Online-Verwaltung mit Hindernissen und Chancen

25. März 2004, 0:00 Uhr |

Online-Verwaltung mit Hindernissen und Chancen. Im Jahr 1998 startete die Bundesregierung mit Media@Komm eine Initiative zum Thema E-Government. In diesem Jahr soll mit dem Nachfolgeprojekt Media@Komm-Transfer die Umsetzung in der Fläche angestoßen werden. Weitere Projekte sind hinzugekommen. Ariane Rüdiger sprach für Informationweek mit Dr. Andreas Goerdeler, Referatsleiter des Referats Multimedia im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, darüber, welche Erfahrungen bei Media@Komm gewonnen wurden und wie die weiteren Pläne aussehen.

Online-Verwaltung mit Hindernissen und Chancen

Dr. Andreas Goerdeler, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Referat Multimedia: "Wir müssen die Vorteile von E-Government noch deutlicher machen."

Foto: Bundesministerium für Wirtschaft. und Arbeit

Herr Dr. Goerdeler, im internationalen Vergleich liegt Deutschland beim E-Government nur im Mittelfeld. Woran liegt das?

Ich möchte betonen, dass das nur für den Durchschnitt der Gemeinden gilt. Bei den Spitzenleistungen liegen wir international ganz vorn. Das betrifft vor allem die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit geförderten Projekte in Nürnberg und Umgebung, Bremen und Esslingen, den Gewinnern des Projekts Media@Komm. Im Rahmen dieser Projekte wurden neue Infrastrukturen, Verfahren und Technologien entwickelt und erprobt, die elektronischen Transaktionen höchste Datensicherheit verleihen und die Integration und Interoperabilität der verschiedenen elektronischen Signaturen realisiert haben. Aktuelle Experteneinschätzungen machen deutlich, dass Deutschland in diesen zentralen Bereichen des elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehrs weltweit die Nase vorn hat. Nicht zuletzt deshalb hat das internationale Interesse an den Media@Komm-Lösungen in jüngster Zeit deutlich zugenommen. Bremen hat zum Beispiel im Jahr 2003 den European E-Government-Preis gewonnen. Auch Esslingen ist mit seinem virtuellen Bauamt ganz vorn mit dabei. Dieses Bauamt wickelt alles - von der architektonischen Planung bis zur Baugenehmigung - mit hohen Sicherheitsvorkehrungen online ab. Insgesamt wurden in diesen Städten über 300 E-Government-Anwendungen entwickelt.

Dennoch ist richtig, dass der Einsatz in der Fläche noch besser werden muss. Wir müssen Lösungen für Fragen finden, die aus unserem föderalen Systemresultieren. Wir müssen zudem darauf hinwirken, dass die Akzeptanz der mit E-Government verbundenen Umstrukturierungen bei den hiervon betroffenen Mitarbeitern erhöht wird.

Gibt es inzwischen Ansätze, diese Hemmnisse aus dem Weg zu räumen?

Sicher. Bei den Schnittstellen zum Beispiel gibt es große Fortschritte: Im Rahmen Media@Komm wurde mit OSCI (Online Services Computer Interface) ein Standard für den sicheren und verlässlichen Datentransport einschließlich der Signatur entwickelt. Er ist die Grundlage zum Beispiel für die virtuelle Poststelle, mit der sich signierte und verschlüsselte Meldungen weiterleiten lassen, ohne dass derjenige, der sie an den vorgesehenen Empfänger weiterschickt, den Inhalt sieht. Die Meldungen können dabei auch mit einem Zeitstempel wie bei einer konventionellen Poststelle versehen werden. OSCI wurde inzwischen auch in die internationale Standardisierung eingebracht. ISIS-MTT zur Sicherstellung der Interoperabilität elektronischer Signaturen ist ein weiteres Beispiel.

Mit SAGA (Standards und Architekturen für E-Government-Applikationen) hat der Bund die Schnittstellen zu den E-Government-Lösungen der Bundesverwaltung offengelegt. Darauf haben Bund, Länder und Gemeinden ein E-Government-Architekturmodell entwickelt.

Von herausragender Bedeutung ist, dass die Regierungschefs in Bund und Ländern gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden im Sommer letzten Jahres die Initiative Deutschland Online beschlossen haben. Sie ist die Basis für eine bundesweite Vereinheitlichung von Verfahren. Ein Beispiel ist der flächendeckende Einsatz des Online-Meldeverfahrens - ein echter Durchbruch: Bei einem Umzug kann die Abmeldung online erfolgen. Das Verfahren baut auf den Entwicklungen von OSCI und X-Meld auf. Dies ist ermutigend für weitere Standardisierungen, etwa im Bereich des Bau-, Kfz- oder Sozialwesens.

Deutschland hängt zum Beispiel bei der Kosten-Nutzen-Bewertung hinter anderen Ländern zurück. Warum?

Es ist richtig, dass wir die Vorteile von E-Government noch deutlicher klar machen müssen: schnellere Prozesse und keine Medienbrüche etwa. Dennoch ist gerade die Nutzenmessung ein komplexes Thema, denn viele Nutzeffekte lassen sich nur schwer quantifizieren. Beim virtuellen Bauamt ist das relativ klar: Dort dauert die Bearbeitung eines Antrags online ein Drittel kürzer. Bei der Durchführung von Online-Mahnverfahren werden Einsparungen an Personal erzielt, das woanders in der Verwaltung sinnvoller eingesetzt werden kann. Aber was ist mit der Online-Buchung eines Volkshochschul-Kurses übers Internet? Deren Nutzen in Zahlen zu erfassen, ist schon erheblich schwerer. Manchmal liegt das Problem auch darin, dass Systeme, die auf Online-Lösungen umgestellt werden, eine Zeit lang parallel online und offline laufen. Dann wandern manche Benutzer zur Online-Variante, manche nutzen die konventionelle. Wenn man dieses Wanderungspotenzial falsch einschätzt, sind alle Nutzenberechnungen für die Übergangsphase bereits Makulatur.

Wo sehen Sie weitere Schwachstellen?

Wir müssen die Reorganisation von Geschäftsprozessen entschlossener angehen. Viele Verwaltungsprozesse können durch E-Government erheblich vereinfacht werden. Ein Beispiel: Müssen wirklich alle Kommunen einzeln die Hundesteuer erheben? Oder geht das in einer gemeinsamen elektronischen Lösung vielleicht besser und billiger? Außerdem müssen wir Front- und Backend aufeinander abstimmen. Es nutzt nichts, wenn über ein hypermodernes Internet-Interface altertümliche Abläufe im Hintergrund in Bewegung gesetzt werden. Die Effekte verpuffen dann. Schließlich müssen wir die Betroffenen, also die Verwaltungsmitarbeiter und Bürger, zu Beteiligten machen. Dafür gibt es schon gute Beispiele: Die Personalräte waren zu Anfang sehr skeptisch gegenüber E-Government. Mittlerweile hat sich das gelegt. Zusammen mit Ver.di wurden sogar mit der Esslinger Erklärung gemeinsame Grundsätze für die Gestaltung von E-Government-Systemen herausgegeben.

Zurück zu Media@Komm: Drei beispielhafte Kommunen bisher - das ist nicht viel. Wie soll es weitergehen?

Wir haben auf unser Interessenbekundungsverfahren für Media@Komm-Transfer hin Rückmeldungen von 100 Kommunen bekommen, die an dem Transferprojekt teilnehmen möchten und werden rund 20 davon auswählen. Zudem suchen wir eine Art Kümmerer, also eine Institution, die diese Kommunen während des gesamten Transferprozesses beratend unterstützt und dort Veranstaltungen organisiert etc.

20 von 14000 Gemeinden - das ist immer noch nicht viel mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Nein. Wir hoffen, dass von diesen 20 Akteuren ein Schneeballeffekt in die Regionen ausgeht. Es handelt sich ja nicht nur um Städte, sondern auch um andere Gebietskörperschaften, zum Beispiel Landkreise. Außerdem möchten wir möglichst aus jedem Bundesland mindestens einen Teilnehmer, um den Transferprozess flächendeckend anzulegen. Ausgeschlossen sind lediglich die drei Preisträger von Media@Komm.

Werden die ausgewählten Gemeinden und Kreise auch finanziell unterstützt?

Direkt nicht. Sie müssen ihr eigenes Wissen und ihre Ressourcen einbringen. Indirekt schon, in Form der genannten koordinieren Organisation, die berät, Prozesse anstößt und Veranstaltungen organisiert. Auch hierfür ist Geld nötig, und das kommt vom Bund.

Verfolgt Media@Komm-Transfer weitere Ziele außer der größeren Verbreitung von E-Government?

Ja. Wir hoffen, dass die Kommunen Referenzlösungen entwickeln, die andere dann ebenfalls verwenden können - im Sinne von "Einige für alle". Das Rad muss schließlich nicht an jedem Ort neu erfunden werden. Möglichst jede teilnehmende Kommune oder Körperschaft sollte die Verantwortung für ein Projekt übernehmen. Außerdem würden wir uns wünschen, unsere Arbeitsergebnisse, wo sich das anbietet, zu internationalisieren. Wir könnten für andere Länder Vorbild sein und unsere Lösungen dorthin transferieren. Dabei denken wir besonders an Länder, die verwaltungsorganisatorisch eine ähnliche Geschichte haben wie wir, zum Beispiel in Osteuropa. Workshops mit russischen Regierungsvertretern hat es bereits gegeben.

Gibt es auch Gemeinden, die bereits selbständig E-Government-Verfahren entwickelt haben, ohne sich den Bundes-Initiativen anzuschließen?

Natürlich. Viele Kommunen haben seit vielen Jahren Erfahrungen mit E-Government gesammelt. Beispiele sind Städte wie Mannheim, Köln oder Leipzig.

Sehr viele Gemeinden sind bereits im Internet, allerdings meistens nur mit Informationen, nicht mit transaktionsorientierten Verfahren. Das ist der zweite Schritt, der jetzt folgen soll.

Bedeutet das nicht viele inkompatible Parallelentwicklungen?

Die aktuellen Entwicklungen, insbesondere im Rahmen von Deutschland Online und Media@Komm-Transfer, machen uns Hoffnung, zu kompatiblen, einheitlichen Lösungen zu kommen.

Aktuelle Experteneinschätzungen machen deutlich, dass Deutschland in zentralen Bereichen des elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehrs weltweit die Nase vorn hat. Dr. Andreas Goerdeler, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit

Wo bleibt da der Investitionsschutz?

In der IT fallen häufig Migrationen an. Im Rahmen einer solchen Migration können Gemeinden zu einem der standardisierten Verfahren wechseln. Insofern haben wir da auf die Dauer keine Bedenken. Viel schlimmer wäre es, gar nicht damit zu beginnen, die Systeme zu vereinheitlichen.

Wie kommt E-Government bei Bürgern und Wirtschaft an?

Die Bürger haben hohe Erwartungen. Sie wollen nicht mehr wegen jeder Formalie zum Amt laufen. Allerdings müssen sie dafür auch das Internet nutzen - gegenwärtig liegt der Nutzungsgrad hierzulande bei 50 Prozent. Im Rahmen des Masterplans Informationsgesellschaft 2006 der Bundesregierung sollen bis Ende 2005 drei Viertel der Bürger das Internet nutzen. Besonders Ältere nutzen das Internet noch zu selten. Die Bürger müssen außerdem auch über die Angebote Bescheid wissen, das heißt, die Verwaltung muss stärker auf die Online-Möglichkeiten und ihre Vorzüge aufmerksam machen.

Was die Wirtschaft angeht, werden wir dabei in Zukunft stärker mit dem DIHK (Deutschen Industrie- und Handelskammertag) sowie dem ZDH (Zentralverband des Deutschen Handwerks) zusammenarbeiten, vor Ort mit den lokalen Handwerks- und Handelskammern. Eine erste Informationsveranstaltung in dieser Richtung hat es hier im Ministerium bereits gegeben.

Viele Gemeinden werden anspruchsvolle Vorhaben nicht allein umsetzen können. Ist hier Private-Public-Partnership eine Möglichkeit?

Eine sehr gute sogar. In Bremen werden die Projekte von BOS (Bremer Online Service), einem Gemeinschaftsunternehmen der Stadt Bremen und der Wirtschaft, umgesetzt. Bisher hat es sich als vorteilhaft erwiesen, dass das Unternehmen von vornherein davon ausgeht, seine Projekte nach außen vermarkten zu müssen. Natürlich wird sich erst jetzt, nach Auslaufen der Förderung zeigen, ob diese Einschätzung dauerhaft zutrifft. An "Governikus", der Bremer Lösung für OSCI, besteht jedenfalls schon reges Interesse. In Nürnberg konnte das Gemeinschaftsunternehmen Curiavant gleich den Nutzen einer gemeinsamen Plattform für mehrere Gemeinden im Verbund vorführen, da hier diverse Kommunen gemeinsam an dem Projekt teilnahmen.

Ein Thema, das die Wirtschaft besonders betrifft, ist die elektronische Beschaffung, denn die Behörden sind für viele Firmen große Auftraggeber. Was hat sich hier getan?

Im letzten Jahr gab es im Rahmen des Bundesprojekts E-Vergabe die ersten elektronischen Ausschreibungen. Ungefähr zehn Prozent der Bieter haben ihre Unterlagen elektronisch eingesandt.

Das ist nicht gerade viel.

Das stimmt. Aber viele Unternehmen warten noch ab, ob es tatsächlich bei der elektronischen Beschaffung bleibt. Schließlich muss man sich dafür erst eine Signatur besorgen und sie installieren, das Ganze ist also für den Bieter zunächst mit Aufwand verbunden. Die Sicherheitsanforderungen sind hier besonders hoch, weil natürlich niemand will, dass ein Konkurrent das eigene Angebot sieht. Der Bund wird aber ab 2005 seine gesamte Beschaffung nur noch elektronisch abwickeln, und die Wirtschaft sollte und wird sich darauf einstellen.


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