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Messtechnik für 40GbE

Twisted Pair am Scheideweg

Am 17. Juni 2010 verabschiedeten die verantwortlichen Gremien den Standard IEEE802.3ba für die Übertragung von 40 und 100 GBit/s. Die Frage, ob sich 40GbE über die bekannten Twisted-Pair-Kupferverkabelungen übertragen lässt, erfordert eine umfangreiche Diskussion der Technik.

Autor:Dipl.-Ing. (FH) Thomas Hüsch, Leiter Technik und Seminare bei Psiber Data • 11.2.2011 • ca. 6:55 Min

In den Netzwerken der Unternehmen steigt der Bandbreitenbedarf rapide an – unter anderem
getrieben durch leistungsfähigere Server in den Rechenzentren (Bild 1). Die verwendeten
Twisted-Pair-Verkabelungssysteme haben sich in den letzten 15 Jahren rasant weiter entwickelt.
Haben die Unternehmen im Jahr 1995 noch Netzwerke mit Übertragungsraten von 100 MBit/s errichtet
und betrieben, so hat sich die Geschwindigkeit in unseren Netzwerken in den letzten 15 Jahren
inzwischen um den Faktor 100 gesteigert.

Seit etwa dem Jahr 2000 gibt es kupferbasierende Netzwerke mit Übertragungsraten von 1 GBit/s,
zunächst in Rechenzentren und inzwischen auch am Arbeitsplatz. Derzeitig entstehen bereits
Netzwerke mit Übertragungsraten von 10 GBit/s nach Klasse EA/Kategorie 6A. Zunächst findet man sie
hauptsächlich in Rechenzentren zur Anbindung von Hochleistungs-Servern an entsprechende Switches
und Speichersysteme. Aber genau wie in der Vergangenheit werden die Server von heute die Desktops
von morgen sein, sowohl was die Leistung der Rechner betrifft als auch deren Anbindung an das
Netzwerk. Am 17. Juni 2010 erreichte die Technik einen neuen Meilenstein. Die „IEEE 802.3ba – 40
GBit/s und 100 GBit/s Ethernet Task Force“ verabschiedete den Standard zur Übertragung von 40 und
100 GBit/s über Kupferkabel und Glasfasern.

Es ist sinnvoll, zunächst zu betrachten, was der Standard IEEE802.3ba für die Übertragung von 40
und 100 GBit/s eigentlich vorsieht. Auf der Basis von parallelen Übertragungskanälen mit jeweils 10
oder 25 GBit/s werden über vier oder zehn Kupferkabel (Twinax-Kabel) oder Glasfasern die Datenraten
von 40 beziehungsweise100 GBit/s übertragen. Die Distanzen reichen abhängig vom verwendeten
Übertragungsmedium von einem Meter in der Backplane über zehn Meter bei Verwendung von Twinax-Kabel
schließlich bis zu 40 km mit Singlemode-Glasfasern als Medium (Tabelle 1).

Um die Entwicklung zu verdeutlichen, kann man sich gedanklich in das Jahr 1995 zurückversetzen.
Zu dieser Zeit gab es Skeptiker (und auch der Autor dieses Artikels gehörte dazu), die vorausgesagt
haben, das Klasse D/Kategorie 5 und 100 MBit/s die Grenze dessen seien, was sich über
Twisted-Pair-Kupferverkabelungen übertragen lasse und dass in Zukunft höhere Übertragungsraten nur
über Glasfasersysteme möglich seien. Heute – 16 Jahre später – ist die Kupferverkabelung immer noch
stark im Rennen, und die Technik überträgt 100fach höhere Datenraten als damals vorhergesagt.

Im betrachteten Zeitraum fand die Entwicklung von Kupferverkabelungen von Klasse D/Kategorie 5
zu Klasse D (2000)/Kategorie 5e weiter zu Klasse E/Kategorie 6 und bis jetzt zuletzt zu Klasse
EA/Kategorie 6A statt. Die Datenraten haben sich von damals 100 MBit/s über 1 GBit/s bis 10 GBit/s
entwickelt. Allerdings kommen Übertragungsraten von 10 GBit/s bisher nur in Rechenzentren zum
Einsatz, es gibt jedoch bereits jetzt Abschätzungen, dass in etwa fünf bis sechs Jahren diese
Geschwindigkeiten auch am Arbeitsplatz ankommen werden.

Im RZ arbeiten aber auch große Mengen aktiver Komponenten wie Switches mit hoher Port-Dichte und
Netzwerk-Interface-Karten (NICs) in den Servern. Dies führt zu immer höheren Integrationsdichten,
um Switch- und NIC-Ports als Chipsatztechnik auf Switch- und Serverboards zu erlauben. Wenn die
Massenfertigung dieser Chipsätze relevante Stückzahlen erreicht, ist der Schritt vom Serverboard
auf die Motherboards von Desktop Rechnern und Laptops der nächste logische Schritt.

Ein Blick auf den eigenen Desktop-PC oder Laptop lohnt sich: Standard ist dort jetzt schon der
Chipsatz mit 10/100/1000 MBit/s – was nicht heißt, dass diese Geschwindigkeiten an dieser Stelle
unbedingt nötig wären. Der Nutzer bekommt sie, weil es technisch möglich ist und kaufmännisch Sinn
ergibt. Genauso wird es auch mit den Chipsätzen für 10 GBit/s laufen – ob der Käufer will oder
nicht.

Hinzu kommt, dass heute schon viele strukturierte Verkabelungen nicht mehr wie bisher üblich in
Klasse E/Kategorie 6, sondern mit der von den Standards geforderten Weitsicht für die Lebensdauer
von Netzwerkinstallationen über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren, errichtet werden, also
bereits heute nach Klasse EA/Kategorie 6A. Die Norm DIN EN 50173-2 sagt dazu: „Es wird erwartet,
dass die anwendungsneutrale Kommunikationskabelanlage nach dieser Europäischen Norm eine
Lebenserwartung von mehr als zehn Jahren hat.“

Der hier zuständige Arbeitskreis der IEEE802.3ba hat die Übertragungsgeschwindigkeiten 40 GBit/s
und 100 GBit/s definiert. Wie sieht es an dieser Stelle mit geeigneten Übertragungssystemen aus?
Derzeit gibt es dafür nur die Definitionen aus dem genannten Standard, das heißt auf der einen
Seite die Übertragung über Kupferverkabelungen, die auf der Basis von vier und zehn Twinax-Kabeln
mit einer maximalen Länge von zehn Metern bestehen und mit sehr hohen Frequenzen im 5-GHz-Bereich
arbeiten oder über mehrfaserige Glasfasersysteme.

Herausforderung Twisted Pair

Bereits im Februar 2004 hatte der Arbeitskreis der IEEE802.3ak – getrieben aus der
Rechenzentrumswelt – den Standard 10GBase-CX4 zur Übertragung von 10 GBit/s über vier Twinax-Kabel
mit einer Distanz von maximal 15 Metern verabschiedet. Bereits zwei Jahre später, am 8. Juni 2006,
wurde aus der Notwendigkeit, größere Distanzen übertragen zu müssen, der Standard IEEE802.3an für
10 GBit/s über Twisted-Pair-Verkabelungen bis 100 Meter Distanz entwickelt. Die dazu notwendigen
Übertragungsklassen Klasse EA/Kategorie 6A sind inzwischen auch in den aktuellen Verkabelungsnormen
(EIA/TIA568-C, ISO 11801 und EN 50173) verankert. Zusätzlich hatte man sich auch Gedanken darüber
gemacht, ob und wie man bestehende Verkabelungssysteme der Klasse E/Kategorie 6 weiter verwenden
kann. Im TSB-155 (Technical Support Bulletin) ist für Distanzen bis 55/37m festgehalten, dass
Übertragungen nach 10GBase-T auch über Kategorie-6-Verkabelungen funktionieren können, und zwar
abhängig davon, wie die Alien-Crosstalk-Verhältnisse sind. Die wichtigste Voraussetzung für eine
Funktionieren ist, dass diese Verkabelungsstrecken mit den Parametern der Klasse EA/Kategorie 6A
geprüft sind.

Bei der Standardisierung der Übertragung von 40 GBit/s gibt es wieder ähnliche Verhältnisse. Der
Standard wurde am 19. Juni 2010 verabschiedet und ist für Kupferverkabelungssysteme derzeit nur
über Twinax-Kabel definiert. Die nächste Frage ist logisch: Wie lassen sich 40 GBit/s über
Twisted-Pair-Verkabelungen mit größeren Distanzen zu übertragen? Für eine Antwort sind zunächst die
Grundlagen der verschiedenen Übertragungsstandards entscheidend. Die Diskussion beginnt mit den
Techniken und den Channel-Anforderungen der verschiedenen Standards und leitet daraus ab, was bei
40 GBit/s notwendig ist, um diese Übertragungsrate über Twisted-Pair Verkabelungen zu erreichen.
Tabelle 2 zeigt die Datenraten, die Kodierungstechniken, die Kanalbandbreiten und das notwendige
Signal-Rausch-Verhältnis (SNR) für jede Generation der bisherigen Ethernet-Technik. Zusätzlich
zeigt die Tabelle zwei mögliche Szenarien für die Implementierung von 40 GBit/s über
Twisted-Pair-Verkabelungen.

Beim ersten Szenario kommt die gleiche PAM-16-/DSQ-128-Kodierung wie bei 10 GBit/s zum Einsatz,
wobei die minimale Bandbreite 1.600 MHz beträgt und ein minimales SNR von 26 dB erforderlich ist.
Das zweite Szenario arbeitet mit einer PAM-32-/DSQ-512-Kodierung, was die minimale Bandbreite auf
1.200 MHz reduziert, aber ein SNR um 6 dB höher erfordert, also mindestens 32 dB.

Der kritischste Parameter der Kupferverkabelung ist die Dämpfung des Übertragungskanals. Wenn
man die Dämpfungen einer Verkabelungsstrecke der Klasse EA/Kategorie 6A bei einer Länge von 100 m
bis zu 1.600 MHz extrapoliert, kommt man auf eine maximale Dämpfung von 94,9 dB. Dies ist eine
extrem hohe Dämpfung und führt zu extrem kleinen Signalen, die sehr nahe am Eigenrauschen der
Messtechnik bei diesen hohen Frequenzen liegen. Wenn man jedoch den Übertragungskanal in der Länge
auf 50 m beschränkt, kommt man auf einen Dämpfungswert von 47,5 dB, also etwa in der gleichen
Größenordnung wie die Dämpfung eines Klasse-EA/Kategorie-6A-Übertragungskanals bei 500 MHz (49,3
dB) (Tabelle 3).

Die theoretisch mögliche Shannon-Kapazität eines solchen Übertragungskanals wäre etwa 50 bis 56
GBit/s, wenn man zusätzlich Verbesserungen der Kabeltechnik und bessere Echo- und
NEXT-Kompensationsverfahren mit in Betracht zieht. Es wäre also möglich, trotz höheren Rauschens
bei höheren Frequenzen mit diesen Übertragungsstrecken Daten mit 40 GBit/s zu übertragen.
Angesichts der Tatsache, dass praktische Anforderungen mit der Länge von 50 m im Rechenzentrum
wesentlich besser erfüllt sind als der Standard IEEE802.3ba mit 10 m über Twinax-Kabeln vorgibt,
ergibt es durchaus Sinn, auch eine Übertragung von 40 GBit/s über Twisted-Pair-Kupferverkabelungen
in Betracht zu ziehen.

Wenn neue Verkabelungen und Übertragungselektronik die Übertragung von 40GBit/s über
Twisted-Pair Kabel möglich machen, ist es außerdem wichtig, diese Übertragungstrecken im
Installationsumfeld testen zu können. Bisher war es mit den am Markt verfügbaren
Kabelzertifizierern (oft Kabeltestern genannt) nicht möglich, Verkabelungsstrecken bis zu einer
Frequenz von 1,6 GHz zu prüfen. Die Kombination der Faktoren wie hohe Leistungsanforderungen,
niedrige Kosten, Handgeräte-Formfaktor und notwendige hohe Testgeschwindigkeit machten es den
Herstellern von Kabelzertifizierern bisher unmöglich, solche Geräte anzubieten. Anders als
Laborgeräte sind diese Geräte vielen Beschränkungen unterworfen. Sie müssen klein, handlich und
leicht sein. Sie müssen batteriebetrieben sein, mit Laufzeiten, die einen vollen Arbeitstag ohne
Wiederaufladung erlauben. Diese Geräte müssen vor allem gegenüber Laborgeräten kostengünstig und
schnell sein. All diese Einschränkungen machten es bisher nur möglich, Kabelzertifizierer auf den
Markt zu bringen, die bis zu 1 GHz oder weniger reichten.

Erst die Entwicklung von HF-Bauteilen für die Anwendungen in modernen Elektronikgeräten, die in
den letzten zwei bis drei Jahren verfügbar wurden, machte die Entwicklung eines neuen und
kommerziell verfügbaren Kabelzertifizierers möglich, der nicht nur die notwendige Bandbreite von
1,6 GHz erreichen kann, sondern auch über höhere Genauigkeiten verfügt, die über die bisherigen
Definitionen der Level-IV-Genauigkeitsklasse hinausgehen. Die bisherigen Genauigkeiten des Levels
IV sind zudem in den Standards (IEC 61935-1 und TIA 1152) nur bis 600 MHz definiert. Folglich ist
es nötig, dass die Standardisierungsgremien in naher Zukunft auch noch neue Genauigkeitsklassen für
Feldmessgeräte erarbeiten.