ENNI-Standardisierung

Carrier-übergreifendes Ethernet

11. Juni 2010, 5:00 Uhr | Kevin Vachon/wg

Der Markt für Ethernet-Services wächst weiter: Infonetics Research sagt für das Jahr 2013 weltweite Umsätze in Höhe von 30,4 Milliarden Dollar voraus. Auch wenn andere Technik­bereiche Schwächen zeigen, gewinnt Carrier Ethernet durch die Kombination aus geringeren Betriebskosten, höherer Flexibilität und neuen Geschäftspotenzialen offensichtlich selbst in Krisen­zeiten an Attraktivität. Standardisierung soll dabei das Neben­einander zahlreicher Ethernet-Inseln vermeiden.

Wenn es darum geht, Firmenstandorte über Städte oder Regionen hinweg zu verbinden, ist Carrier
Ethernet mit der anpassbaren Bandbreite und kundengerechten Services die bessere Wahl gegenüber der
Entscheidung, eine zusätzliche Leased ­Line zu installieren. Service-Provider migrieren zu
paketvermittelten Netzen, und der Ethernet-Transport wird zunehmend auch für nicht
Ethernet-basierte Services genutzt. Allerdings besteht die Carrier-Welt aus vielen kleinen
Ethernet-Inseln. Diese wachsen zwar, weil die Provider ihre Angebote ausweiten, aber zu deren
Verknüpfung vertrauen die Betreiber noch immer weitgehend auf individuelle Lösungen. Also hat sich
das Metro Ethernet Forum (MEF) Gedanken über die Vereinfachung der Provider-übergreifenden
Verbindungen gemacht. Ziel war es, die Einrichtung von Ende-zu-Ende-Ethernet-Links so einfach zu
gestalten wie TDM-Links zwischen zwei oder mehr Netzbetreibern.

Die Rolle des MEF

Carrier Ethernet hat drei verschiedene Wachstumsphasen durchlaufen: In der ersten Phase ab
dem Jahr 2002 wurden die notwendigen Spezifikationen erarbeitet sowie die Architektur definiert. In
der Phase zwei ab 2005 ging es um die Implementierung und Zertifizierung. Bis 2008 stieg die
Nachfrage nach Carrier-Ethernet-WANs auf über 12 Milliarden Dollar. Phase drei, angekündigt im Jahr
2009, zielt auf den vollständig skalierbaren weltweiten Betrieb. Das MEF beschreibt dies als "
Global Interconnect" – die Verknüpfung autonomer Carrier-Ethernet-Netze mit Classes-of-Service,
Management und Schutzfunktionen von Ende zu Ende.

Einer der ersten Schritte war die Verabschiedung einer Spezifikation für automatisiertes
Management: MEF20 für User Network Interface Typ 2. Sie automatisiert und standardisiert viele
Aspekte beim Netzwerkzugang, einschließlich Fehler-Management, Monitoring, Protection und
Bandbreiten-Management mit dem Ziel der Kosteneinsparung, Qualitätsverbesserung und Skalierbarkeit.
MEF21 zielte auf die OAM-Aspekte (Operation, Administration, and Maintenance) der Verbindungen.
Erst kürzlich wurde das entsprechende Zertifizierungsprogramm verabschiedet.

In der Zwischenzeit wurde im MEF die Global-Interconnect-Gruppe mit dem Ziel gegründet, ein
grundlegendes Abkommen für die Bereitstellung im Wholesale (Carrier-to-Carrier) sowie eine Vorlage
für den lokalen Zugang zu erarbeiten, basierend auf weltweit anerkannten Bereitstellungsparametern
und vereinbarten Service-Levels. Ebenso wie die Verschlankung der Bestellung und Bereitstellung von
Ethernet-Zugängen auf lokaler Ebene vereinfacht dies den Prozess der Implementierung globaler
Weitverkehrsnetze über verschiedene Netzbetreiber hinweg.

Netze verbinden per ENNI

Im Januar 2010 wurde schließlich die lang erwartete Spezifikation MEF26 verabschiedet. Sie
definiert die Phase I des ENNI (External Network-to-Network-Interface). Ein
Network-to-Network-Interface (NNI) definiert die Schnittstellen und die Kommunikation zwischen zwei
Netzwerken. Ein ENNI erweitert dies um die Anbindung eines externen Netzes, typischerweise das
eines anderen Service-Providers, aber auch möglicherweise eines eigenen Netzes aus einer anderen
Region.

Die Schlüsselaufgaben für eine Übergabe von Ethernet-Services zwischen verschiedenen
Netzbetreibern umfassen die OAM-Themen, wie sie in MEF20 und 21 beschrieben sind, aber auch andere
Bereiche wie Class-of-Service (CoS) sowie SLAs (Service Level Agreements), um sicherzustellen, dass
zum Beispiel das Routen durch ein Netzwerk mit niedrigerer Service-Qualität nicht den
Premium-Service eines anderen Anbieters kompromittiert. ENNI ist insofern mehr als lediglich eine
Spezifikation, vielmehr ein Impuls für einen gesamten neuen Wholesale-Markt.

Auf der Ethernet Expo Europe 2009 gab es die ersten Demonstrationen interkontinentale
Carrier-Class-Ethernet-Verbindungen. Die erste war ein transeuropäisches Netzwerk für
Video-Conferencing in HDTV-Qualität. Video-Conferencing ist eine anspruchsvolle interaktive
Applikation: Eine schlechte Qualität wäre auf einem großen Bildschirm sofort sichtbar. Der
100-MBit/s-

Ethernet-Service von London nach Frankfurt zeigte einen Delay (send and return) von lediglich
14,1 ms sowie Jitter (Frame-Delay-Variation) von weniger als 0,01 ms.

Eine zweite Demonstration zeigte ein Netzwerk von London nach Los Angeles, weiter nach
Singapur, Chennai in Indien und zurück nach London.

Die grundlegende Frage war: Wenn ein Unternehmen ein globales Netzwerk durch die Kopplung der
besten verfügbaren MEF14-zertifizierten Service-Angebote errichtet, wird das resultierende
Gesamtnetzwerk noch immer die MEF14-Standards erfüllen? Die Performance- und Management-Statistiken
bewiesen eindeutig, dass diese Services in der Tat verkettet werden können, um ein globales Netz
mit verlässlichen MEF14-Standards zu schaffen.

Zwar zeigte die Demonstration auf, was bereits möglich war, allerdings blieb nach wie vor
Arbeit zu tun. In der Praxis sind Features und Funktionalität häufig unausgeglichen, was es
erschwert zu erkennen, welche Carrier-Ethernet-Netzwerke verfügbar sind, um eine bestimmte Region
zu erreichen. Proprietäre und lokal entwickelte kundenspezifische Features erweisen sich als
Alpträume für Integration und Wartung, will man sie auf andere Services übertragen. Verhandlungen
zwischen Netzbetreibern zur Verifizierung der jeweiligen Carrier-Ethernet-Funktionalität sind
oftmals mühsam und heikel, weil Betreiber nicht gern Informationen über ihre Netze an den
Wettbewerb weitergeben. Die MEF-Lösung musste demnach notwendigerweise mehr als nur technische
Aufgaben berücksichtigen.

Global-Interconnect-Programm

Das Global-Interconnect-Programm des MEF verfolgte verschiedene Ziele. Dazu zählten die
Kostensenkung durch die Interoperabilität und Aggregation mehrerer Carrier-Ethernet-Services über
eine einzige, standardbasierte physische Verbindung (NNI) sowie geringere Kapitalkosten durch die
Nutzung logischer Verbindungen. Service-Provider können durch Interconnects ihre Kapazität
ausweiten und neue Märkte und Anwendungen erreichen. Das standardisierte ENNI beschleunigt den
Einsatz von Carrier Ethernet erheblich. Dazu trägt auch die erhöhte Effizienz durch optimierte
Prozesse bei der Bestellung, der Bereitstellung und der Abrechnung bei. Um dies zu erreichen,
definiert das MEF Spezifikationen für Service und Equipment, die neben dem ENNI und seinen
Management-Mechanismen auch Class-of-Service-Abgleiche, OAM- oder Fehler- und
Performance-Informationen und Angaben zum NID (Network Interface Device) beinhalten. Testen und
Zertifizierung sind weitere Schlüsselfaktoren. Die Zertifizierung ist ein prägender Bestandteil der
MEF-Arbeit: Die Test- und Zertifizierungsprogramme stellen sicher, dass die Geräte und Services
korrekt arbeiten. Eine umfassende Zertifizierung für ENNI und zusammenhängende Standards entwickelt
eine Arbeitsgruppe des MEF derzeit.

Darüber hinaus stellt das MEF Werkzeuge für Service-Provider zur Verfügung. Das Global
Service-Provider Directory vereinfacht die Kommunikation und Koordination der Provider
untereinander. Ein anderes Tool ist das Interconnect Questionnaire, ein Spreadsheet mit den
kompletten Ethernet-Parametern, die bei Ende-zu-Ende-SLAs zu berücksichtigen sind.

Evaluierung in der Praxis

Unterstützt von MEF begannen Ancotel und EANTC im Januar dieses Jahres einen umfangreichen
einjährigen Praxistest: Inwieweit haben Service-Provider ENNI bereits in realen Netzen umgesetzt?
Auf welche Aspekte des umfangreichen Standards können sich Endkunden, die Carrier-Ethernet-Dienste
mehrerer Service-Provider benötigen, heute bereits verlassen? An der zweiten
Interoperabilitätstestphase nahmen acht Netzbetreiber teil: Belgacom ICS, Equinix, Expereo
International, Level 3 Deutschland, P&T Luxembourg, Teragate, Tinet und Ucomline. Die zentralen
Komponenten stammten von Alcatel-Lucent (Interconnect-Switch), MRV (Geräte an den Außenstandorten)
und Spirent (Messgeräte).

Die Teilnehmer demonstrierten eine einheitliche Funktionalität nach ENNI und die Abbildung
mehrerer Dienstgüteklassen (CoS) über Netzgrenzen hinweg. Dabei wurden Carrier-Ethernet-Services
Ende-zu-Ende über mehrere Standorte in Europa hinweg aufgebaut, von London, Paris, Brüssel,
Frankfurt/Main, München bis nach Sevastopol in der Ukraine.

Fazit

Alles in allem waren bei der Erarbeitung der ENNI-Spezifikation eine ganze Reihe von
Problemen zu lösen, um einen konsistenten Service zu ermöglichen. Dazu gehören zunächst die Auswahl
einer geeigneten physikalischen Schnittstelle (die Entscheidung fiel auf Gigabit Ethernet und 10
Gigabit Ethernet), Mechanismen zur Sicherung gegen einen Link-Ausfall, Ethernet-Frame Parameter
oder auch die vielfältigen Dienstgüteparameter. Hinzu kommen weitere Fragen: Auf welche Weise
werden Service-Limitierungen implementiert, wie die Dienste netzübergreifend mittels Ethernet OAM
gewartet? Wie lassen sich die Service-Levels messen? Wie definiert man Zugangskontrollregeln für
neue Teilnehmer? Alles in allem können Service-Provider auf Basis der Standarddefinitionen,
Spezifikationen und Zertifizierungen nun Ethernet-SLAs entwickeln und garantieren, selbst wenn der
Service nicht dem eigenen Netzwerk entspringt oder dort endet.


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