierung für die Umstellung.
Sichtbarkeit in LLMs entsteht nicht mehr primär über Klicks, sondern über kontextrelevante Erwähnungen. Snippets, präzise Daten und transparente Quellenlogik werden zum Hebel für Aufmerksamkeit. Marken brauchen deshalb eine technische Infrastruktur, die kontinuierlich überprüft, wie sichtbar sie in LLM-Antworten sind. AI-Visibility-Benchmarking ist kein „Nice to have“, sondern eine Kernaufgabe des Marketings der Zukunft.
Der strategische Umbau zur maschinenpräferierten Seele
Doch Struktur und Technik allein genügen nicht. Ohne eine klare strategische Grundlage verpuffen Maßnahmen. Der zweite Baustein fokussiert entsprechend auf Markenführung, Produktdifferenzierung und der durchgehenden Präsenz einer Marke im Kaufentscheidungsprozess. Denn LLMs aggregieren alles, was über eine Marke verfügbar ist: nutzergenerierte Inhalte, Expertenmeinungen, Studien, Presseberichte und Selbstbeschreibungen. Daraus formen sie Antworten und Empfehlungen. Marken stehen vor der entscheidenden Frage: Empfiehlt die KI meine Produkte – und wenn nicht, warum nicht?
Rankingfaktoren aus dem Unternehmenskontext
Die Stärke und Differenzierung einer Marke sind für LLMs ein gewichtiges Rankingkriterium. Beliebige Claims, wolkige Markenattribute oder austauschbare Markenpyramiden greifen nicht mehr. KIs identifizieren Substanz – und decken Schwächen auf. Unternehmen, die inhaltsleere Versprechen abgeben, verlieren Sichtbarkeit. Authentizität, klare Werte und differenzierende Positionierung hingegen schaffen Vertrauen.
Neben der Marke stehen auch die Produkte auf dem Prüfstand: LLMs analysieren systematisch, welche Nutzenversprechen tragfähig sind. Preis, Qualität, Service, Erlebnis oder Status – entscheidend ist, ob Faktoren wie diese je nach Branche klar erkennbar und konsistent dokumentiert sind. Unternehmen müssen sich fragen: In welchen Dimensionen sind wir führend? Wo differenzieren wir uns bewusst – und wo nehmen wir in Kauf, nicht erste Wahl zu sein?
Diese Klarheit fehlt oft, weil wirklich strategisches Produktmarketing in einer Flut von Features untergeht. LLMs jedoch abstrahieren und filtern, was wirklich maßgeblich ist.
Schließlich bewertet KI auch die Qualität der Customer Journey im E-Commerce. LLMs spiegeln, ob Marken ihre Kunden entlang des Funnels konsequent begleiten – von Aufmerksamkeit über Vergleich und Reassurance bis zum Kaufabschluss.
Fehlt diese Anschlussfähigkeit in den einzelnen Phasen in der Customer Experience pro Zielgruppe, sinkt die LLM-basierte Conversion-Rate. Wer hingegen in allen Phasen relevant ist, bleibt präsent. Das erfordert nicht nur taktische Maßnahmen, sondern die Renaissance klassischer Strategie-Instrumente: klar definierte Personas, präzise Intents, definierte Wertsysteme. Auf diese Weise lässt sich Content zu Marken und Produkten entwickeln, der Kundenerwartungen erfüllt und damit auch die KI überzeugt.
In Bezug auf die datenbasierte Analyse und damit die Steuerbarkeit dieser Maßnahmen vollzieht sich ein Paradigmenwechsel. Viele Faktoren, die lange als „weich” galten, werden in LLMs eindeutig trackbar.
Sowohl im Hinblick auf die Markenbotschaften als auch in Bezug auf die Produkt- und Preisdifferenzierung machen Prompt-Analytics ungenutzte Potenziale mess- und sichtbar: Sie lassen etwa erkennen, ob Markenbotschaften bei Kunden und Experten ankommen – oder ob sie ins Leere laufen. Daten decken auf, wer Strategiearbeit im Markenbereich verschleppt hat und sie zum Beispiel zugunsten von Sales-Initiativen zu lange hinten angestellt hat. Prompt-Analytics geben weiterhin Aufschluss darüber, ob eine potenziell angestrebte Differenzierung trägt und ob Marken spezifische Kundengruppen über die komplette Customer Journey eines Kaufprozesses konsequent begleiten.
Radikale Relevanz als Imperativ
Marken müssen Maschinen und Menschen gleichermaßen begeistern. Ein paar strukturelle und technische Anpassungen werden nicht ausreichen, um der Tiefe des Wandels gerecht zu werden.
Der erste Schritt ist eine ehrliche Bestandsaufnahme: Wo stehen Marke, Produkt und E-Commerce im Spiegel der LLMs? Sichtbarkeit, Erwähnungen, Sentiment – alles lässt sich messen, und zwar zuverlässig. Von hier aus beginnt der taktische und strategische Umbau.
Marken, die ihr Marketing für die Zukunft aufstellen möchten, müssen gezielt handeln, und Vertrauen, Authentizität und Relevanz schaffen. Wer das versteht, wird in den Antworten der LLMs erscheinen – und damit in den Köpfen und Kaufentscheidungen der Kunden.
Dr. Axel Averdung ist Managing Director bei OH-SO Digital.