Kategorie 6a - Stand der Technik (Teil 1)

Die nationalen und internationalen Normen

19. August 2008, 22:00 Uhr | Frank Reich/dp Frank Reich leitet den Bereich Data/Voice bei Telegärtner.

Immer wieder hört man, dass die Kategorie 6a nun verabschiedet sei und 10GbE über Kupferleitungen nun nichts mehr im Wege stünde. Tatsächlich sind sowohl die Technik als auch der Standard noch nicht soweit ausgereift, dass ein internationaler Komponenten- standard verabschiedet werden könne. Diese Artikelserie beschreibt den Hintergrund mit dem aktuellen Stand der Technik. Der vorliegende erste Teil befasst sich mit dem aktuellen Stand der nationalen und internationalen Normen.

Neue Techniken müssen wirtschaftlich und zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt werden. Dabei diskutieren IT-Planer und -Leiter kein Thema derzeit so häufig und vielschichtig wie 10GBase-T, also 10 Giga- bit Ethernet über Kupferleitungen mit verdrillten Aderpaaren (twisted pair). Die Hersteller von Switches halten sich bedeckt, darunter selbst bedeutende Marken. Die Preise für die wenigen verfügbaren Produkte bewegen sich noch im Bereich von 500 bis 1000 Euro pro Anschluss. Der zugrunde liegende Standard für 10GBase-T erschien bereits 2006, doch heute, fast zwei Jahre danach, sind noch immer nicht alle Komponenten und Messvorschriften abschließend genormt.

Die Normungsgremien

IEEE, das Institute of Electrical and Electronics Engineers, standardisiert die aktiven Netzwerktechnik mit seinen Ethernet-Varianten. Formaljuristisch ist es ein US-amerikanisches Gremium, de facto haben seine Standards weltweit Gültigkeit. Denn nur so ist gewährleistet, dass die Geräte der verschiedenen Hersteller auch reibungslos zusammenarbeiten. Die Vorgaben für das Übertragungsverfahren, die Elektronik und den Übertragungskanal für 10GBase-T sind seit September 2006 als IEEE 802.3an veröffentlicht. Als Stecker ist der RJ45 vorgegeben, damit auch ältere, langsamere Ethernet-Geräte über das neue Netz betrieben werden können. Der Standard enthält jedoch keine detaillierten Vorgaben für die elektrischen und übertragungstechnischen Werte der einzelnen Komponenten wie Kabel, Stecker oder Anschlussdosen. Diese Detailspezifikationen werden in anderen Normen festgelegt, und diese Normen sind noch nicht vollständig.

Zu den dafür zuständigen Gremien zählt zum einen die TIA (Telecommunications Industry Association). Diese ist streng genommen ein Interessensverband der amerikanischen Telekommunikationsindustrie, deren - technisch hervorragende - Standards und Empfehlungen nur für die USA und Kanada Gültigkeit haben.

Die weltweit gültigen Normen veröffentlicht die ISO (International Organisation for Standardisation), und ihre Untergruppe IEC (International Electrotechnical Commission), die sich mit der Elektrotechnik im weitesten Sinne befasst, also auch mit der IT. Das Pendant zur IEC in der Europäischen Union ist die CENELEC (Comité Européen de Normalisation Electrotechnique) mit Sitz in Brüssel, deren EN-Normen auch einige Nicht-EU-Länder wie beispielsweise die Schweiz anerkennen. In Deutschland ist im DIN (Deutsche Institut für Normung e.V.) die DKE zuständig, die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik.

Bei einem typischen Ablauf des Normierungsprozesses verabschiedet die ISO/IEC nach langen Beratungen eine weltweit gültige Norm. CENELEC übernimmt sie als EN für die Europäische Union und passt sie gegebenenfalls an EU-spezifische Gegebenheiten an. Die DKE nimmt weitere, landesspezifisch notwendige Anpassungen vor, übersetzt die Norm ins Deutsche und veröffentlicht sie dann als DIN EN.

Die ISO/IEC 11801 und deren deutsches Pendant DIN EN 50173 werden zwar den Erfordernissen neuer Netzarten wie 10GBase-T angepasst, sie normieren jedoch nur die gesamte Übertragungsstrecke als solches, nicht aber die zu verlegenden Leitungen. Diese sind in separaten Normen wie der Normenfamilie DIN EN 50288 detailliert festgeschrieben.

Die verschiedenen Normen hängen voneinander ab, und so kann es mitunter erheblich dauern, bis die letzte Komponente in allen Einzelheiten genormt ist.

Sonderweg der TIA

Brisant wird das Thema, wenn ein nationales Gremium übliche Aufteilung und Abläufe nicht einhält. In diesem Fall verabschiedete die TIA im Februar 2008 die Norm ANSI EIA/TIA 568-B.2 Addendum 10 für 10GbE, in der neben der Gesamtübertragungsstrecke (Channel) auch die fest verlegte Verkabelungsstrecke zwischen Verteilerschrank und Anschlussdose (Permanent Link) sowie Vorgaben für die einzelnen Komponenten mit den notwen-digen Messverfahren festgeschrieben sind.

Die ISO/IEC veröffentlichte im April 2008 das Amendment 1 zur ISO/IEC 11801, das ebenfalls Vorgaben für den Channel, also die gesamte Verkabelungsstrecke inklusive Anschlussleitungen enthält. Vorgaben zur fest verlegten Verkabelung zwischen Verteilerschrank und Anschlussdose (für Baumaßnahmen besonders wichtig) stehen jedoch noch aus, genauso wie die Vorgaben für die einzelnen Komponenten wie Leitungen oder Anschlussdosen. Diese Vorgaben werden sehr viel strenger sein als die der TIA und sollen im Amendment 2 ver-öffentlicht werden - ein Termin ist allerdings noch nicht bekannt.

ISO/IEC sieht dabei die Messtechnik als Hauptproblem an: Die Modellrechnungen für zusammengesteckte Komponenten passen zurzeit noch nicht zur physikalischen Realität. Das Gremium will bei der Komponentenmesstechnik vom klassischen De-embedded-Messverfahren abrücken, das die Branche für Komponenten der Kategorie 6 verwendet. Die Kategorie 6 bietet genügend Systemreserve für Datenraten bis 1 GBit/s, doch für 10 GBit/s reicht sie nicht aus. Hier werden Komponenten der neu zu definierenden Kategorie 6a benötigt. Das "a" steht für "augmented", zu deutsch: vergrößert, und die Kategorie 6a bietet neben zusätzlichen Messgrößen mit 500 MHz auch den doppelten Frequenz- bereich gegenüber der Kategorie 6. Aufgrund der fehlenden internationalen Normen können unabhängige Prüflabore derzeit noch keine Zertifizierung von Kategorie-6a-Komponenten anbieten. So gibt es derzeit nur Systemzertifizierungen für den EA-Channel, die ein Prüflabor für Hersteller im Labor durchführt. Darüber hinaus sind solche Zertifizierungen auch nach der Installation im Feld nötig.

Mix & Match

Von weltweit gültigen, konkreten Vorgaben für die einzelnen Komponenten ist die Branche noch immer weit entfernt, dabei wären sie gerade in Deutschland dringend erforderlich. Anders als in anderen Ländern, wo Kunden bevorzugt Systemlösungen, also durchgehend Komponenten aus derselben Produktlinie eines Herstellers einsetzen, ist in Deutschland "Mix & Match" beliebt. Dabei werden Komponenten verschiedener Hersteller innerhalb eines Channels gemischt. Sofern die Komponenten aufeinander abgestimmt sind, funktioniert auch dieser Ansatz je nach Herstellerkombination. Da jedoch immer das schwächste Glied die Stärke einer Kette bestimmt, in diesem Falle also die Komponente mit der niedrigsten Leistungsklasse oder den geringsten Reserven gegenüber den Normwerten, ist wildes Mischen gefährlich. Je höher die zu übertragende Datenrate wird, desto enger sind generell die Reserven zu den Grenzwerten und umso schwieriger wird eine Mix-&-Match-Installation. Hier ist fachübergreifendes Know-how gefragt, die Buchsen müssen auf die Datenleitungen abgestimmt sein und die Stecker wiederum auf die Buchsen und so weiter.

Zudem möchte jeder Anbieter zeigen, dass er die komplexen physikalischen Anforderungen im Griff hat und untermauert seinen Anspruch mit der Nennung der entsprechenden Normen. Doch oft führen sie hierzu nicht die dafür zutreffende Norm an. Verweisen sie zum Beispiel auf die Komponentenvorgaben der Cathegory 6a gemäß TIA 568B.2-10, so sind diese bei weitem nicht so streng wie es die international gültigen Werte der ISO/IEC 11801 und damit der künftigen DIN EN 50173 sein werden. Dabei ist es durchaus möglich, dass ein Channel, der die TIA-Werte gerade noch erfüllt, 10GBase-T zumindest im Labor oder unter idealen Bedingungen übertragen kann, doch die geringen Reserven in den Anforderungen der TIA können für die Installationspraxis zum Problem werden. Dem will die ISO zumindest teilweise Rechnung tragen.

Wer eine neu installierte Verkabelung zukunftssicher auslegen und seine Investitionen absichern möchte, sollte Komponenten wählen, die über möglichst hohe Reserven gegenüber den TIA-Werten verfügen. Nur dann wird die Verkabelung auch die künftigen, strengen ISO-Werte erfüllen und nur dann wird sie auch praxisgerecht aufgebaut werden können.

Konkrete Lösungen und Anwendungen in der Praxis stellt Teil 2 der Artikelserie vor, er erscheint am 6.10.2008 im LANline Spezial RZ-Ausstattung. Der dritte und letzte Teil der Serie erscheint in Ausgabe 10/2008 (17.10.) und beleuchtet die technischen und physikalischen Hintergründe .

IEEE 802.3an spezifiziert 10GBase-T.

ISO/IEC 11801 spezifiziert mit dem Amendment 1 zurzeit nur die gesamte Übertragungsstrecke (Channel), gilt weltweit.

ANSI EIA/TIA 568-B.2 Addendum 10, spezifiziert Class EA und Cathegory 6a für Übertragungsstrecke (Channel), Installationsstrecke (Permanent Link) und Einzelkomponenten, gilt jedoch nur in den USA und Kanada; die Werte sind nicht so streng wie die im künftigen Amendment 2 der ISO/IEC 11801.

ISO/IEC TR24750 ist nur eine Messvorschrift für vorhandene Altverkabelungen, gilt weltweit und somit auch in der EU.

ANSI/TIA-TSB-155 ist nur eine Messvorschrift für vorhandene Altverkabelungen, gilt nur in den USA und Kanada.

DIN EN 50173 Anwendungsneutrale Kommunikationskabelanlagen, Teile 1 bis 5, Neufassungen von Dezember 2007, enthalten keine Werte zu Klasse EA oder Kategorie 6a. Diese werden in einer künftigen Ergänzung nachgereicht, ein Termin dafür steht noch nicht fest. Es gibt aber mittlerweile das Beiblatt 1: Verkabelungsleitfaden zur Unterstützung von 10GBase-T (2008-05). Kabel und Leitungen sind in einer eigenen Normenserie, der DIN EN 50288, definiert.


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