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Digitalisierung in der Pflege

Zeit gewinnen für das Wesentliche

In der Pflege sind digitale Lösungen noch nicht weit fortgeschritten, obwohl sie viel Potenzial für die Bewältigung von Problemen bieten. Es lohnt sich also, Hürden bis zur Implementierung abzubauen. Doch wie tragen digitale Lösungen genau dazu bei, die Pflege attraktiver und menschlicher zu machen?

Autor:Autor: Clemens Raemy / Redaktion: Diana Künstler • 13.10.2022 • ca. 5:40 Min

Gesundheitswesen, Bürokratie
© Elnur/123rf

Aktenberge aus Papier, eine zeitraubende Kommunikation via Fax oder die händische Planung der Schichten für die MitarbeiterInnen: Diese Tätigkeiten sind Zeitdiebe, die die aktuellen Probleme in der Pflege wie den Fachkräftemangel und die Unterversorgung in ländlichen Gebieten weiter verstärken. Doch dafür gibt es Lösungen. Denn digitale Applikationen auf dem Smartphone, dem PC, Tablet oder Laptop bieten die Möglichkeit, die bestehenden Konzepte grundlegend zu überdenken. Wie genau funktioniert das?

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Dokumentation, Recruiting und Schulungen

Dokumentation: Cloud-basierte Applikationen können eine wichtige Änderung des bisher dominierenden Pflegekonzepts bewirken. So entfällt beispielsweise eine zeitraubende Übergabe an KollegInnen. Da Pflegekräfte hier ihre Tätigkeiten und den Zustand der Patientin beziehungsweise des Patienten vermerken, ist es aber wichtig, dass die Pflegeakte eines Patienten datenschutzkonform in der Lösung gespeichert wird. Von Vorteil ist jedoch, dass die Pflegeleitung beispielsweise durch eine vernetzte Tourenplanung eine gute Übersicht erhält. Und auch die Abrechnungen der erbrachten Leistungen sind mit dieser Art der elektronischen Pflegedokumentation (ePD) leichter und zeitsparender zu handhaben. Viele dieser Lösungen werden im Gesundheitswesen bereits gefördert.  

Recruiting: Auch für Recruiting- und HR-Angelegenheiten in der Pflege gibt es zahlreiche Anwendungen, die bei der Einstellung neuer MitarbeiterInnen das Dokumentenmanagement erleichtern und die digitale Vertragsunterschrift ermöglichen sollen. So wird der komplette Einstellungsprozess und später dann die Personalakte der MitarbeiterInnen digital dokumentiert.

Schulungen: Pflegekräfte müssen und wollen sich kontinuierlich weiterbilden. Und auch dieser Bereich lässt sich mit digitalen Lösungen abdecken. So können beispielsweise bereits bestehende Learning-Plattformen wie „Pflegecampus“ verwendet und programmatisch an die Bedürfnisse der Nutzer angepasst werden. Somit sind MitarbeiterInnen von Pflegediensten idealerweise in der Lage, gezielt Schulungen zu buchen und die Weiterbildung in ihren beruflichen Alltag zu integrieren.

Wichtig: Nutzt ein Pflegedienst mehrere Anwendungen für verschiedene Bereiche, sollten diese Lösungen miteinander verbunden sein und regelmäßig synchronisiert werden. So ist sichergestellt, dass alle wichtigen Daten immer aktuell sind und  MitarbeiterInnen diese einsehen können.

Herausforderungen und Hürden

Zeitfresser Bürokratie
© funkschau

Insbesondere langjährige und etablierte Pflegedienste stehen der Digitalen Transformation aber oft kritisch gegenüber. Gründe dafür sind zum einen Skepsis und mangelnde technische Kenntnisse. Die Nutzung entsprechender Anwendungen gestaltet sich aber immer einfacher, Schulungen für MitarbeiterInnen können zudem weiteres notwendiges Wissen vermitteln. Viele der verfügbaren Anwendungen orientieren sich darüber hinaus in ihrem Aufbau an gängigen Messenger-Applikationen.

Bremsend auf die dringend nötige Digitalisierung in der Pflege wirken zum anderen aber vor allem die Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens. So müssen Pflegedienstleister trotz vorhandener digitaler Möglichkeiten eine Papierakte für jeden Patienten führen. Alle Informationen digital an die Krankenkassen zu schicken, ist noch immer nicht möglich, obwohl die beleglose Abrechnung bereits 2019 eingeführt wurde.  Bei Patientendaten handelt es sich zudem um hochsensible und datenschutzrechtlich stark geschützte Informationen. In der Pflege genutzte Apps müssen also einen viel höheren Sicherheitsstandard als beispielsweise Social-Media-Apps aufweisen. Das ist richtig so, aber keine Begründung dafür, dass die Einverständniserklärung zur Nutzung digitaler Applikationen durch Pflegedienste und PflegemitarbeiterInnen in Deutschland lediglich in Papierform erfolgen darf. Der Zeitaufwand für alle Beteiligten ist damit letztlich immens.

Alternativlose Entwicklung

Zudem gilt: Die Nutzung von Applikationen ist nur ein wichtiger Meilenstein für die Digitale Transformation in der Pflege. Denn auch die Implementierung anderer digitaler Lösungen muss voranschreiten. Aktuelle Beispiele sind smarte Hilfs- und Monitoring-Lösungen wie Sensoren, die eine bedarfsgerechte Pflege unterstützen sollen, sowie andere Smart Home-Konzepte, das sogenannte Ambient Assisted Living.  Zu bedenken ist dabei allerdings, dass bei allen Innovationen der menschliche beziehungsweise emotionale Faktor nicht zu kurz kommen darf. Keine digitale Lösung kann die persönliche Zuwendung eines anderen Menschen ersetzen.

Die digitalen Entwicklungen leisten jedoch einen wichtigen Beitrag, Pflege durch die gewonnenen Zeit des Fachpersonals letztlich wieder menschlicher zu gestalten. Sie kommen somit den PatientInnen zugute und unterstützen sie dabei – trotz körperlicher und seelischer Beschwerden – autonom und selbstbestimmt zu leben. Und angesichts des sich  immer weiter verschärfenden Pflegenotstandes ist eine schnellere Digitalisierung des Pflegesektors nicht nur dringend notwendig, sondern
alternativlos.

Die Digitalisierungsquoten in ambulanten und stationären Einrichtungen sind allerdings nach wie vor sehr gering. Die Kommunikation mit Ärzten und Apotheken erfolgt in vielen Fällen nach wie vor schriftlich oder per Faxgerät. Die vorhandenen Potenziale werden also noch längst nicht ausgeschöpft. Dabei zeigt die bereits erfolgreich umgesetzte Implementierung durchdachter und User-zentrierter Digitallösungen, dass die planvolle Anwendung technischer Entwicklungen in der Pflege die Lösung für viele aktuell bestehende Probleme sein kann – sowohl für PatientInnen und Angehörige als auch für die Pfleger selbst.

Clemens Raemy, Co-Gründer und -CEO von Kenbi