ERP auf hohem Niveau

23. November 2006, 15:43 Uhr | Markus Bereszewski

ERP auf hohem Niveau Planungs- und Steuerungslösungen tragen in der Automobilindustrie entscheidend zum Geschäftserfolg bei. Die angebotenen Systeme können heute viel, aber eben nicht alles.

Die Automobil- und Zulieferindustrie beeinflusst die deutsche Volkswirtschaft so nachhaltig wie kaum eine andere. Jeder siebte Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt von diesem Wirtschaftszweig ab. Der erhöhte Kostendruck, der starke Euro und die Produktivität von internationalen Wettbewerbern setzen den Wirtschaftszentren um Wolfsburg, Stuttgart, Rüsselsheim, München und Köln in steigendem Maße zu. Mittlerweile zählt der Verband der Automobilindustrie VDA über 2000 Betriebsstandorte deutscher Hersteller im Ausland. Die ausländische Zulieferquote trägt heute schon zu 40 Prozent der deutschen automobilen Wertschöpfung bei. Damit wachsen die Anforderungen an die innerbetriebliche IT erheblich, zumal die Prozess-, Kapazitäts- und Logistikkosten ohnehin schon einen maßgeblichen Anteil an den gesamten Herstellkosten des Produktionsvorganges ausmachen. Insbesondere die effiziente Einbindung des Zuliefernetzwerkes trägt aufgrund des arbeitsteiligen Produktionsprozesses entscheidend zum Erfolg des Unternehmens bei. Der vehemente Verdrängungswettbewerb sowohl auf OEM- als auch auf Zulieferebene lässt heute keine Schwachstellen in Planung, Qualität und Logistik mehr zu. Auch bei der Kommunikation zwischen OEMs, Logistikern sowie den 1-, 2-, und 3-Tier Zulieferern müssen hinsichtlich Standardisierung und Sicherheit hohe Anforderungen erfüllt werden. Dies betrifft vor allem den elektronischen Austausch von Lieferabrufdaten, Lieferscheinen, Rechnungsinformationen, CAD-Zeichnungen oder Berichte über Projektstati. Heute werden von der Automobil- an die Zulieferindustrie umfangreiche Mindestanforderungen hinsichtlich des EDI-Datenaustausches formuliert. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeit von Lieferabrufen, der Rechnungsstellung und Lieferavis für den Transport via VDA (nationaler Standard), ODETTE (europäischer Standard), ANSI X.12 (US-amerikanischer Standard) und EDIFACT (internationaler Standard). Auch die Versandabteilung stellt besondere Ansprüche. Vorgeschriebene Dokumente sind hier Lieferschein, Behälterkennzeichnung mit dem VDA – Warenanhänger, Frachtbrief und gegebenenfalls Zolldokumente inklusive Rechnung. Neben dem elektronischen Datenaustausch sind die Internetfähigkeit (beispielsweise für die Online-Verbuchung von Ein- und Ausgangsrechnungen oder E-Procurement), Komponententechnologie, XML und SCM weitere wichtige Voraussetzungen, die eine Automotive-Lösung heute mitbringen muss. Die Anbieter setzen für den EDI-Datenaustausch zum Großteil auf einen vollintegrierten oder einen zwischengeschalteten Konverter, der die Daten entsprechend umwandelt. Wie die Daten umzuwandeln sind, wird zumeist anhand eines Editors festgelegt, der Mapping-Tabellen erzeugt und diese wiederum dem Konverter zuführt. Ein moderner Konverter kann heute sämtliche Formate umwandeln, sodass beispielsweise auch die Umwandlung von XML in EDIFACT und umgekehrt möglich ist. Diese Software kann entweder vor Ort eingesetzt werden, oder die Konvertierung wird durch spezialisierte Service-Zentren durchgeführt.

RFID auf dem ­Vormarsch
Radio Frequency Identification (RFID) wird in der Behälterlogistik zwar vermehrt eingesetzt, jedoch wird diese Technologie derzeit nur von etwa der Hälfte der untersuchten Lösungen unterstützt. Für die interne Logistik galt RFID in der Vergangenheit schon als ein effektives Instrument, um Warenströme zu erfassen – etwa bei Lagerverwaltung- und Steuerung sowie der Chargenrückverfolgung für dokumentierpflichtige Teile wie Airbag et cetera). Dem Einsatz von RFID über die Unternehmensgrenzen hinaus standen jedoch zusätzliche Problematiken gegenüber, die den Grenznutzen der RFID-Nutzung schmälern, denn hinsichtlich der Datenstruktur auf den Transpondern gab es kaum Standards und auch die RFID-Technologie wird nicht in vollem Umfang eingesetzt. Um die Einsatzmöglichkeiten zu verbessern wurde in 2005 eigens eine RFID-Projektgruppe aus Mitgliedern wie BMW, DaimlerChrysler, VW, Bosch, HUF, Siemens, SAP und Seeburger gegründet, die zum Ziel hat, den Einsatz von RFID im Behältermanagement der Supply Chain zu standardisieren und eine einheitliche Datenstruktur für Transponder an Klein- und Großladungsträgern zu entwickeln. Die Ergebnisse der Projektgruppe sollen künftig in eine VDA-Empfehlung und nachfolgend in weitere Standards wie Odette oder EDIFACT überführt werden. Damit wird der Weg für die flächendeckende Nutzung von RFID in der Automobilindustrie weiter geebnet. Auch der Störanfälligkeit von RFID-Systemen wird heute vermehrt Rechnung getragen, indem zum Beispiel Prüfsummen verwendet oder Transponder mehrfach eingelesen werden. Die sequenz- und zeitgerechte Anlieferung von Teilen und Modulen im Produktionsprozess (Just in Sequence - JIS) wird in etwa von zwei Dritteln der untersuchten Lösungen unterstützt. Aufgrund der zunehmenden Variantenvielfalt und der Folge, dass nicht mehr sämtliche Verbauteile an der Montagelinie untergebracht werden können, gewinnt die JIS-Anlieferung als Erweiterung des Just in Time-Konzeptes (JIT) zunehmend an Bedeutung. Auch hier steht der Kommunikationsstandard VDA (für JIS im Speziellen VDA 4916), ODETTE oder EDIFACT für einen reibungslosen Datenaustausch im Vordergrund. Etwa zwei Drittel aller Lösungen bilden die JIS-Steuerung und den VDA-Standard 4916 ab – zum Beispiel Ordat, SAP (Steeb Anwendungssysteme), IFS, Infor/SSA, Ramco Systems. Zur langfristigen Performancemessung von Lieferanten hinsichtlich Liefertreue, Termintreue, Lieferkosten und Prozesssicherheit eignen sich spezielle Module, die von allen untersuchten Systemanbietern vertrieben werden. Doch nicht in allen Belangen sind sich die Hersteller so einig – die Lösungen weisen unterschiedliche Besonderheiten im Detail auf.

Flexible Komplettlösung für den Mittelstand
Die abas-Business-Software von ABAS Software ist beispielsweise eine flexible Komplettlösung für den Mittelstand. Für Automobilzulieferer speziell steht abas-ERP/Automotive zur Verfügung. Mit der EDI-Funktionalität in abas-ERP werden strukturierte Geschäftsdokumente, unter anderem. VDA, ODETTE, EDIFACT, zwischen den betriebswirtschaftlichen Anwendungsprogrammen mehrerer Geschäftspartner automatisch ausgetauscht. Dem Anwender stehen dabei zahlreiche EDI-Funktionen zur Verfügung – zum Beispiel Lieferabrufe, Feinabrufe, Lieferscheine, Gutschriften, Rechnungen, Aufträge, Auftragsbestätigungen, Artikelpreisliste, Bestelländerung, Versandabwicklung, EDL-/LLZ-Abwicklung, Konsignationslager, sowie Packmittelverwaltung. ALPHA Business Solutions deckt mit der Komplettlösung proALPHA sämtliche ERP-Funktionsbereiche ab. Neben Produktionsplanung und -steuerung, Warenwirtschaft, Finanzwesen, Controlling, Personalwesen, Internet und E-Business stehen außerdem eigen entwickelte Zusatzkomponenten für Customer Relationship Management, Dokumenten-Management, CAD-On­line-Integration, PDM/EDM, SCM oder CTI zur Verfügung. Es enthält zusätzlich eine automatisierte Workflow-Unterstützung und ein anspruchsvolles Kennzahlen- und Frühwarnsystem. Für den EDI-Austausch zwischen Geschäftspartnern arbeitet proALPHA mit dem Business Integration Converter von SEEBURGER. Die portalbasierenden IFS Applications des Herstellers IFS bieten integrierte Lösungen für Produktion, SCM, Entwicklung, CRM, Service Management, Instandhaltung sowie für ReWe/Personalwesen. Speziell für den deutschen Automobilzuliefermarkt wurde die Branchenlösung Automotive Supply Chain entwickelt, die sich an Systemlieferanten und Zulieferer richtet, die den Datenaustausch mit den Fahrzeugbauern vollständig automatisieren wollen. Hierzu setzt IFS Automotive Supply Chain relevante VDA-Normen um. Vom Lieferabruf bis zum Gutschriftverfahren erhalten die Mitglieder der Lieferkette eine durchgängige Lösung. Die offene Systemarchitektur von IFS Applications ermöglicht die Einbindung von Best-Practice-Systemen im Qualitätsmanagement. Infor ERP Xpert ist ein speziell für die Automobilbranche entwickelt integriertes ERP-System, das sich das Konzept ­einer Service-orientierten Architektur (SOA) zunutze macht. Mehr als 40 Funktionen und Module in den Bereichen Enterprise Performance Management, SCM, Automotive Customer Management (EDI und Web Collaboration), ERP und Financial Management helfen, branchenspezifische Prozesse exakt abzudecken. Mit SSA for Automotive Supply können Abläufe sowohl in der Zulieferkette als auch in der Fertigung kontrolliert werden. Das Release Management von SSA for Automotive Supply zum Beispiel verwendet einen elektronischen Nachrichtenaustausch mit dem Kunden zur Verwaltung von eingehenden Abrufen, aktualisierten Abrufen und Anweisungen für JIT-Lieferungen zur automatischen Planung von Kommissionierung, Versand und Fertigung.

Funktionen für typische Geschäftsprozesse
Microsoft Axapta verfügt über eine Vielzahl von Funktionen für die typischen Geschäftsprozesse in mittelständischen Unternehmen – vom Manufacturing über Distribution, SCM, CRM, Projektmanagement, Personalverwaltung bis hin zum Finanzmanagement. Die Atos Origin Automotive Solution ergänzt Microsoft Axapta um alle wichtigen Funktionalitäten für Automobilzulieferer. So bildet die Firma standardisierte Prozesse nach VDA-, ODETTE-, EDIFACT- und ANSI X.12-Richtlinien und die Realisierung von kundenspezifischen Prozessen (etwa PickUpSheet, AMES-T, BELOM, L3P, RAN, EDL-, Konsignations- und Strecken-Abwicklung). Mit langjährigen Erfahrungen bei ERP- und JIT/JIS-Lösungen im Automobilsektor bietet Ordat mit FOSS eine ganzheitliche und plattformunabhängige ERP-Lösung an. Ordat hat nicht nur die Kernfunktionen im Bereich PPS/Logisti sowie Finanz- und Rechnungswesen vollständig selbst entwickelt, sondern auch die erweiterten ERP-Funktionsbereiche wie CRM, E-Business, EDI, MES und so weiter. Damit stellt FOSS ein hohes Maß an funktionaler Abdeckung sowie Prozesssicherheit/-Unterstützung und gleichzeitig die Integration der einzelnen Komponenten durch einen einzigen Anbieter sicher. Ordat bietet neben einer reichweitenorientierten Bedarfsplanung eine Bestellpunktoptimierung und VMI auch eine Portallösung für nicht EDI-fähige Unternehmen. Die Steuerungs- und Monitoring-Tools ermöglichen einen reibungslosen Betrieb in allen Bereichen bis hin zur Integration von Montage­liniesteuerungen, Lagertechnik oder QS-Systemen.

Leistungsniveau hoch bis sehr hoch
Die Branchenlösung SAP for Automotive beinhaltet eine integrierte Lieferantenverwaltung und -analyse, die mit den Wareneingangs- und Qualitätsmanagementsystemen verknüpft werden kann. SAP for Automotive ermöglicht die Verarbeitung von eingehenden (EDI-)Liefer- und Feinabrufen mit Informationen zu Fortschrittszahlen und Abrufhistorien. Für große Auftragsvolumina und Produkte mit hoher Variantenvielfalt kann durch die Rapid-Planning-Matrix eine Bedarfsrechnung in kürzester Zeit erfolgen (bis zu 60000 Fahrzeuge in einer Stunde) und die Ergebnisse mittels Materialbereitstellungslisten, KANBAN oder Lieferabrufen in die Supply Chain übertragen. Steeb as//automotive 2.0 bietet zusätzliche Szenarien wie behältergesteuerten Materialfluss vom Einkauf bis zur Auslieferung, das flexible Paket Qualitätsmanagement, das die Prozesse von der Qualitätsplanung über die Qualitätsprüfung und Prüfmittelverwaltung zur Qualitätslenkung enthält und die Transport- und Sendungsabwicklung nach VDA 4939. Das Leistungsniveau der untersuchten Systeme ist als hoch bis sehr hoch einzustufen. Trotzdem handelt es sich bei den Lösungen nicht automatisch um universelle Alleskönner. Sie unterscheiden sich sehr wohl, etwa im Hinblick auf den Grad an Prozessunterstützung und der Interoperabilität – systemseitig oder collaborationsseitig (EDI ohne System- oder Medienbrüche). Unterschiede zeigen sich auch im Handling von Produktionsnetzwerken (Intercompany-Steuerung) sowie bei den gesetzten Schwerpunkten bei der Funktionalität (etwa Bedarfsplanung, Lieferantenbewertung, VMI, et cetera). Zudem sind die Lösungen unterschiedlich stark auf die individuellen Rollen und Bedürfnisse der an der Lieferkette beteiligten OEMs, Zulieferer, Industriekunden oder Fachhandelskunden ausgerichtet.

Michael Gottwald ist geschäftsführender Gesellschafter von SoftSelect


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