Eingekauft: Virtuelle Luft in Dosen
Findige Gesellen kamen schon vor rund 150 Jahren auf die Idee, frische Luft in Dosen abzufüllen. Dank guter Werbung fanden sich damals durchaus ein paar Dummköpfe, die das Produkt kauften.
Das hielt die Justiz freilich nicht davon ab, die Dosen-Luftikusse wegen Betrügerei ins Zuchthaus zu sperren. Das ist heute anders. Luft in Dosen ist längst wieder ein Verkaufsschlager – gewissermaßen. In den Knast kommt man deswegen nicht mehr. Wohl aber in die Zeitung. Sie wissen nicht, was wir meinen?
Die Rede ist von »Second Life«! Kennen Sie nicht? Macht nichts – eigentlich. Denn uneigentlich haben über »Second Life« alleine hierzulande schon fast alle Tagesund Wochenzeitungen berichtet, allen voran die FAZ, der Spiegel und die Zeit. Nicht, dass wir Sie hier als Hinterwäldler oder Null- Checker beschimpfen wollen. Aber Sie haben wirklich noch nie von »Second Life« gehört? Für alle Nix-Versteher sei es deshalb hier noch mal erklärt: »Second Life« – von den coolen Mitgliedern lässig »SL« genannt – ist die Web-3D-Simulation einer virtuellen Welt. Die SL-Mitglieder kaufen dort mit echtem Geld Grundstücke, bauen Häuser, spielen, treiben Handel und erfreuen sich an eindeutigen Angeboten schlüpfriger Damen. Sozusagen eine Kreuzung aus Google Maps, Monopoly und Beate Uhse. Mit dem kleinen Unterschied, dass alles eigentlich nur auf einer Server- Farm der amerikanischen Firma Linden Labs existiert, die 140 Angestellte zählt und im letzten Jahr rund elf Millionen Dollar Umsatz machte. Ungefähr so viel also, wie der gut gehende Imbiss nahe der CRN-Redaktion.
Wenn Ihnen Ihr gesunder Menschenverstand jetzt sagt, das sei doch wohl alles ziemlich starker Tobak – heiße Luft in Dosen, sozusagen – dann haben Sie zwar Recht, aber keine Ahnung vom Web 2.0. Im Web 2.0. darf man nämlich straffrei Luft in Dosen verkaufen, sogar virtuelle Luft! Man muss nur die Web-2.0.-Sprache beherrschen und dafür sorgen, dass »Zeit« und »Spiegel« euphorisch darüber berichten. Merke dazu: Je abstruser die Idee, desto beherzter werden einige Edelfedern der Premium-Titel anbeißen und darüber berichten.
Sobald dieser Schritt gelungen ist, verkünden Sie, dass es »unwahrscheinlich« ist, dass Sie ein Kaufangebot wie jenes von Google für You Tube annehmen würden. Genau das hat der Linden- Lab-Chef Philip Rosedale vor wenigen Tagen gesagt. Wer Web- 2.0.-Neusprech beherrscht, weiß natürlich, dass diese Botschaft eigentlich heißt »Bitte, bitte kauft uns! Aber im Vergleich zu You Tube müsst ihr natürlich noch etwas drauflegen«. Was schätzen Sie, wird nun als Nächstes geschehen?
Irgendein CEO irgendeines Großkonzerns wird für die virtuelle Luft in Dosen bald den Kaufvertrag ganz real unterzeichnen – geschätzter Preis: fünf Milliarden Dollar. Die virtuelle Kopfnuss erteilt ihnen deshalb schon jetzt die Einwilligung, diesen CEO einen echten Idioten nennen zu dürfen.