Künstliche Intelligenz ist auch bei der Instandhaltung in Industrieunternehmen ein Thema. Gerade das Enterprise Asset Management kann von Agentic AI profitieren. Welche Vorteile damit einhergehen und wie man das Team entsprechend einbindet, erklären Steven Elsham und Chris van den Belt von Ultimo.
connect professional: Vor welchen aktuellen Herausforderungen stehen Instandhaltungsteams?
Steven Elsham: Die Instandhaltung leidet unter einer akuten Überalterung, wie eine Befragung mehrerer Hundert Fachkräfte ergab, die wir im Zuge unserer Nachforschungen für den Maintenance Trend Report durchgeführt haben. Das hat, so rund zwei Drittel der Befragten, den größten Einfluss auf ihre Instandhaltungsstrategie. Ihnen zufolge ist die gefährlichste Folge des kontinuierlich steigenden Alters der Fachkräfte der drohende Wissensverlust, der mit dem Ausscheiden erfahrener Instandhaltungsexperten einhergeht. Insbesondere Wissen, das nicht ausreichend dokumentiert wurde, geht dadurch verloren und gefährdet den reibungslosen Betrieb. Eine zentrale Herausforderung ist es daher, dieses sehr spezifische Expertenwissen rechtzeitig zu erfassen und systematisch zu erhalten. Dafür bedürfen Industrieunternehmen einer strukturierten Wissensstrategie, die Erfahrungswerte in zentral zugängliche und praktisch nutzbare Erkenntnisse überführt. Eine weitere aktuelle Herausforderung betrifft die Einführung moderner Werkzeug– ohne qualifiziertes Fachpersonal, das Zugriff auf das gesamte Wissen rund um die Instandhaltung hat, ist die Nutzung solch moderner Technologien eher utopisch.
connect professional: Prädiktive Instandhaltung gibt es schon seit einiger Zeit – macht sie die traditionelle Instandhaltung letztlich überflüssig oder ist das eine zu kurz gedachte Sichtweise?
Steven Elsham: Prädiktive Wartung ist ein integraler Bestandteil moderner Instandhaltungsstrategien. Sie ersetzt jedoch nicht die herkömmlichen Methoden, da Anlagen auch künftig unvorhergesehen ausfallen können. Vielmehr ergänzt sie klassische reaktive und präventive Ansätze, die das Datenfundament für prädiktive Wartung liefern. Ohne diese Daten würden KI-basierte Vorhersagen der Predictive Maintenance nicht funktionieren. Jede Reparatur und jede Inspektion liefert somit Daten, die Unternehmen dabei helfen, einen höheren Reifegrad in Sachen Instandhaltung aufzubauen, ihre Resilienz zu steigern und ihre Strategie zu optimieren. Aus diesem Grund ist es allerdings auch essenziell, die Datenqualität und -verfügbarkeit sicherzustellen.
connect professional: Gibt es aktuell neue Technologien im Hinblick auf agentenbasierte KI im Kontext des Enterprise Asset Managements?
Chris van den Belt: Agentic AI ist im EAM-Kontext insbesondere deswegen hochaktuell, weil die Technologie zwei der größten Herausforderungen der Instandhaltung adressiert: den demografischen Wandel und die wachsende Qualifikationslücke. KI-Agenten agieren als digitaler Kollege, der menschliches Fachwissen ergänzt, Wissenslücken schließt und kritische Prozesse konsistent unterstützt. Sie können repetetive, wenig anspruchsvolle Aufgaben eigenständig übernehmen, was die menschlichen Fachkräfte entlastet. Gerade im Kontext des Environment-, Health- and Safety-Meldemanagements, das bisher ausschließlich auf proaktiven manuellen Meldungen beruhte, erfassen sie nun auch automatisiert relevante Vorfälle und Zustände. Auf diese Weise stellen sie vollständige Transparenz her, die es Verantwortlichen im EHS-Bereich erleichtert, sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Wir bei Ultimo haben beispielsweise einen KI-Agenten entwickelt, der autonom sicherheitsrelevante Arbeitsaufträge sammelt. Das steigert die Datenqualität
connect professional: Welche Möglichkeiten eröffnet die Technologie?
Chris van den Belt: Agentic AI versetzt Unternehmen zum ersten Mal in die Lage, über reine Automatisierung hinauszugehen und echte, digitale Mitarbeitende zu implementieren. KI-Agenten arbeiten menschlichen Expertinnen und Experten auf eine Art und Weise zu, die einem menschlichen Assistenten entspricht. Gleichzeitig helfen sie, Wissen zu bewahren und damit den Generationenwechsel reibungsloser zu bewerkstelligen sowie den Fachkräftemangel abzumildern. Die tiefe Verbesserung der Workflows, die KI-Agenten bieten, ermöglichen zudem Effizienzsteigerungen, die für Industrieunternehmen bisher nicht realisierbar waren.
connect professional: Welche technologischen Voraussetzungen müssen Unternehmen schaffen, um agentenbasierte KI-Funktionalität einzuführen?
Chris van den Belt: Die individuellen technologischen Voraussetzungen für den Einsatz von KI-Agenten hängen vom jeweiligen Anbieter ab. Generell gilt natürlich: je niedriger die Einstiegshürden, desto besser. Unsere eigenen KI-Lösungen benötigen beispielsweise keinerlei Investitionen in neue Technologien, langwierige Schulungen von Datenmodellen oder grundlegende Veränderungen der Systemarchitektur. Natürlich kann Agentic AI auch als eigenständige Lösung implementiert werden, doch die volle Funktionsbandbreite entfaltet die Technologie erst, wenn ihr auch sinnvolle Daten zu unternehmensinternen Workflows, Arbeitsaufträgen, Sicherheitsberichten und Assets zur Verfügung stehen.
connect professional: Welche Schwierigkeiten können während der Implementierung auftreten, gerade im Hinblick auf die Interoperabilität?
Chris van den Belt: Da jedes Unternehmen über eine individuelle IT-Landschaft verfügt, die über Jahre oder Jahrzehnte gewachsen ist, stellt die Interoperabilität natürlich eine gewisse Herausforderung dar. Damit KI-Agenten nahtlos mit bestehenden EAM- oder ERP-Plattformen verknüpft werden können, müssen Unternehmen nicht nur die richtigen Daten bereitstellen, sondern diese auch im passenden Format liefern, sinnvoll strukturieren und den jeweiligen Quellen zuordnen. Eine ganz andere Herausforderung ist das Thema Vertrauen: Digitale Kollegen wie KI-Agenten sind für viele Teams ein radikal neues Konzept, das es erst einmal zu akzeptieren gilt.
connect professional: Welche Skills benötigen die Mitarbeitenden in der IT- und Fachabteilung, um Agentic AI zu nutzen?
Chris van den Belt: Die Einstiegshürden sind aus meiner Sicht relativ gering. Im Gegenteil: Einer der größten Vorteile von Agentic AI liegt gerade in der hohen Zugänglichkeit der Technologie. Die technologisch anspruchsvollen Teile übernimmt der Anbieter von KI-Agenten, während die Nutzer ein sofort einsatzbereites Produkt erhalten. Unternehmen müssen lediglich die relevanten Daten bereitstellen, die Integration in bestehende Workflows ist zumeist problemlos möglich.
connect professional: Wie sollten Unternehmen vorgehen, wenn sie Agentic AI im EAM-Bereich einführen wollen? Mit welchen Kosten müssen sie rechnen? Wie lange dauert die Implementierung?
Steven Elsham: Der richtige Ansatz ist meiner Meinung nach immer: klein anfangen, groß denken. KI-Agenten sind in der Regel skalierbar und sehr gut an neue Situationen anpassbar. Es ist sinnvoll, sich zunächst auf einen klaren Anwendungsfall für die Instandhaltung zu konzentrieren – etwa das EHS-Incident-Reporting. Ob die Einführung von Agentic AI erfolgreich sein wird, hängt in meinen Augen von drei Faktoren ab: einer klaren Problemdefinition, dem Vertrauen in die Daten und dem Willen der Belegschaft, einen digitalen Kollegen als festen Bestandteil des Teams zu akzeptieren. Was die Kosten angeht: Das variiert zwar je nach Anbieter, aber sie sind in der Regel überschaubar, ebenso wie die Implementierungsdauer. Unsere KI-Agenten etwa sind sofort einsatzbereit, da unsere Lösung vollständig cloudbasiert ist.
connect professional: Wird Agentic AI künftig Arbeitsplätze ersetzen?
Steven Elsham: Agentic AI ist nicht dazu da, Teams zu ersetzen oder Arbeitsplätze in der Instandhaltung abzubauen. Da dies eine der größten Ängste von Beschäftigten ist, sollten Unternehmen nicht müde werden, sich klar zu ihrem menschlichen Personal zu bekennen. KI-Agenten sollen eine Hilfe sein und die Leistungsfähigkeit von Teams steigern, nicht an deren Stelle treten. Generell sind sie dafür da, monotone, redundante Aufgaben zu übernehmen und somit Freiraum für kreativere und komplexere Aufgaben zu schaffen – also für die Bereiche, in denen menschliche Intelligenz brilliert.