Gespaltenes Echo auf Googles Einstieg in den Browser-Markt

Analysten: Chrome kein neuer Browser, sondern ein neues Betriebssystem

4. September 2008, 22:57 Uhr |

Die Veröffentlichung des neuen Google-Browsers per Comic war ein Versehen. In den ersten 24 Stunden danach versuchte der Suchmaschinengigant wieder Herr des Geschehens zu werden. Inzwischen gab es verschiedene Analysten-Previews die zu ersten Kommentaren und Stellungnahmen führten.

Braucht die Welt wirklich einen neuen Browser, nach dem alle bisherigen Attacken auf den Internet Explorer (IE) gescheitert sind? Das war die beherrschende Frage unter den Analysten nach Googles Ankündigung eines eigenen Browsers. Laut Netapplications hat der IE einen Marktanteil von 72 Prozent, Mozillas Firefox liegt bei knapp 20 Prozent und den Rest teilen sich Safari und Opera.

Inzwischen gehen die Meinungen über Googles Eintritt in diesen gesättigten Markt nicht mehr so weit auseinander. Auch wenn es bislang noch keine Testberichte über Chrome gibt, so zeichnen sich doch bereits weitere Funktions- und Leistungsdetails ab. "Chrome ist genial, dieser Browser bietet eine bessere Nutzung von Web-Apps, einfache Multimedia-Anwendung und eine optimale Nutzung der Tabs", schwärmte Merrill-Lynch-Analyst Justin Post nach dem Preview am Google Hauptquartier.

Die meisten Analysten sind sich darin einig, dass Google mit Chrome den Desktop von morgen beherrschen will. Deshalb ist Chrome auch eher ein Betriebssystem als ein Webbrowser. Die Tabs sind für unterschiedliche Applikationen gedacht, deshalb werden sie auch wie solche behandelt. Mit anderen Worten: Der Tab-Bar ist der neue Task-Bar.

Und genauso wie einst bei Microsoft soll der Angriff über den Konsumer-Markt erfolgen. Hier benötigt Google neue Werbeplattformen, denn die Nutzungszahlen von Youtube hinken immer noch hinter den hoch gesteckten Erwartungen zurück. Ein neues Browser-OS, das die neuen Multikern-Prozessoren ausnutzt, könnte hier zumindest einen Leistungsschub auslösen. "Chrome wird sicherlich viele User dazu verleiten die neuen Rich-Media-Apps intensiver zu nutzen als bisher", sagt Roger Kay, Chef von Endpoint Technologies Associates.

Doch damit entwickelt sich Web 2.0 möglicherweise zu einem völlig eigenständigen IT-Bereich, der sich immer weiter von den professionellen Anwendungen entfernt. Das aber kann nicht in Googles Interesse sein. Auf Dauer dürfte deren Zielsetzung eine ganz andere sein: So wie sich Microsoft mit der systemtechnischen Verzahnung von Windows und Office einen uneinholbaren Konkurrenzvorteil auf dem Desktop verschafft hat, so wird auch Google mit einer ähnlichen Verzahnung von Browser und Online-Apps den zukünftigen Markt des Cloud-Computing beherrschen wollen. "Der Browser ist das Gateway zum Cloud-Computing, insofern macht es viel Sinn dass Google seine ehrgeizigen Cloud-Pläne mit einem eigenen Browser unterstützt", sagt Greg Sterling, Chef von Sterling Market Research.

Ähnliches hat auch Microsoft über Jahre hinweg versucht. Auch der IE sollte eine monopolartige System-Plattform für alle Web-Anwendungen werden. Dafür war man sogar bereit ein teures Kartellverfahren zu riskieren.

Die Strategie ging zunächst auf und viele Versicherungen, Reiseveranstalter, Autohersteller und andere Unternehmen sparten sich die Entwicklung einer Client-Software für ihre Agenten und Händler und nutzten dafür den Internet Explorer. Die Crux ist, dass damit eine Abhängigkeit von Browser und Anwendung entsteht. In vielen Unternehmen sind noch immer alte IE-Versionen im Einsatz nur weil die darauf ablaufenden internen Programme nicht im Microsoft-Takt an neue IE-Versionen angepasst wurden.

Auch die E-Commerce-Anbieter hadern schon lange mit Microsoft, da sie praktisch für jede neue IE-Version eine neue Version ihrer eigenen E-Commerce-Plattform erstellen müssen. Vor allem die mit vielen Security-Maßnahmen ausgestatteten Online-Banking-Systeme verursachen hier stets einen hohen Anpassungsaufwand.

Microsoft hat dieses Problem inzwischen erkannt und will sich fortan mehr an den Internet-Standard halten, sprich: Weniger Applikations-Unterstützung, dafür mehr Webseiten-Support - also genau das Gegenteil von dem, was Google jetzt plant.

Einige Analysten sehen den Google-Ansatz jedoch nicht so weit reichend. "Das ist gar kein Angriff sondern nackte Notwehr", meint Bernstein-Analyst Jeffrey Lindsay. Seiner Ansicht nach steht Google mit dem Rücken an der Wand, denn der "Privacy-Mode" des IE 8, den es auch bei Apples Safari gibt, zerstört das auf Cookies basierende Werbegeschäft von Google. "Microsoft hat gute Chancen mit dem Privacy-Mode Googles Milliardenakquisition von Doubleclick nutzlos zu machen - da muss der Searchgigant zu drastischen Maßnahmen greifen", lautet seine Erklärung über den Google-Vorstoß.

Dass dabei auch langjährige Freundschaften riskiert werden, muss Google in Kauf nehmen. "Wir begrüßen den Einstieg von Google in den Browsermarkt, denn Konkurrenz fördert die Innovationen", hieß es zähneknirschend in einer Erklärung von Mozilla, dem Hersteller von Firefox, der 80 Prozent seiner Einnahmen aus einem Deal mit Google erhält. Analysten amüsierten sich über diese Erklärung. "Ich weiß nicht wie die Leute bei Mozilla derzeit über Googles Motto ?Tu nichts Böses" denken", fragte Jupiter-Analyst David Card schmunzelnd.

Harald Weiss/CZ


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