funkschau Gastkommentar

Process Mining und ERP-Systeme – eine besondere Chance

23. August 2021, 9:11 Uhr | Autor: Tobias Unger / Redaktion: Sabine Narloch
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Process Mining eröffnet Unternehmen einen differenzierten Blick auf den Stand ihrer Prozessketten und befördert Schwachstellen zu Tage. Tobias Unger von Deloitte erläutert im funkschau Gastkommtar, warum für ihn ERP-Systeme ohne Process-Mining-Funktion künftig kaum mehr vorstellbar sind.

Eine Vielzahl unserer Kunden steht derzeit vor der Herausforderung der Digitalen Transformation ihrer Geschäftsprozesse. Dieser Wandel ist für die wirtschaftliche Zukunft der Unternehmen essenziell, zumal mit zunehmender Marktdynamik die Geschäfts-modelle immer flexibler und dynamischer gestaltet werden müssen, um Wettbewerbsvorteile zu sichern. Damit steigt auch die Notwendigkeit, Unternehmensstrukturen organisch oder durch Zu- beziehungsweise Verkauf sowie die Prozesse der Wertschöpfung laufend neu auszurichten. Entsprechend dynamisch entwickeln sich ERP-Landschaften, welche sich auf die stetig wandelnden Geschäfts-anforderungen anpassen müssen.

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Process Mining ERP-Systeme
Tobias Unger ist Head of Center for Process Bionics (CPB) bei Deloitte
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ERP-Systeme stützen eine Vielzahl unternehmenskritischer Geschäftsprozesse und unterliegen regelmäßig den Anforderungen an die Grundsätze ordnungs-
gemäßer Buchführung sowie der Abschlussprüfung. Aus Sicht der Compliance sowie der Effizienz werden zunächst Standard-Prozesse implementiert und – wo notwendig – durch Prozessvarianten ergänzt. Neue Geschäftsanforderungen sind ein Haupttreiber für die steigende Komplexität und Diversität von ERP-basierten Prozessen, da oft neue Prozesse implementiert werden, ohne dass hierfür bestehende, aber dennoch nicht mehr relevante Prozessvarianten wegfallen. Viele Unternehmen haben bereits den Überblick verloren.

Transparenz durch Process Mining

Hoffnung bietet in solchen Fällen ein Blick auf die relativ junge Digitaldisziplin Process Mining. Sie schafft Transparenz, indem sie alle Prozess-, Informations- und Datenflüsse über ERP- und andere Systemsilos hinweg sichtbar macht.

Somit haben die Geschäftsbereiche und Prozessbeteiligten die Möglichkeit, Varianten sichtbar zu machen, Abläufe über Abteilungs- und Systemgrenzen hinweg zu analysieren und eine nachhaltige Prozesstransformation auf Basis von Fakten anzustoßen. Dabei ist wichtig, dass Process Mining die wesentlichen Dimensionen Systeme, Daten, Prozesse und Prozessbeteiligte in ein Gesamtbild integriert. Dadurch wird der Mehrwert der Digitalen Transformation erheblich gesteigert, ganz einfach, weil Entscheidungen auf Basis von neuen, bis dato unbekannten Fakten getroffen werden können. Laut unserer aktuellen Studie nutzen 63 Prozent der Unternehmen Process Mining, während 87 Prozent der Nicht-Nutzer eine baldige Anwendung planen.

Bezogen auf ERP-Systeme bietet Process Mining eine besondere Chance, die in ihrer Eigenschaft als Template-basiertes System begründet liegt: Eine Implementierung erfordert zwingend die Definition von Standardprozessen, welche aufwendig parametrisiert und implementiert werden müssen, das sogenannte „Customizing“. Prozessvarianten und lokale Anforderungen erhöhen die Komplexität, da System- und Prozessabhängigkeiten und Interdependenzen zu beachten sind. Die Kernfrage für das Template-Design ist daher immer die nach der Balance zwischen Geschäftsanforderungen und Prozess-beziehungsweise Systemstandard. Die Auswirkung einer Änderung ist ohne vollständige Transparenz über alle Prozesse kaum zu quantifizieren.

Hier hilft ein datengetriebenes Vorgehen mit Process Mining. Zum einen wird der Ist-Zustand über alle Prozesse, Varianten und Systeme detailgetreu abgebildet und steht so den Prozessverantwortlichen für Analysezwecke zur Verfügung. Varianzen zum Beispiel zwischen Landesgesellschaften, Geschäftsmodellen und/oder Systemen werden sichtbar. Zum anderen können angestrebte Soll-Prozesse im Rahmen einer Konformitätsprüfung mit der realen Prozessdurchführung verglichen, Soll-Abweichungen quantifiziert und die Auswirkungen von Änderungen simuliert werden. Somit kann man ERP-Systeme zielgerichtet und analog zu den von ihnen unterstützten Geschäftsprozessen anpassen und optimieren. Wir nennen diesen geschäftsfokussierten Ansatz „digital lean“.

Inzwischen kann Process Mining problemlos und in relativ kurzer Zeit für ERP-Systeme implementiert werden. Hier hilft wiederum deren Besonderheit, dass Daten grundsätzlich in strukturierten Tabellen vorliegen, die wesentlichen Nutzeraktionen festgehalten und definierte Standardobjekte – zum Beispiel Bestellung, Rechnung et cetera – verwendet werden. Aufgrund der aufgezeigten Vorteile können wir uns ERP-Systeme ohne Process Mining in naher Zukunft kaum noch vorstellen.


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