Politik muss handeln
Politik muss handeln Die Studie »Zukunft digitale Wirtschaft« des BITKOM nimmt auch die Politik in die Pflicht. Doch viele Forderungen dürften ungehört verhallen.



Damit IT in Deutschland eine Zukunft hat, müssen nach Meinung des BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft Telekommunikation und neue Medien e.V.) neue politische Weichenstellungen her. Von ihnen hat die Vereinigung klare Vorstellungen. Sie unterteilt ihre Handlungsempfehlungen in die Bereiche Bildung, Arbeitsrecht, Bürokratieabbau und Forschungsförderung. Für jeden Sektor erarbeitet die Studie konkrete Handlungsempfehlungen.
Bildung: Nachwuchsmangel bremst Wachstum Besonders wichtig sei die Bildung, denn: ohne technischen und wissenschaftlichen Nachwuchs keine Spitzentechnologie. Deshalb, so BITKOM, müsse sich die Einstellung zu Technik und Naturwissenschaft zum Positiveren wandeln, und zwar vom ersten Kindergartentag an durch alle Zweige des Bildungs- und Ausbildungswesens hindurch. Die Situation: Pro 100 Schüler stehen 8,6 Rechner in den deutschen Schulen, in Dänemark sind es 27,3. Die meisten Kinder bringen sich ihre PC-Kenntnisse selbst bei oder lernen im Familienkreis. Im OECD-Durchschnitt lernen sie dies zu einem guten Viertel in den Schulen. Schulen benötigen, der Studie zufolge, eine leistungsfähige IT-Infrastruktur und jeder Schüler braucht einen Notebook. Finanzieren sollen den die Eltern, bei finanzschwachen Familien fordert BITKOM einen Staatszuschuss. Der Verband schätzt die dafür nötigen Hardware-Investitionen auf 3,6 Milliarden Euro. Aus- und Weiterbildung der Lehrer sollen mit informationstechnischen Inhalten angereichert werden. Der Verband empfiehlt den Bildungsträgern weiter Projektarbeit, die Teilnahme an Forschungs-Wettbewerben, Einblicke in die Unternehmenspraxis, die Einrichtung von Forschungs-AGs und das Pflichtfach Informatik. Mädchen müssten gezielt für technisch-naturwissenschaftliche Fächer und Karrieren begeistert werden. Hochschulen sollen mehr Studenten naturwissenschaftlich-technisch ausbilden und weniger Studienabbrüche produzieren. Jeder dritte Naturwissenschafts- und Technikstudent verlässt die Uni heute ohne Abschluss. Dazu müssen das Ansehen der entsprechenden Berufsfelder gehoben, mehr Informationen über bestehende Abschlüsse gegeben, Studiengänge entschlackt und Studenten besser betreut werden. Studiengänge sollten aktueller und praxisbezogener, internationaler und auf die Unternehmenswirklichkeit bezogen sein, indem Studenten zum Beispiel bei Diplomarbeiten mit Firmen kooperieren.
Forschungsförderung: Mehr Mittel nötig Die ITK-Forschung muss, laut der Studienergebnisse, intensiviert werden. Denn IT-Produkte und -Technologien fließen in nahezu allen Branchen in Produktion und Verwaltung ein und haben daher starke Querschnittswirkung. Deutschland gab 2004 insgesamt 2,5 Prozent seines Bruttosozialprodukts für Forschung aus. In die ITK-Forschung flossen hierzulande im selben Jahr 431 Millionen Euro. Das ist im europäischen Vergleich absolut gemessen viel, prozentual aber wenig. BITKOM fordert gezielte Förderung statt Gießkannenprinzip: Geld sollen Vorhaben bekommen, die hochinnovativ, potenziell erfolgreich und auf internationalen Märkten verwertbar sein wie etwa Embedded Systems, Biometrie, DRM (Digital Rights Management), Utility Services und SOA (serviceorientierte Architekturen). BITKOM will mehr Geld für regionale Cluster. Einzelne Fördermaßnahmen sollen besser aufeinander abgestimmt werden. So entstünden, meint der Verband, Synergien und Doppelförderungen würden vermieden. Wichtig sei es auch, die Antragsverfahren einfacher zu gestalten und einmal erarbeitete Forschungsergebnisse besser zu verwerten, etwa durch Technologietransfer. Ein Beispiel dafür ist die neue Forschungsprämie des Bundesministeriums für Forschung und Technologie. Sie wird ab dem laufenden Jahr jenen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen gezahlt, die Forschungsaufträge kleiner und mittlerer Firmen annehmen. Schließlich fordert der Verband für die IT-Forschung wirksame Effizienzmessungen. Es müsse klar werden, wie viel zusätzliches Wachstum und wie viel zusätzliche Beschäftigung durch die Forschungsförderung entstehen.
Arbeitsrecht: Mehr Flexibilität ist gefragt Mehr Arbeit bei weniger Kündigungsschutz, das sind, kurz gefasst, die BITKOM-Empfehlungen für diesen Bereich. Als Argument dienen altbekannte Daten: Im Jahr arbeiten Japaner 2013 Stunden, Amerikaner 1920 und Schweizer 1852 Stunden, Deutsche aber nur 1616 Stunden – Überstunden allerdings nicht gerechnet. Der Jahresurlaub beträgt in den USA zwölf Tage, in Italien und Polen jeweils 20 Tage, in Deutschland 30 Tage. Auf einem Index, der von 1 bis 100 reicht, steht Deutschland bezüglich der Starrheit der Arbeitszeit bei 80 (OECD-Durchschnitt: 50), hinsichtlich unflexibler Einstellungsbedingungen bei 44 (OECD-Durchschnitt: 30) und beim Thema starre Kündigungsregeln bei 40 (OECD-Durchschnitt: 27). Der Verband empfiehlt, die Befristung von Arbeitsverträgen freizustellen, die maximale Tagesarbeitszeit zu erhöhen, die Einrichtung von Lebensarbeitszeit-Konten zu unterstützen, den Kündigungsschutz auf Betriebe über 20 Mitarbeiter zu beschränken, generell zu lockern und Existenzgründer für vier Jahre davon auszunehmen. Betriebsräte werden vom Verband als Hemmschuh gebrandmarkt, insbesondere, wo sie über Personalfragen mit entscheiden. Der Verband möchte, dass sie erst ab 100 Mitarbeitern gebildet werden, freigestellte Betriebsräte soll es erst ab 500 Mitarbeitern geben. Zudem sollen Mitbestimmungsverfahren durch gesetzlich festgeschriebene Entscheidungsfristen beschleunigt werden.
Bürokratie: Weg damit! BITKOM findet, Deutschland sei überreguliert. Deshalb brauche man, um eine Firma zu gründen, neun Schritte und 24 Arbeitstage. In Dänemark sind es drei Schritte und fünf Tage. Besonders die Mitarbeiter kleiner Firmen müssen viel produktive Zeit in die Erfüllung bürokratischer Pflichten stecken, nämlich pro Jahr und Mitarbeiter 64 Stunden. Gerade in der IT finden sich mit Systemhäusern, Consultants und kleineren Softwareschmieden viele Organisationen dieser Größe. Bei Großunternehmen waren es 2004 nur 5,6 Stunden pro Mitarbeiter und Jahr. Das ergab eine Studie der Commerzbank. Der Verband fordert, überflüssige Gesetze auf allen Ebenen zu streichen. Der Umfang von Berichts-, Dokumentations- und Nachweispflichten sollte gemessen werden, wie das in anderen Staaten bereits üblich ist. Verwaltungsabläufe wünscht sich BITKOM im ganzen Bundesgebiet einheitlich und straffer. Dabei weist der Verband dem E-Government eine wichtige Rolle zu. Ein Beispiel dafür ist das seit September 2005 freigeschaltete Online-Meldeverfahren für statistische Unternehmensdaten estatistik.core. Außerdem plädiert er für elektronische Karten (Jobcard, Gesundheitskarte) statt Papier. Mit der Finanzverwaltung sollten Steuerzahler überwiegend elektronisch kommunizieren. Altbekannt und nie erhört ist die Forderung, das Steuerrecht zu vereinfachen.