Entwicklungsprozesse besser managen
Entwicklungsprozesse besser managen Um den Prozess der Entwicklung von Software auf der Grundlage des V-Modells XT in der Praxis zu managen, werden Werkzeuge gebraucht.


Das ist die Kehrseite des Erfolges: In einer Welt, in der Software allgegenwärtig ist, in der ohne Software nichts mehr geht, darf sich diese Software keine Ausrutscher mehr leisten. Ganz oder teilweise gescheiterte Software-Projekte wie die LKW-Maut, die Hartz-IV-Abrechnung oder die Online-Jobbörse der Arbeitsagentur verursachen erhebliche wirtschaftliche Schäden. Die zugrunde liegenden Probleme sind nicht ausschließlich technischer Natur. Vielmehr hat sich gezeigt, dass die Software-Entwicklung mit den immer umfangreicheren Anforderungen und den zunehmend komplexeren Rahmenbedingen nicht zurechtkommt, so dass die Vorgaben hinsichtlich Zeit, Budget und Leistungsumfang verfehlt werden. Dies lässt sich dann auch nicht allein mit einer neuen Programmiersprache oder einem schlauen Modellierungswerkzeug ausbügeln, weder bei Großprojekten noch bei den Tausenden von Brot-und-Butter-Applikationen der Software-Industrie. Seit ein paar Jahren orientiert sich die Software-Entwicklung daher neu. Neben technischen Fragen werden verstärkt Verfahren und Methoden diskutiert, mit denen man versucht, den Entwicklungsprozess als Ganzen besser in den Griff zu bekommen und dabei insbesondere die einzelnen Phasen dieses Prozesses besser aufeinander abzustimmen. Man kann diesen Wandel auch an der Konjunktur der Abkürzungen ablesen: statt IDE oder RAD stehen heute ITIL oder SOX im Mittelpunkt des Interesses.
Modellbasiertes Vorgehen
Zu den wichtigsten Ansätzen in diesem Bereich gehört ohne Zweifel das V-Modell aus dem öffentlichen Sektor: das Vorgehensmodell zur Software-Entwicklung, das seit 2005 in einer erweiterten Fassung als V-Modell XT vorliegt. Seine Bedeutung liegt zunächst einmal ganz formell darin, dass es für die Durchführung von IT-Vorhaben des Bundes seit Februar 2005 verbindlich ist. Nicht zuletzt aufgrund der Sogwirkung des öffentlichen Sektors als Auftraggeber für die Software-Industrie findet das V-Modell XT aber auch in der privaten Wirtschaft für deren eigene Projekte Interesse. Die wachsende Verbreitung des V-Modells XT ist dabei ein wichtiger Aspekt. Denn es kommt nicht nur darauf an, dass bei der Software-Entwicklung irgendein methodischer Ansatz verwendet wird, sondern vor allem, dass dieser standardisiert ist. Dies gibt Geschäftspartnern die Gewähr, dass ihre Software-Lieferanten nach anerkannten und geprüften Verfahren arbeiten, was im Sinne eines umfassenden Risikomanagements unerlässlich ist. IT-Projekte, die auf der Basis des V-Modells XT durchgeführt werden, sollen besser plan- und nachvollziehbar sein, also eine höhere Produkt- und Prozessqualität aufweisen sowie ihre Zeit- und Budgetrahmen besser einhalten können. Durch die lückenlose Dokumentation werden die Projekte außerdem revisionssicher – ein Aspekt, der nicht zufällig in allen Ansätzen dieser Art eine große Rolle spielt, denn bei etlichen Software-Krisen und -Katastrophen hat sich auch gezeigt, dass die Software nicht bloß nicht funktioniert hat, sondern dass die Programme überdies unzureichend dokumentiert waren. Das V-Modell XT besteht aus einer sehr umfangreichen Dokumentation, die den Organisationen und Unternehmen einen Leitfaden für die Durchführung von IT-Projekten zur Verfügung stellt. Es bietet Anleitungen und Empfehlungen für die Durchführung der jeweiligen Aufgaben. Damit sollen sich auch komplexe und umfangreiche Projekte mit zahlreichen Beteiligten umsetzen lassen. Das V-Modell XT beschreibt Aktivitäten (Tätigkeiten), deren Produkte (Ergebnisse), die während eines Entwicklungsprozesses anfallen, konkrete Vorgehensweisen und die entsprechenden Rollen, also die Zuständig- und Verantwortlichkeiten. Anfang 2005 wurde das V-Modell XT (extreme tailoring) verabschiedet. Diese Weiterentwicklung berücksichtigt den Stand der Technologie und aktuelle Vorschriften und Normen. Nachdem das ursprüngliche V-Modell als schwerfällig und unflexibel kritisiert worden war, lässt sich das V-Modell XT erheblich besser an spezifische Bedingungen von Projekten und Organisationen anpassen. Der Namenszusatz XT steht genau dafür und ist jetzt ein zentraler Bestandteil des Konzepts. Das V-Modell XT unterscheidet außerdem zwischen Auftraggebern (AG) und Auftragnehmern (AN). Demzufolge gibt es nun explizit AG- und AN-Projekte. Beide Seiten erhalten damit einen verlässlichen standardisierten Rahmen für die Zusammenarbeit. Die normalerweise häufigen Missverständnisse, die meist schon bei der Auftragsvergabe angelegt sind, sollen auf diese Weise soweit wie möglich vermieden werden.
Kostenlose Tools
Das V-Modell XT ist ein Konzept, also noch keine Lösung. Da es eigentlich nur aus einer Dokumentation besteht, ist für seinen Einsatz im Grunde nur ein PDF-Reader erforderlich. Das V-Modell XT funktioniert notfalls sogar ohne Strom, weil man die Dokumentation auch in Papierform verwenden könnte – und es wäre trotzdem noch immer das echte V-Modell XT. Bei der Durchführung von konkreten Software-Projekten wird sich der Anwender jedoch nicht auf das Lesen von Dokumenten und das Ausfüllen von Formularen beschränken können. In der Praxis muss das V-Modell XT daher mit den für die Software-Entwicklung und das Management des Entwicklungsprozesses verwendeten Werkzeugen integriert werden, also beispielsweise mit dem Anforderungs- oder Konfigurationsmanagement. Im Lieferumfang des V-Modells XT sind immerhin ein Projektassistent sowie ein Editor enthalten. Mit dem Editor ist die Erweiterung und Anpassung des V-Modells hinsichtlich organisationsspezifischer Vorgaben oder eigener Vorgehensbausteine möglich. Anwender können damit das V-Modell XT anpassen und erweitern, etwa durch Einführung zusätzlicher Regelungen, Aktivitäten oder Methoden. Für die Bearbeitung von Modell-Dokumenten bietet der Editor eine Kombination aus WYSIWYG- und Struktur-Editor. Er zeigt die Inhalte in einer Baumstruktur und führt bei Eingaben eine Konsistenzprüfung durch. Das Werkzeug Projektassistent hilft bei der Anpassung des V-Modells an die konkreten Gegebenheiten eines Projekts und erlaubt die Erstellung einer ersten Planungsskizze. Der Projektassistent des V-Modells XT unterstützt die Anwender bei der Projektinitialisierung und dem Tailoring und stellt sicher, dass die relevanten Abhängigkeiten beachtet werden. Sowohl Editor wie auch Projektassistent sind Open-Source-Software und beide verwenden den XML-Standard, so dass sie als Basis für Automatisierungslösungen dienen können. Die Open-Source-Werkzeuge dienen außerdem als Referenz-Implementierung für die Hersteller von kommerziellen Tools, die die übrigen Aspekte der Software-Entwicklung adressieren und die Integration in die Werkzeuglandschaft eines Anwenders übernehmen. Solche Hersteller sind etwa Micro Tool, MID sowie Serena. Das Prozessmanagement-Produkt Team Track des letztgenannten Anbieters zum Beispiel offeriert ein spezielles Workflow-System.
Kommerzielle Ergänzungen
Natürlich machen Editor und Assistent aus dem V-Modell XT keine Lösung, die man in der Software-Entwicklung direkt einsetzen kann. Aber genau das brauchen die Behörden und Unternehmen, wenn sie konkrete Software-Projekte methodisch abgesichert durchführen wollen und nun dem komplexen V-Modell XT mit seiner Begriffswelt gegenüberstehen. Es hat sich gezeigt, dass die einzelnen Mitarbeiter mit der Umsetzung solcher Modelle in der Projektpraxis oft überfordert sind, was dazu führt, dass man versucht, daran vorbei zu arbeiten. Meist gibt es ohnehin nur wenige ausgebildete Modell-Experten. Daher haben sich Hersteller von Werkzeugen für das Management des Entwicklungsprozesses inzwischen des V-Modells XT angenommen, um ganzheitliche Unterstützung zu bieten.
Dr. Rainer Doh ist Journalist in München.