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Kopfnuss

Virtualisierte Grundrechte: Reell nur bedingt tauglich

Kürzlich hat IBM Italien seinen Angestellten die Gewinnbeteiligung gestrichen. Nun wollen die Mitarbeiter von »Il Grande Azzurro « streiken – allerdings nicht ganz konventionell auf der Straße, sondern virtuell im Online-Universum von Second Life.

Autor:Redaktion connect-professional • 19.9.2007 • ca. 1:35 Min

Der E-Arbeitskampf der italienischen IBM-Angestellten ist dabei nur eines von vielen Beispielen für die zunehmende Auslagerung von Grundrechten in den Cyberspace. Einer der ersten Fälle dieser Art ließ sich in China beobachten: Second Life-User aus dem Reich der Mitte eröffneten vor einiger Zeit in der virtuellen Welt ein Territorium namens »Hyde Park Island«. Dies allerdings nicht aus Liebe zu der weitläufigen Londoner Parkanlage, sondern wegen der dort befindlichen Speaker’s Corner. Auf dieser virtuellen Plattform finden gegängelte Chinesen nun, was ihnen im marxistisch-kapitalistischen Alltag sonst verwehrt bleibt: Ihre Redefreiheit.

Einen frühen Anhänger fand die Idee der Rechts-Virtualisierung übrigens im deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble. Im Prinzip hat Schäuble ja nichts gegen die Religionsfreiheit. Allerdings bereiten die Folgen, welche der Bau von Moscheen in deutschen Städten in der Praxis mit sich bringt, dem CDU-Politiker aber doch so manche schlaflose Nacht: Proteste erboster Anwohner, die Verschandelung deutscher Fachwerk-Idyllen durch Minarette und dann auch noch das Thema Hassprediger. Im Innenministerium wird daher derzeit ein Gesetzentwurf vorbereitet, der vorsieht, hierzulande nur noch die Errichtung virtueller Moscheen zu erlauben. Viele Probleme ließen sich so vermeiden – und im Zweifelsfall auch noch ganz schnell ein Bundestrojaner platzieren.

Auch globale Probleme sind übrigens nicht vor dem Trend in den Cyberspace geschützt. Zermürbt vom jahrelangen erfolglosen Kampf gegen Armut, Mangelernährung und Entwicklungsdefizite arbeiten die UN-Organisationen für Welternährung (WFP), Entwicklung (UNDP) und Gesundheit (WHO) an einem revolutionären Plan: Nach dem großen Erfolg der Kampagne »Deine Stimme gegen Armut« und den letztjährigen Live8-Konzerten soll die Lösung der größten Weltprobleme künftig auf die Webseiten der Popstars Bono und Bob Geldof verlagert werden. Ein 24- Stunden-Livestream mit Benefiz- Songs ist bereits in Arbeit.

Bedenklich ist allerdings, dass mit aktiver Hilfe von Google und Yahoo auch so mancher Online- Dissident schon Opfer der chinesischen Stasi wurde, es sich in virtuellen Moscheen nur sehr schlecht beten lässt und selbst ein entzückend geträllertes »We are the world« Hungerleidenden nur bedingt hilft. An der aktiven Ausübung von Grundrechten führt eben doch noch kein Weg vorbei – eine Erkenntnis, die auch die italienischen IBM-Mitarbeiter lernen werden, wenn sie am Ende ihres E-Arbeitskampfs mit der weichen Spielewährung Linden-Dollars statt mit harten Euros dastehen