Mehr Spuren für die Datenautobahnen
Das BBWF 2008 diente als Plattform für das komplette Breitbandszenario inklusive aller Access-Varianten. Zum weiter gefassten Konzept passte der größere Rahmen - dieses Jahr in den Hallen des Brüsseler Expo-Geländes am Fuße des frisch aufpolierten Atomiums. Spannende Neuigkeiten gab es unter anderem von Alcatel-Lucent, Huawei und Juniper. Nokia Siemens Networks erklärte, wie man sich nach dem Ausstieg aus GPON die Zukunft vorstellt.
Alcatel-Lucent kam mit einem ganzen Bündel von Neuigkeiten nach Brüssel. News Nummer eins: der neue CEO. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als solcher übernahm Ben Verwaayen auf dem BBWF die Keynote-Ansprache, für die ursprünglich seine Vorgängerin Patricia Russo auf der Agenda stand. Ohne Redemanuskript und Teleprompter schüttelte der langjährige Branchenprofi eine überzeugende Analyse der gegenwärtigen Entwicklungen im Breitband- und Kommunikationsmarkt aus dem Ärmel. Verwaayen verankerte die Linien verschiedener Einzeltrends wohlplatziert im großen Gesamtbild - und das trägt bei ihm den Titel: ohne Breitband keine Globalisierung.
Alcatel-Lucent: Deutlich mehr Videoverkehr in Carrier-Netzen
Für die Produktankündigungen schritt zur späteren Pressekonferenz allerdings wieder Alcatel-Lucent-Urgestein Michel Rahier, Präsident der Carrier Business Group, ans Rednerpult. Seine News reflektierten vor allem die drastische Zunahme von Videoapplikationen im modernen Netzwerk: "Konventionelles TV sorgt aktuell für eine Verfünfzehnfachung des Datenverkehrs - mit breiterer Nutzung von High-Definition-TV wird sich der Verkehr um den Faktor 100 erhöhen", so Rahier. Das Rezept, mit dem Alcatel-Lucent die Provider unter anderem bei der Einrichtung von Videoservices unterstützt, die derzeit bereits einen weltweiten Umsatz von 4,5 Milliarden Dollar generieren, nennt sich Triple Play Services Delivery Architecture (TPSDA). Für diese nunmehr rund drei Jahre gereifte Plattform kündigte Alcatel-Lucent in Brüssel einen Generationswechsel an.
Ab 2009 soll TPSDA 2.0 bei Nutzern für verbesserte Videoqualität, schnelle Wechsel von TV-Kanälen sowie stärkere Personalisierbarkeit und höhere Interaktivität von Video- und TV-Services sorgen. Die Verbesserungen betreffen den Access- und IP/MPLS-Bereich des Alcatel-Lucent-Portfolios. Applicaton-Layer-Intelligenz soll es künftig erlauben, Videoinhalte zu cachen, speichern, streamen und zu verstärken. Dies soll Provider in die Lage versetzen, sich vom Markt für IPTV ein großes Stück abzuschneiden. Das Wachstum dieses Segments schätzen Marktforscher von Pricewaterhouse Coopers bis 2011 auf jährlich durchschnittlich 75 Prozent.
NSN: Tschüss GPON, hallo NGOA
Nokia Siemens Networks (NSN) zeigte sich in Brüssel als Querulant und störte die sonst einmütig positiven GPON-Slogans fast aller übrigen einschlägigen Hersteller. Der Weg zum Anwender wird früher oder später aus Glas sein - daran gibt es auch bei NSN keine Zweifel. Doch während zahlreiche Hersteller mittels GPON (Gigabit Passive Optical Network) Carrier und Service-Provider bereits heute zur sukzessiven Ablösung ihrer DSL-Technik ermutigen, zeichnet NSN einen anderen Evolutionspfad: DSL mittels VDSL2 über die nächsten zwei bis drei Jahre ausreizen, um dann allmählich auf Next Generation Optical Access (NGOA) umzusteigen.
Im Gegensatz zu GPON ist NGOA noch kein Standard. Vielmehr befindet es sich noch im Stadium der Forschung, in der NSN eine führende Rolle einnimmt. Standardisierungsorganisationen wie FSAN, ITU, IEEE, IETF und das Broadband Forum sind jedoch bereits von Anfang an eng in die Entwicklung eingebunden. Erste Prototypen sind sehr vielversprechend: Übertragungsraten von 10 und 2,5 GBit/s (Down-/Upstream), Distanzen bis 100 Kilometer und eine Bitfehlerrate von 10-10 (Standardwert heute: 10-7). Für marktreife Produkte ist eine symmetrische Bandbreite von 1 GBit/s angepeilt, die NGOA jedem Nutzer ungeteilt liefern soll (Lambda-per-User-Konzept). Den Providern verspricht NGOA erhebliche Einsparungen. So soll die Notwendigkeit einer separaten Aggregationsschicht im Metro-Bereich wegfallen. Das existierende Metro-Glasfasernetz sei weitestgehend für NGOA verwendbar.
NGOA basiert auf WDM (Wellenlängenmultiplex), für das NSN mit "PWDM" ein rein optisches Prisma entwickelt, das somit ohne Stromversorgung auskommt. GPON arbeitet dagegen mit Zeitmultiplex (Time Division Multiplex, TDM). Dank PWDM sollen sich VDSL2 und NGOA sehr gut kombinieren lassen, was einen sanften Migrationspfad bereiten würde. "Auf lange Sicht - und ich rede hier von einem Zeitrahmen von etwa drei bis vier Jahren - gibt es keine Alternative zu Fiber-to-the-Home", so Stephan Scholz, Chief Technology Officer bei NSN. Für die nächsten Jahre biete VDSL2 noch genügend Bandbreitenreserven: "Einen Umstieg jetzt auf GPON halten wir für technisch nicht nötig und wirtschaftlich unsinnig." Danach biete NGOA eine der GPON-Technik aus Anwender- wie auch aus Provider-Sicht überlegene und zudem ökonomischere optische Transportvariante.
Neue VDSL2-Lösungen
Vor diesem Hintergrund stellte NSN auf dem BBWF eine Reihe neuer VDSL2-Lösungen vor. So soll sich ein neuer, relativ kleiner und leicht zu implementierender DSLAM (DSL Access Multiplexer) ein Verfahren zunutze machen, das in Form von MIMO (Multiple Input Multiple Output) ansonsten bisher nur im WLAN bekannt war: Der Crosstalk zwischen den Adern der Telefonleitung (in der Luft: Funkwellen-Streams) - normalerweise ein gefürchteter Bandbreitenkiller - dient hier der Signalverstärkung. Bis zu 100 MBit/s in Richtung Anwender sollen so sicher und stabil transportierbar sein - genug, um neben mehreren HDTV-Kanälen auch symmetrische Breitband-Internetservices anzubieten.
Für seine aktuelle und weit verbreitete DSLAM-Familie hat NSN zwei neue FTTC-/FTTB-Lösungen (Fiber to the Curb/Building) vorgestellt. Alle neuen DSL-Lösungen kommen mit einem neuen Softwarepaket für "Quality-TV", mit dem IPTV dank stabiler Übertragungsqualität und minimiertem Paketverlust wirklich Spaß bringen soll.
Während sich NSN auf eine NGOA-Roadmap festgelegt hat, bietet Huawei die Wahl aus drei optischen Transporttechniken, darunter einer neuen GPON-Variante, deren Übertragungsraten laut Hersteller beim Vierfachen der bislang üblichen Geschwindigkeit liegen.
Huawei beschleunigt Access
Neben einem Prototypen dieser 10G-GPON-Lösung brachte Huawei zwei weitere Breitbandlösungen mit nach Brüssel: Optix OSN 8800, ein optisches 1,28-TBit/s-Transportnetzwerk auf Switched-WDM-Basis, und Optix OSN 1800, ein von 2 MBit/s bis 10 GBit/s konfigurierbares Zugangssystem, mit dem Netzbetreiber ihre Access-Netze konsolidieren können. Optix OSN soll eine Übertragungskapazität von 40G/100G bieten und mit moderner Technik wie ROADM (Reconfigurable Optical Add/Drop Multiplexer) und ASON/GMPLS (Automatically Switched Optical Network/Generalized Multi-Protocol Label Switching) ausgestattet sein. Die Plattformen sollen ab 2009 erhältlich sein.
Außerdem hat Huawei Iptime (IP Transport Infrastructure for Multiplay Experience) von einer mobilen zu einer FMC-orientierten Transportlösung (Fixed-Mobile Convergence) weiterentwickelt: Die neue Lösung bietet jetzt Zugang zu Ultra-Breitband- und 2G/3G-Netzen. Sie unterstützt Taktsynchronisation bei der Datenübermittlung und erlaubt so die durchgehende Bereitstellung mobiler Breitbanddienste. Die Lösung birgt ein großes Potenzial, denn mit ihr können Festnetzbetreiber über bestehende Breitbandzugangsnetze mobile Transportdienste anbieten und somit als Komplettanbieter auftreten.
Juniper mit Dynamic Service Gateways
Juniper sieht sich gerne als Anwalt der Netzwerk-Service-Provider, die ihre Infrastrukturen aufwändig für die neuen, multimedialen Breitbandapplikationen fit machen müssen - und beim Umsatz oft in die Röhre schauen, denn den machen primär die Content-Service-Provider. "Das ist ein Ökosystem, bei dem alle Parteien aufeinander angewiesen sind", so Paul Gainham, Junipers Director of Service Provider Marketing. "Es kann nicht angehen, dass eine Partei überdurchschnittlich viel investieren muss - dafür im Gegenzug die andere Partei überdurchschnittlich abkassiert." Juniper setze sich, so Gainham, sehr für den Dialog aller Beteiligten ein und unterstütze sie bei der Erarbeitung gerechterer Abrechnungsmodelle.
Juniper hatte Geräte dabei, um Carrier zumindest beim Managementaufwand deutlich zu entlasten. Die kürzlich vorgestellten SRX Dynamic Service Gateways integrieren Router, Firewalls, Intrusion-Prevention-Systeme, IPSec-/VPN-Appliances sowie NAC-Controller in einem Gerät mit gemeinsamem Betriebssystem und einheitlicher Managementoberfläche.
Das SRX 5800 beispielsweise unterstütze Stateful Firewalls mit einem Durchsatz von mehr als 120 GBit/s, der IPS-Durchsatz komme auf rund 30 GBit/s, 350.000 Verbindungen pro Sekunde seien unterstützt. Jedes einzelne SRX soll sich auf spezifische Netzwerkanforderungen ausrichten lassen. Zu diesem Zweck kann das SRX 5800 für die Unterstützung von Schnittstellen mit mehr als 400 GBit/s konfiguriert werden, optional mit Gigabit-Ethernet- oder 10-Gigabit-Ethernet-Schnittstellen.