Industrialisierung des Versicherungsvertriebs
Industrialisierung des Versicherungsvertriebs Die tief greifenden gesetzlichen Reformen, ausgelöst durch die EU-Vermittlerrichtlinie, führen zu einer Umgestaltung der Vertriebslandschaft. Neben Effizienz steht vor allem die Servicequalität im Fokus.


Vor allem die großen Versicherer setzen auf standardisierte Produkte und auto-matisierte Prozesse. Sie sind es auch, die die Digitalisierung des Vertriebs vorantreiben. Neun von zehn Unternehmen planen in diesen Bereich zu investieren. Vom IT-gestützten Vertrieb versprechen sich die Entscheider eine effektivere Arbeit im Außendienst und in der Folge eine höhere Kundenzufriedenheit. Das ist das Ergebnis der Studie »Branchenkompass Versicherungen 2006« von Steria Mummert Consulting in Zusammenarbeit mit dem F.A.Z.-Institut. Die Anbieter wollen ihre Vertriebseffizienz insbesondere durch Investitionen in IT-Anwendungen wie Sales Force Automation und Führungsinformationssysteme verbessern. Die Sales Force Automation verbindet die Zentrale mit dem Außendienst, sodass der Vertriebsmitarbeiter vor Ort aktueller und wertorientierter beraten kann als bisher. Über den verkürzten Kommunikationsweg erhält der Vermittler präzise Kundeninformationen. Diese ermöglichen es ihm, ein effektives Cross-Selling zu betreiben und den Kunden durch eine intensive Betreuung an das Unternehmen zu binden. Die Experten gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2008 zwei Drittel aller Versicherungen über einen IT-gestützten Vertrieb verfügen werden. Die Integration eines Führungskräfteinformationssystems wird in den kommenden drei Jahren jeder zweite Versicherer forcieren. Diese Module versorgen die Entscheider mit Informationen über einen effizienten Ressourceneinsatz. Auf Basis der Daten kann die Kosteneffizienz von Kern- und Unterstützungsprozessen erhöht werden. Nach Ansicht der Fach- und Führungskräfte lässt sich das hohe Industrialisierungspotenzial für die Vertriebsunterstützung auf diesem Wege ideal nutzen.
Kundenzufriedenheit als Wettbewerbsvorteile
Das von der Elektronisierung der Vertriebsprozesse profitierende Kundenmanagement steht ebenfalls im Industrialisierungsfokus. Eine Verbesserung der Servicequalität streben 95 Prozent der Versicherer an. Damit ist dieser Strategieansatz der meist verbreitete in der Branche, noch vor der Steigerung der Kosteneffizienz. Persönliche Kundenberatung ist für rund ein Drittel der Topentscheider der Branche der wichtigste Trend beziehungsweise der wichtigste Service der kommenden drei Jahre. Bereits jetzt beansprucht das Kundenmanagement knapp 14 Prozent der Gesamtinvestitionen der Unternehmen. Jeder achte Manager plant innerhalb der nächsten drei Jahre weitere Investitionen in diesen Bereich. Die Versicherer erhoffen durch intelligentes Kundenmanagement einen effizienteren Einsatz der Vertriebsausgaben und eine höhere Kundenzufriedenheit. So soll der Kunde langfristig gebunden werden. Damit sich dauerhafte Erfolge einstellen, müssen die Prozesse allerdings permanent auf die Bedürfnisse der Kunden eingestellt werden. Um dies zu gewährleisten, planen drei von vier Versicherern Kundenzufriedenheitsbefragungen. Ein produktives Beschwerdemanagement strebt jedes siebte Unternehmen an. Damit der Kunde an jedem Vertriebspunkt bedarfsgerecht beraten und mit den neuesten Informationen versorgt werden kann, wollen rund 70 Prozent der Assekuranzen ihr Vertriebswegemanagement verbessern. Um einen reibungslosen Ablauf der optimierten Prozesse zu gewährleisten, sind Umstrukturierungen in der Abwicklung unverzichtbar. Um die Abläufe im Vertrieb weiter zu vereinfachen, planen zwei Drittel der Entscheider, in die Standardisierung des Mengengeschäfts zu investieren. Durch Prozessautomatisierung sollen Arbeitsabläufe schematisiert und innerbetriebliche Schnittstellen vermieden werden. Neben der Vertriebsunterstützung erkennen die Experten ein hohes Industrialisierungspotenzial bei der Antragsbearbeitung. Daher planen knapp zwei Drittel der Unternehmen, ihren Bestand künftig nach Produkten auszurichten. Die Entwicklung von Angebotpaketen verspricht den Vorteil, flexibler und schneller auf Kundenwünsche reagieren zu können. Diese Entwicklung kommt sowohl den Kunden als auch den Mitarbeitern der Assekuranzen zugute: Während die Mitarbeiter von Verwaltungstätigkeiten entlastet werden, genießen die Kunden durch eine verkürzte Prozessdauer und effizientere Vertriebsunterstützung besseren Service. Da mit größeren Kundengruppen, und somit wachsendem Abwicklungsvolumen, die Standardisierung immer lohnenswerter wird, dürften vor allem große Unternehmen die Gewinner der Industrialisierungsmaßnahmen sein. Die Einschätzung der Branchenexperten fallen daher für die Konzerne auch deutlich optimistischer aus, als für kleine Versicherer.
Investitionsvolumen im Vertrieb gestiegen
Die Integration der elektronischen Verfahren sowie die Umstrukturierung der Vertriebsprozesse erfordern einen hohen finanziellen Aufwand. So stieg der Anteil des Vertriebs an den Gesamtinvestitionen der Versicherer im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozentpunkte auf rund 20 Prozent. Damit ist der Vertrieb nach den Backoffice-/Kernprozessen die zweitgrößte Kostenstelle innerhalb der Assekuranzen. Die höchsten Ausgaben in diesem Bereich tätigen die Lebens- und Personenversicherungen, die dafür rund ein Fünftel ihrer Gesamtbudgets aufwenden. Ein Großteil der Investitionen fließt in Schulungsmaßnahmen. Drei von vier kleinen Versicherern und nahezu jeder große Anbieter fördert diesen Betriebszweig. Zum einen sollen die Mitarbeiter dabei mit den neuen IT-Anwendungen vertraut gemacht werden, um diese schnell in den Vertrieb zu integrieren. Zum anderen dienen die Schulungen als Vorbereitung für den Umgang mit den neuen Gesetzen. Wesentlicher Bestandteil dieser Neuerungen ist die EU-Vermittlerrichtlinie, die in Deutschland Anfang 2007 in Kraft treten soll und die Versicherungsvermittlung erlaubnispflichtig machen wird. Drei von vier Versicherern rechnen durch diese Reform mit bedeutenden Veränderungen für das eigene Geschäft. Die Anforderungen an rechtliches Fachwissen und die Beratungspflichten gegenüber freien Maklern werden stark ansteigen. Mit der unweigerlich einsetzenden Selektion auf dem Vertriebsmarkt dürften vor allem nebenberufliche Agenten zu kämpfen haben, da sie den Schulungsaufwand kaum mehr bewältigen können. Der Bedarf an effizienten Strukturen wird angesichts der immer differenzierteren Aufgabenlast unweigerlich steigen. Daher planen knapp acht von zehn Unternehmen, innerhalb der nächsten drei Jahre mit Maklern zu kooperieren. Bisher vertreiben drei von vier Versicherern ihre Produkte über diesen meistgenutzten Vertriebsweg. Die unabhängigen Vermittler begegnen dem durch die Reformen verschärften Wettbewerb ebenfalls mit Industrialisierungsmaßnahmen. Um ihre Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu wahren, schließen sie sich beispielsweise zu Beratungspools zusammen. Diese fördern einerseits die Beratungsqualität, andererseits sorgen sie für eine effiziente Marktaufteilung.
Erfolgskriterien
Entscheidend für den Erfolg eines Versicherers wird sein, wie es ihm gelingt, den differenzierten Anforderungen gerecht zu werden. Der Bedarf von Kunden und Vermittlern nach persönlichen Ansprechpartnern ist mit den Effizienzgewinnen aus Automatisierung der Vertriebsprozesse in Einklang zu bringen. Neben standardisierten, verwaltungsoptimierten Lösungen muss auch ausreichend Raum für individuelle Beratung und Unterstützung je nach Markt- und Kundensegment sichergestellt werden. Einen wirklichen Wettbewerbsvorteil werden nur Industrialisierungsmaßnahmen bieten, die durch einen effizienten Technikeinsatz auch mehr Individualität und Service für Kunden und Vertriebspartner ermöglichen. Christian Scharek ist Versicherungsexperte bei Steria Mummert Consulting