Verlottert
Verlottert. Gerüchte, der ehemalige Innenminister Otto Schily würde als Krisenmanager bei der Supermarktkette Wal-Mart einsteigen, entbehren natürlich jeder Grundlage. Verführerisch ist der Gedanke trotzdem, passt doch Schilys Tätigkeitsprofil genau auf die Person, die Wal-Mart zur Umsetzung seiner Anfang des Jahres erlassenen Ethik-Richtlinie braucht. »Möglichst viel verbieten und den Rest kontrollieren«, so lässt sich das Papier in einem Satz zusammenfassen.
Verlottert
Was dem Innenminister a.D. die Einschränkung des Demonstrationsrechts, die Speicherung von genetischen Fingerabdrücken oder der Einblick in die Kontostammdaten ist, ist den Wal-Mart-Ethik-Wächtern die anonyme Telefonhotline, über die Vergehen gegen den Ehrenkodex des Discountriesen hätten gemeldet werden sollen. Inquisition oder Hexenverbrennung hätten sich ? so die technischen Möglichkeiten bestanden hätten ? sicher derselben Methoden bedient: Mitarbeiter wollte Wal-Mart so verpflichten, vermutete Verstöße umgehend zu melden. Besonders »lüsterne Blicke, zweideutige Witze und sexuell deutbare Kommunikation jeder Art« sollten meldepflichtig sein. Die Pläne, diese Abteilung Stasi (Ständiger Ausschuss sichere Intimsphäre) zu nennen, wurden auf Einspruch eines Wal-Mart-Mitarbeiters aus Bautzen kurzfristig ad acta gelegt. Das auch als »Flirtverbot« bezeichnete Regelpaket wurde nun vom Düsseldorfer Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Die offizielle Begründung: Solche Bestimmungen müssten mit dem Gesamtbetriebsrat abgestimmt werden. Inoffiziell heißt es, die Gleichstellungsbeauftragte habe sich durchgesetzt, sie sah in den Richtlinien deutlich eingeschränkte Karrierechancen für Frauen bei Wal-Mart.
Andererseits würde das Ethik-Reglement natürlich auch Kunden eine deutliche Entlastung bringen: Sprüche wie »Oh mein Adonis, zeig mir doch mal, was Du da im Säcklein hast« oder »Hey Mäuschen, darf ich mal deine Körbchen durchsuchen«, die wir ja alle täglich an den Kassen über uns ergehen lassen müssen, gehörten dann der Vergangenheit an. Aber auch unverschämte Forderungen gegenüber der Fachverkäuferin an der Fleischtheke, etwa »Bitte zeigen Sie mir mal Ihre Buletten«, wären dann tabu.
Etwas mehr Höflichkeit und Anstand könnte aber auch der IT-Branche nicht schaden. »Den USB-Stick können Sie überall ohne Software reinstecken« oder »Der Monitor liefert Ihnen garantiert nur scharfe Bilder« gehören nicht in die Arbeitswelt und sind besonders im Umgang mit Minderjährigen nicht notwendig. Der Joystick ist dank immer ausgefeilterer Mäuse ja schon weitgehend aus den Regalen verschwunden, jetzt gilt es noch in Anlehnung an weibliche Formen in anstößiger Weise geformte Tastaturen aus dem Handel zu verbannen. Vielleicht wäre das eine neue Aufgabe für Otto Schily: Statt Rack-Jobbing »Rack-Cleaning«-Kolonnen zu koordinieren, die für saubere Regale in deutschen Läden sorgen. Ganz nebenbei könnte man auf den Blisterverpackungen dabei noch die Fingerabdrücke derjenigen erfassen, die sich solchen Schweinkram angeschaut haben.