Mikrofilm statt Files

30. November 2006, 11:01 Uhr |
Im ZBO (Zentralen Bergungsort) Barbarastollen reiht sich Edelstahltonne an ­Edelstahltonne. Hier wird auf Mikrofilm gelagert, was auch härteste kriegerische ­Auseinandersetzungen überstehen soll. Digitales Kulturgut ist bis heute nicht dabei.

Mikrofilm statt Files Digitale Datenspeicher sind das Medium der Stunde. Doch wenn es um Kulturgut, kritische Situationen und lange Zeiträume geht, setzt man nicht nur in Deutschland auf Mikrofilm.

Was von der deutschen Kultur übrig bleiben soll, falls es hierzulande doch einmal wieder zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, das steckt in einem Stollen bei Freiburg. Dort lagern in tonnenförmigen Edelstahlbehältern rund 630 Millionen Mikrofilm-Aufnahmen, entsprechend 17500 Kilometern Mikrofilm, der auf Rollen aufgewickelt ist. Die Tonnen gibt es in zwei Größen mit 70 und rund 120 Kilo Gewicht. Insgesamt sind es heute 1203, für 4000 Behälter bietet der Stollen heute Platz. In ihnen steckt zum ­Beispiel die Krönungsurkunde Ottos des Großen (936 n.Chr.), die Goldene Bulle (1213), der Mainzer Landfriede (1235) oder der Vertragstext des Westfälischen Friedens (1648). Dazu wurden von der DDR weitere 8200 Kilometer Mikrofilm übernommen. Ein entsprechend langes Maßband reichte, die Erde auf Äquatorhöhe ungefähr halb zu umwickeln. Die Dimensionen des Lagerstollens sind Ehrfurcht gebietend: Unter einer zweihundert Meter dicken Granitschicht erstreckt sich ein 680 Meter langer Hauptstollen, von dem zwei je 50 Meter lange Lagerstollen abgehen. Sie sind drei Meter hoch und 3,40 Meter breit. Bei einer ­Temperatur von um die zehn Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von rund 75 Prozent lagern dort die kulturgefüllten Tonnen. Weil zukünftig auch die Verfilmung von ­Bibliotheksgut geplant ist, dürfte es bald eng werden. Inzwischen wird die Lagerung auf zwei Geschossen geplant. Damit vandalierende Krieger den Stollen auch tatsächlich in Ruhe lassen, hängt neben dem Eingang dreifach ein blau-weißes Kulturschutzzeichen, in der Hoffnung, dass die Betreffenden dieses Zeichen auch tatsächlich deuten können. Warum nun Mikrofilm? Warum nicht moderne Digitalspeicher, die doch letztlich eine viel höhere ­Speicherdichte aufweisen würden? (vgl. Interview). Zumal heute viel Kulturgut nur noch digital her­gestellt wird. Man denke an Web­seiten, Audio-Files, multimediale Kunstwerke, ja, sogar die Begleit­dokumentation zu so manchem Fundstück, das im Original im ­Museum steht, aber ­ohne zusätz­liche Texte kaum sinnvoll zu ver­stehen ist. Was geschieht damit? Die Deutsche Nationalbibliothek beginnt mit der Archivierung des deutschsprachigen Web und Fachleute suchen Lösungen (InformationWeek berichtete). Doch das kostet Geld, viel Geld, und woher das kommen soll, ist bisher vollkommen unklar. Bis sich die Spezialisten über geeignete Langzeitspeichermethoden geeinigt haben, bleibt nur zu hoffen, dass nichts passiert, was unsere digitalen Infrastrukturen gravierend stört. Sonst könnte aus der digitalen Wissens-Explosion schnell eine Implosion werden.


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