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Bankgeschäfte per ­Sprachmaschine

Bankgeschäfte per ­Sprachmaschine Mit über fünf Millionen Bankkunden beherrscht die ING-DiBa das ­Massengeschäft. Aktuell hat sie dafür ihr Sprachportal überarbeitet und um Brokerage-Funktionen erweitert.

Autor:Markus Bereszewski • 8.3.2007 • ca. 3:20 Min

Die ING-DiBa lässt dem Kunden über so genannte Smart-Dialoge die freie Wahl, wie er sich im Sprachportal für Brokerage bewegt. Das System muss ihm jederzeit alle Funktionen bereitstellen und diese den Aussagen des Anrufers zuordnen.

Die Direktbank setzt auf drei Kommu­nikationskanäle: Internet, Call-Center und ein Telefon-Banking-Sys­tem (TBS). Letzteres hat die ING-DiBa vor mehr als zehn Jahren mit Unterstützung von ­Siemens eingeführt. Die Anfänge nehmen sich aus heutiger Sicht bescheiden aus: Für acht parallele Anrufe war die Lösung ausgelegt, verstand lediglich »Ja«, »Nein« und die Ziffern von 0 bis 9. Dennoch galt sie als revolutionär, denn kaum ein Unternehmen wagte zu diesem Zeitpunkt den Einsatz sprachbasierter Techno­logien. Seit Mitte der 90er Jahre hat das TBS zahlreiche Erweiterungen er­fahren. So stellte die Bank 1999 auf ein Euro-fähiges TBS mit 90 Telefon- und vier Fax-Leitungen um, über die das Unternehmen gleichzeitig kommunizierte. Der Standort Hannover und 60 neue Leitungen kamen durch die Übernahme der Bank GiroTel hinzu. Eine weitere Expansion ergab sich 2003 durch den Zukauf des Nürnberger Wertpapierspezialisten Entrium. Heute sind in Frankfurt, Hannover und Nürnberg insgesamt 450 Telefonge­spräche parallel möglich. Damit be­wältigt die Bank mehr als eine Million Anrufe im Monat, wobei das System für einen weiteren Kundenzuwachs skalierbar ist. Außerdem garantiert die Auf­teilung auf drei Standorte mit redundanter Aus­legung eine hohe Verfüg­barkeit. Das TBS in­formiert automatisch die externen Spezialisten von Siemens IT Solutions and Services, wenn vorgegebene Schwellwerte über- oder unterschritten werden. Der Dienstleister löst das Problem per Fernleitung. Nicht zuletzt aufgrund der präventiven Überwachung gab es bisher keinen Komplettausfall. Auch bezüglich des Service-Angebots lässt das TBS heute kaum Wünsche offen, nachdem es jüngst von unnötigem Ballast befreit wurde. »Wir haben im Jahr 2005 alle Funktionen auf den Prüfstand gestellt und uns von einigen verabschiedet«, meint Sonja Keller, die bei der ING-DiBa den Geschäftsbereich Kundendialog leitet. Das Ziel waren klare, nachvollziehbare Strukturen, wie sie den Web-Auftritt der Bank seit einigen Jahren be­stimmen. Das System stellt dem Anrufer mittlerweile sogar individuell vorselektierte Informationen und Prozessstränge bereit. Neu aufgebaut hat die ING-DiBa den Brokerage-Bereich. Siemens übernahm auch dieses Projekt komplett vom Design über den Aufbau bis hin zu Produktivnahme und Betrieb. Der Start auf der grünen Wiese erleichterte dabei die Einführung von technologischen Innovationen. Die Anwendungen wurden in VoiceXML auf Basis von J2EE (Java 2 Platform Enterprise Edition) geschrieben und sind auf einer Vielzahl von Systemplattformen lauffähig, die über einen VoiceXML-Browser verfügen. Die Sprachein- und -ausgabe basiert auf Natural Language Understanding (NLU), das vorrangig dort zum Einsatz kommt, wo komplexe Informationen zu erfassen sind. Mit der sogenannten Text-to-Speech-Funktion, die Text in natür­liche Sprache verwandelt, setzt die Bank ebenfalls auf Benutzerfreundlichkeit. Die Erfahrungen im Brokerage-Bereich kommen auch dem Banking zugute, das aktuell ebenfalls auf Web-Technologien wie Java und VoiceXML umgestellt wurde. Die Innovationen fördern den Kundendialog: Anrufer wechseln beispielsweise jederzeit zwischen Tastatur- und Spracheingabe, ohne dass sie das Ende der Ansagen abwarten müssen. Und sie können ihr Anliegen über sogenannte Smart-Dialoge in ganzen Sätzen formulieren, beispielsweise eine Kauforder mit allen Angaben zum gewünschten Wertpapier wie ISIN (International Securities Identifikation Number), WKN (Wertpapierkennnummer) oder Name, Stückzahl und Börsenplatz. Das System überprüft diese Angaben automatisch und fragt bei Bedarf dynamisch nach. Es arbeitet also nicht ein vorgegebenes Schema ab, sondern reagiert flexibel auf jede Aktivität des Anrufers. Dynamische Ausgaben macht das TBS auf Basis der Anbindung an Backoffice-Anwendungen. Dafür sind zahlreiche Schnittstellen implementiert, beispielsweise zu einem Sicherheitsserver für die PIN/TAN-Legitimierung oder zur Kordoba-Lösung der Bank, die unter an­derem die Stammdaten des Anrufers vorhält. Demnächst kommen die Geschäftsinformationen nicht mehr aus der TBS-eigenen Datenbank, sondern direkt aus diesem Kernbankensystem. Auch die Risikoklasse kann das System durch seine weit reichende Integration in die Bank-IT sofort prüfen. Alle Gespräche werden über die Anbindung an die Lösung eines Drittanbieters auf­gezeichnet und nach den gesetzlichen Vorgaben archiviert. Wünscht der Kunde den direkten Kontakt zum Call-Center, transferiert das System dessen Daten an das Front-End am Arbeitsplatz – auch hier in Echtzeit. Dafür hat die Siemens-Tochter eine CTI (Computer Telephony Integration) -Schnittstelle realisiert. Die Vorteile der diversen Novitäten im Telefon-Banking liegen auf der Hand: Entlastung des Call-Centers und zufriedenere Kunden, die nicht in ­Warte­schleifen hängen. Auch die Kosten entwickeln sich erfreulich, denn zirka die Hälfte der Anrufe, also 500000 im Monat, werden automatisch abgewickelt. Alleine im Bereich Brokerage kalkuliert die Bank mit 20 bis 30 Prozent weniger Kosten. Service besitzt dennoch höchste Priorität. »Wir werden den Kunden immer die Wahl ­lassen, ob sie im Portal bleiben oder zu einem Kundenbetreuer wechseln. Diese Strategie ist einer unserer wesentlichen Erfolgsgaranten«, bestätigt Sonja ­Keller.