Ausgelebt
Ausgelebt. Mit dieser Prognose lag der Präsident des renommierten Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, ausnahmsweise daneben: Der Professor aus München hatte behauptet, dass bei älteren Arbeitnehmern die physische Leistungsfähigkeit abnehme.
Ausgelebt
Das will so gar nicht zu dem jüngsten Weltrekord passen, den Kozo Haraguchi unlängst aufstellte. Der Japaner lief die 100 Meter in berauschenden 22,04 Sekunden und erreichte damit in der Altersklasse der 95- bis 99-Jährigen eine neue Rekordmarke, an die heranzukommen nicht nur dem Professor, sondern selbst unserem 20-jährigen Fußball-Nationalverteidiger Robert Huth schwer fallen dürfte. Ob Herr Haraguchi im Berufsleben steht, wissen wir nicht. Jedenfalls straft er alle Lügen, die behaupten, dass mit rüstigen Herrschaften nichts mehr anzufangen sei. In einem Punkt muss man Sinn daher uneingeschränkt zustimmen: Frührentnern ein Arbeitsrecht zu gewähren und den Bezug von Rente und Lohn arbeitsmarktpolitisch sinnvoll auszugestalten.
Doch einführen muss man solche Modelle für den Beschäftigungssektor gar nicht. Sie bestehen nämlich schon vielfach und werden auf sehr erfolgreiche Weise angeboten ? quasi vor der Haustür von Professor Sinn. Die Arbeitsagentur in München schickte beispielsweise einen Rollstuhlfahrer zum Bewerbungsgespräch als Dachdecker. Wer sich darüber erbost, kennt eben die modern ausgestatteten Baustellen-Plateaus nicht, die neuerdings ein Höchstmaß an Arbeitsplatzmobilität bieten. Schon bald werden Kräne auf Münchner Baustellen nicht nur Betonteile in die Höhe befördern, sondern auch Hüftlahme in speziell von den Ortskrankenkassen gesponserten Seilwinden.
Es wird ja von Arbeitsmarkt-Experten allenthalben etwas gefordert, was in der Praxis schon längst überholt ist. Zum Beispiel das Thema bezahlte Fehltage bei Krankheiten. Wer sich heute überhaupt noch Magengeschwüre, Koliken und Infarkte leisten kann, kuriert sie doch da aus, wo sie entstehen: am Arbeitsplatz. Was täte mancher Manager ohne eine ordentliche Neurose? Er wäre ja glatt nur die Hälfte seines Gehalts wert, würde er sie statt im Büro in den eigenen vier Wänden ausleben.