Das eigene Rechenzentrum könnte sich in Zukunft als Bremse erweisen, wenn es um schnelle und flexible Geschäfte geht - so der Tenor auf dem diesjährigen AWS-Summit. Auch in Deutschland macht sich wohl die Erkenntnis breit, dass die Public Cloud immer öfter die bessere Alternative ist. Das belegten in Berlin neue AWS-Kunden wie Tado (Heizungs-/Klima-Automation), Audi, Zalando und die TU München. Gut 2.000 Teilnehmer hörten dort außerdem Neues zu Diensten wie Elastic File System, Machine Learning und Lamda, einem ereignisgesteuerten Rechen-Service.
Nach dem mit Retro-Charme gespickten alten Postbahnhof wählte Amazon Web Services (AWS) in diesem Jahr den neuen High-Tech-Klotz "City Cube" als Ort für seinen jährlichen AWS-Summit in Berlin. Dieser bot für die insgesamt rund 3.000 Personen (inklusive Partner, Entwickler und eigenes Personal) einen komfortablen Rahmen, sowohl für die Stände der 45 Aussteller wie auch die Keynotes, 45 Break-out-Sessions zu neun Themenbereichen und das persönliche Networking.
In der Tat schien auch die Grundstimmung auf der Konferenz irgendwie runderneuert. Waren im vergangenen Jahr noch Vorbehalte und Sicherheitsbedenken bezüglich Cloud-Angeboten klar präsent, dominierten in diesem Jahr deutlich die Visionen und konkreten Geschäftsvorteile, die sich durch die Anmietung von Cloud-Diensten erzielen lassen.
Digitale Transformation - Leitthema der letzten CeBIT - und das Internet der Dinge erweisen sich als starke Treiber für die öffentliche Cloud. In Berlin klang es tatsächlich fast ausnahmslos so, als wären die mit diesen beiden Trends verbundenen Herausforderungen ohne adäquate Cloud-Nutzung schlicht nicht zu meistern.
Befeuert wurde die Aufbruchsstimmung nicht zuletzt auch durch die Auftritte renommierter Firmen und Institutionen völlig unterschiedlicher Couleur. Audi etwa will den Gegenstand Auto künftig mit zahlreichen Web-Services anreichern. Der "Audi-on-Demand"-Service beispielsweise, der seit Kurzem im San Francisco läuft, spielt mit neuen Sharing-Modellen in Sachen Mobilität. Tado hat auf Basis von AWS-Diensten einen Service entwickelt, der Nutzern erlaubt, Heizungen und Klimaanlagen per Smartphone-App zu steuern. Das Frankfurter Städel-Museum - klassischer Vertreter einer "Oldschool"-Institution -, baut derzeit mithilfe der Amazon-Wolke eine digitale Sammlung seiner Kunstwerke auf, umfassende Erläuterungen und Querverweise inklusive. Zalando erhofft sich mit dem Gang in die AWS-Cloud, auch als nunmehr großes und etabliertes Unternehmen seinen "Start-up-Spirit" zu erhalten.
Philip Garbe, Lead Developer bei Autoscout24, erklärte im Gespräch mit LANline, warum auch sein Unternehmen derzeit in die Cloud wandert. Mittelfristig sollen beide derzeit in Eigenregie betriebenen Rechenzentren aufgelöst und komplett in der Cloud abgebildet werden. Gründe sind immer wieder mehr Effizienz und gesteigerte Flexibilität und damit Agilität. Autoscout24 organisiert im Zuge des Cloud-Gangs seine Teams neu, die Steuerung der IT gehört jetzt dank einfach zu handhabender Cloud-Lösungen zur Kompetenz einer Arbeitsgruppe.
"Unsere Entwicklungsteams sind damit erheblich näher am Kunden, da deren Feedback direkt bei ihnen ankommt und nicht erst den Umweg über eine eigene IT-Organisation gehen muss", so Garbe. Das Unternehmen will künftig erheblich schneller und direkter als früher mit neuen Diensten kommen und so schließlich auch die Umsätze weiter ankurbeln.
Der Auftritt der Technischen Universität München hatte für AWS eine besondere Bedeutung, denn der öffentliche Sektor gehört ab sofort zu den strategischen Zielgruppen des Unternehmens. Auch bei den Sessions gab es dafür einen eigenen Track. Der Bereich Aus- und Weiterbildung steht dabei mit ganz oben auf der Agenda. Mit "AWS Educate" gibt es dafür auch bereits ein umfangreiches Tool. Auf seiner Basis hat die TU München dann auch einen "Educate-as-a-Service" (Eaas) aufgesetzt, über den sich Studenten zu einer wachsenden Zahl von Themen unterstützt durch multimedialen Kontext auf den aktuellen Stand der Dinge bringen können.
Eine Reihe weiterer deutscher Unternehmen im öffentlichen Sektor sowie gemeinnützige Unternehmen und Forschungsinstitute haben AWS ebenfalls angenommen. Dazu zählen Organisationen wie das Max Planck Institut, die Weltraumbehörde Esa, die Aktion "Deutschland hilft", das Heidelberg Institut für Technische Studien und The Global Crop Diversity Trust. Seit Oktober 2014 ist AWS auch mit einer eigenen Region in Deutschland vertreten. Zusammen mit den Regionen in Brasilien, Japan, Singapur, China, Irland und in den USA verfügt AWS damit jetzt über insgesamt elf Regionen weltweit. In Berlin überraschten Martin Geier, General Manager AWS Germany und der aus den Niederlanden stammende Amazom.com-CTO Dr. Werner Vogels mit der Nachricht, dass keine andere Region auf der Welt ein so starkes Wachstum an den Tag legt wie eben Frankfurt. Mit dem Aufspringen großer Namen auf die AWS-Cloud sieht Vogels das Land der Langzeit-Cloud-Skeptiker nun als bereit für die Massenwanderung in die öffentliche Wolke, respektive zu AWS.
Frankfurt ist am schnellsten wachsende AWS-Region
Vogels will ein wachsendes Vertrauen registriert haben, das nun auch in Deutschland angestammte Vorbehalte zurückdrängt. Den Grund findet er schnell - zumindest was das eigene Cloud-Angebot betrifft: "Datensicherheit und Datenschutz stehen bei uns an erster Stelle, sowohl was die Entwicklungsprioritäten betrifft als auch unsere Investments", so der AWS-Technik-Chef. "Die Kontrolle über die Daten liegt bei uns ausschließlich beim Kunden, das können wir durch unsere Audits zweifelsfrei nachweisen, und das bestätigen die zahlreichen Zertifizierungen, die wir inzwischen erfolgreich durchlaufen haben." Mit der Lokation Frankfurt sei AWS nun auch in der Lage, firmeninterne und nationale Compliance-Vorgaben zu erfüllen, die für bestimmte Unternehmen und Organisationen ein Muss sind.
Auf dem Summit hat AWS auch ein Pop-up-Loft angekündigt, in dem Start-ups AWS-Mitarbeiter treffen und sich von Solutions Architects beraten lassen können. Das Loft wird sich innerhalb des AWS-Büros in Berlin Mitte befinden. Die Standortwahl sieht AWS als Anerkennung für einen Innovationsgeist, der in den letzten Jahren Unternehmen wie Soundcloud, Freeletics und Tado hervorgebracht hat.
Natürlich ließ es Vogels sich nicht nehmen, in Berlin auf neue und geplante Cloud-Services aufmerksam zu machen. Der Baukasten an großen und kleinen Service-Blöcken (letztere laufen unter der Bezeichnung Micro-Services) umfasst inzwischen einen enormen Pool für ein breites Spektrum an Aufgaben. In den vergangenen sieben Jahren hat AWS 1.170 neue Funktionen und Services veröffentlicht, 516 davon alleine im Jahr 2014. Wo AWS akut noch Nachholbedarf sah, war der Umgang mit Dateisystemen. Das neue "Elastic File System" ist als Shared-File-System konzipiert, das einfachen Zugriff auf gemeinsame Dateien bieten soll. Laut Vogels integriert es nahtlos existierende Apps und unterstützt NFSv4. Der Clou ist, dass es bis in Petabyte-Dimensionen skalieren und dabei die IOPS-Performance automatisch anpassen soll.
Neben "AWS Lamda", einem Rechen-Service, der einen Code beim Eintreten bestimmter Ereignisse ausführt und automatisch die zugehörigen Datenverarbeitungsressourcen verwaltet (für Anwendungen, die schnell auf neue Informationen reagieren sollen), ging Vogels auch auf den im April dieses Jahres vorgestellten "Machine-Learning-Service" ein. Dieser bündelt angeblich Funktionen der künstlichen Intelligenz mit solchen der Big-Data-Analyse. Resultat für den Anwender soll "ein kurzer Blick in die Zukunft" sein, wie Ralf Herbrich, Head of the Machine Learning Lab bei AWS, im Gespräch mit LANline erklärt.
Kleiderhersteller beispielsweise sollen so in der Lage sein, mit hoher Wahrscheinlichkeit die demnächst gefragten Modelle etwa einer Jeans zu produzieren, und zwar in den voraussichtlich angesagten Farben, Schnitten und Größen. Während die Daten in diesem Beispiel im Batch-Betrieb verarbeitet werden, sind bei Unternehmen wie einem Taxi-Service Echtzeit-Fähigkeiten gefragt. Ein Dispatcher könnte die Flotte so steuern, dass Fahrzeuge immer in der Nähe von Orten sind, wo voraussichtlich in Kürze ein Taxi gebraucht wird.
"Der Versuch derartiger Prognosen ist nicht neu, früher hatte man oft riesige Tabellen und rechnete mit statistischen Wahrscheinlichkeiten", so Herbrich. "Im Prinzip ist das bei unserem Machine-Learning-Service nicht anders, nur eben in ganz anderer Skalierung, Geschwindigkeit, Flexibilität und in der Folge auch Genauigkeit."
Die Frage, ob die Cloud denn nun wirklich in Deutschland angekommen sei, beantwortet Vogels mit einem klaren Statement: "In nur acht Monaten nach dem Launch ist die AWS-Region Frankfurt unsere am schnellsten wachsende internationale Region überhaupt geworden. Dies zeigt, dass deutsche Unternehmen zu den innovativsten und technologieversiertesten Kunden in der Welt gehören und auf die Cloud setzen, um ihr Geschäftswachstum voranzubringen. Die Cloud ist das neue Normale."
Der Autor auf LANline.de: ElCorrespondente