Automatisierte Rekonstruktion von Stasiakten
Selbst heute in Zeiten von E-Mail und Internet ist Papier ein wichtiger Geheimnisträger. Doch sicher sind die Geheimnisse darauf nicht. Forscher des Fraunhofer-Instituts wollen die Geheimnisse wieder lesbar machen.

In einer Nacht- und Nebelaktion im Herbst 1989 sollten extrem heikle Akten der Staatssicherheit vernichtet werden. Die Menge der Dokumente war so enorm, dass die Reißwölfe ausfielen. Ein großer Teil der Unterlagen musste per Hand zerrissen werden. Das Ergebnis: In 16 250 Säcken lagern bis heute schätzungsweise 45 Millionen der damals zerrissenen Dokumente. Das Fraunhofer-Institut in Berlin (IPK) soll nun dieses gigantische Puzzle zusammensetzen.
Die Seiten wurden in je 8 bis 30 Teile zerlegt. Bisher gelang es nur einen geringen Teil dieser Dokumente zu rekonstruieren. Denn das manuelle Zusammensetzen ist sehr zeitintensiv. Um die etwa 600 Millionen Papierschnipsel von Hand zusammenzufügen, würden 30 Personen 600 bis 800 Jahre benötigen. Forscher des IPK wollen das weitaus schneller können: Sie entwickelten ein computergestütztes Verfahren, um das Schnipselpuzzle zu automatisieren. Bereits 2003 wurde die Machbarkeit dieses virtuellen Puzzelns demonstriert. Nun startet das Pilotprojekt für die rechnerbasierte Rekonstruktion.
"Das virtuelle Puzzeln folgt der Logik des manuellen Puzzelns", erklärt Dr. Bertram Nickolay, Abteilungsleiter am IPK. Der Mensch verwendet für die Lösung dieses Geduldsspiels eine Vielzahl von Merkmalen, anhand derer er entscheidet, ob zwei Teile zueinander passen oder nicht – die Form der Teile oder welche Farbe oder Schrift auf den Puzzlestücken zu erkennen ist. "Das System berechnet verschiedene beschreibende Merkmale wie Form oder Textur, um den Suchraum zu reduzieren. Innerhalb dieser kleineren Menge erfolgt die eigentliche Rekonstruktion". Dafür werden Schnipsel entlang ihrer Konturen auf Übereinstimmungen hin verglichen. Sind passende Teile gefunden, werden sie zu einem größeren Dokument zusammengefasst. Dann beginnt der Vorgang von vorn. Schnipsel für Schnipsel entsteht so wieder Seite für Seite der Stasiakten.
Doch nicht nur Teile der deutschen Geschichte sollen so aufgearbeitet werden. Auch in der Strafverfolgung wird das Verfahren eingesetzt: So konnte beispielsweise für eine Steuerfahndungsbehörde ein Sack mit geschredderten Dokumenten vollständig rekonstruiert werden.
Jetzt, da die Zähne der Schredder sinnlos werden, gibt es nur noch wenige Möglichkeiten Dokumente zu vernichten: Entweder verbrennen oder aufessen - Na dann: Guten Appetit!