Faktor 10
100-Gigabit-Ethernet – Der Bandbreitenhunger ist nicht zu stoppen. Kaum hat 10-Gigabit-Ethernet die Unternehmen erreicht, wird eine weitere Erhöhung um Faktor 10 gefordert.



Etwa vier Jahre, nachdem die IEEE den 10-Gigabit-Ethernet-Standard 802.ae ratifiziert hat, hat der Datenverkehr soweit zugenommen, dass in vielen Ethernet-Netzen erneut der Ruf nach mehr Bandbreite laut wird. Netzwerkmanager in Unternehmen, Forschungsinstituten oder bei Service-Providern fassen bereits mehrere 10-Gigabit-Ethernet-Interfaces zusammen, um Flaschenhälse an neuralgischen Knotenpunkten und in ihren Core-Netzwerken zu verhindern. Einige Service-Provider haben festgestellt, dass sie in allen Bereichen ihrer Netze mit Flaschenhälsen zu kämpfen haben.
Die Entwicklung des 100-Gigabit-Ethernets wird nicht durch eine einzelne »Killer-Applikation« getrieben, sondern durch die hohe Nachfrage nach mehr Bandbreite, die bereits heute darin mündet, hochkapazitive Verbindungen zusammenzufassen. Der Bedarf an Bandbreite im Netzwerk steigt in allen Marktsegmenten, von Endkunden über Unternehmen bis hin zu Service-Providern. Wie in einem Ökosystem beeinflussen Änderungen an einer Stelle das Gesamtsystem. Ein Beispiel: Die Nachfrage der Konsumenten nach umfassenden Inhalten wie Pod-Casting oder IPTV lässt den Bandbreitenbedarf bis hin zu den Netzwerken der Service- und Content-Provider steigen.
Begrenzte Bandbreite
Die steigende Nachfrage nach mehr Kapazität nimmt über die gesamte Ethernet-Infrastruktur zu und lässt Flaschenhälse an mehreren Stellen entstehen. Jedes Marktsegment hat dabei seine eigenen Faktoren, die den Bedarf an Bandbreite beeinflussen.
Das Erscheinen von Web 2.0 hat den Weg, wie Anwender mit dem Internet interagieren, vollständig verändert. Web 2.0 macht sie zu Autoren von Inhalten. Zuvor waren sie lediglich Konsumenten. Die Inhalte, die sie erstellen und verteilen, verbrauchen wesentlich mehr Bandbreite als etwa eine typische E-Mail. Ein Internet-Video kann beispielsweise tausendmal mehr Kapazität verbrauchen als eine elektronische Nachricht. Allein der heute durch Youtube erzeugte Datenverkehr entspricht dem gesamten Internet-Datenverkehr aus dem Jahr 2000. Und neue Projekte wie Joost werden durch das Streamen qualitativ hochwertiger Fernseh-Shows und Spielfilme in voller Länge noch mehr Bandbreite belegen.
Immer umfassendere Inhalte treiben die Nachfrage nach mehr Leitungskapazität bis in die Haushalte. Dazu zählen Applikationen und Dienste wie hochauflösendes Fernsehen über Internet-Protokoll (IPTV), Filme auf Anforderung, Multimedia-Streaming (zum Beispiel Musikvideos), File-Sharing, Pod-Casting und privat genutzte IP-Sprachübertragung (VoIP).
Asien hat bei der Versorgung von privaten Haushalten mit Hochgeschwindigkeitsverbindungen eine führende Rolle übernommen. Typische Leitungsgeschwindigkeiten in Japan und Korea betragen mittlerweile 50 oder 100 MBit/s. Zum Vergleich: In den USA und in Europa werden die meisten Haushalte mit 1 bis 5 MBit/s versorgt. Da Service-Provider bereits aufrüsten, um die Ansprüche ihrer Kunden befriedigen zu können, werden auch die Verbindungen zu den Haushalten Datenraten von 50 MBit/s und mehr unterstützen müssen.
Selbst kleine und mittlere Unternehmen hantieren mit immer größeren Datenmengen. Eine regionale Versicherung etwa gibt an, dass ihr Datenaufkommen sich alle zwei Jahre verdoppelt und der Bestand mittlerweile 15 TByte beträgt. Das Speichern, Verarbeiten und Übertragen hoher Datenvolumen sind besondere Herausforderungen von Finanzfirmen, Öl- und Gasversorgern, von Unternehmen aus der medizinischen Forschung und pharmazeutischen Entwicklung, Autoherstellern, Luft- und Raumfahrtgesellschaften und Medienunternehmen. In vielen dieser Konzerne sind Server und Desktops bereits mit Gigabit-Ethernet-Leitungen verbunden.
Das steigende Datenaufkommen, gekoppelt mit der Zusammenfassung von Servern und in Clustern arbeitenden Rechnern, treiben den Bandbreitenbedarf in den Unternehmen. Server sind meist gemeinsam an Aggregation-Switches mit 1-Gigabit-Ethernet-Schnittstellen angeschlossen. Große Server-Farmen verfügen daher am Backend oft über eine Bandbreite von vielen 100 GBit/s. Das wiederum erfordert hochperformante Switch-Kopplungen und Uplinks. Da mehr und mehr 10-Gigabit-Ethernet-Interfaces in Servern verbaut werden, entstehen immer häufiger Überlastsituationen an den Sammelpunkten. Gleichzeitig können auch an den Zugangspunkten zu Speicher-Arrays und Anwendernetzen sowie auf den Verbindungen zwischen Datenzentren Datenstaus entstehen. Dies treibt die Nachfrage nach hochkapazitiven Verbindungen mit mehreren 10 GBit/s an den neuralgischen Punkten im Netz.
Forschungs-, Bildungs- und Regierungsinstitute sind beständige Triebfedern für den technischen Fortschritt. Sie unterhalten häufig leistungsfähige Rechenzentren – Stichwort Supercomputing – für Datenvisualisierung und Modellberechnungen, die mit Datenmengen im TBit- und PBit-Bereich hantieren. Ihre Rechen-Cluster bestehen aus Hunderten, oft sogar aus Tausenden von Knotenpunkten. Viele dieser Unternehmen geben an, dass sich ihr Bandbreitenbedarf jährlich verdoppelt.
Es ist typisch für derartige Organisationen, dass sie untereinander über 10-Gigabit-Ethernet-Verbindungen gekoppelt sind – die WAN-Übergabepunkte sind ersichtlich enge Flaschenhälse. Vernetztes Rechnen, bei dem Computer-Cluster an verschiedenen Standorten per WAN-Verbindung gekoppelt sind, nutzt die Kapazität der 10-Gigabit-Ethernet-Verbindungen voll aus. Forschungsinstitute wie das Cern arbeiten gemeinsam mit Partnern auf der Basis solcher Rechennetze, um die enormen, bei Experimenten entstehenden Datenmengen verarbeiten zu können. Cern ist mit allen seinen Hauptforschungspartnern über 10-Gigabit-Ethernet verbunden.
Service-Provider sind die Unternehmen mit dem größten Ethernet-Bandbreitenbedarf. Sie müssen sowohl in die eingehende als auch in die ausgehende Richtung enorme Datenmengen übertragen. Derzeit verfügen die größten Internet-Exchange-Carrier in Asien, Amerika und Westeuropa jeweils über eine Bandbreite von 80 bis über 100 GBit/s. Ihre Herausforderung: Der Datenverkehr verdoppelt und verdreifacht sich jedes Jahr – oder teilweise in einer noch kürzeren Zeitspanne.
Viele Provider erwarten, dass auch in absehbarer Zukunft der Datenverkehr weiter ungebremst zunimmt. Die Entwicklung wird beispielsweise durch zunehmende Zugangsgeschwindigkeiten in Haushalten und von Portalbetreibern getrieben, die höhere Geschwindigkeiten zwischen den Datenzentren im Metro-Netzwerkbereich (MAN) fordern. Ein Provider erwartet zum Beispiel, dass der Datenverkehr auf seinem Netzwerk in den nächsten Jahren um 50 bis 75 Prozent jährlich zunimmt. Provider kämpfen an mehreren Stellen ihres Netzwerks mit Engpässen, besonders jedoch an den Verbindungen zwischen den Switches an Sammelpunkten und im Core. Dabei sind diese Flaschenhälse bereits meist mit 10-Gigabit-Ethernet-Schnittstellen ausgestattet oder sie verwenden sogar mehrere zusammengefasste 10-Gigabit-Ethernet-Leitungen. Viele kämpfen mit Dutzenden solcher Engpässe.
100-Gigabit-Ethernet vorantreiben
Angesichts der großen Bandbreitennachfrage verwundert es nicht, dass der Markt für 10-Gigabit-Ethernet laut Marktforscher Dell’Oro Group im Jahr 2006 die 1-Milliarde-Grenze überschritten hat. In vielen Fällen fassen Carrier und andere bandbreitenhungrige Unternehmen 10-Gigabit-Ethernet-Strecken zusammen, so dass logisch eine einzige Hochgeschwindigkeitsverbindung entsteht. Angesichts des wachsenden Bandbreitenbedarfs und der erwarteten Entwicklung in den nächsten Jahren wurde letztes Jahr die »IEEE Higher Speed Study Group« (HSSG) gegründet.
Als Koalition von Anbietern, Service- und Content-Providern verfolgt die HSSG die Entwicklung eines 100-Gigabit-Ethernet-Standards. Seine Definition wird drei bis fünf Jahre dauern. Derzeit geht man von einer Verabschiedung der finalen Fassung frühestens 2009 aus. Mit 100-Gigabit-Ethernet können Service-Provider ausreichend Bandbreite bereitstellen und reichhaltige Inhalte aus den Zugangsnetzen problemlos übertragen. Auch die Nachfrage von Portalbetreibern nach schnelleren MAN-Verbindungen und die Erwartungen der Endkunden nach einer flüssigen Übertragung von Inhalten könnten sie befriedigen. Angesichts der Marktforderungen nach Multi-Gigabit-Bandbreiten ist es wichtig, dass die Entwicklung des 100-Gigabit-Ethernet-Standards zügig voranschreitet, damit das Ethernet weiter gesund wachsen kann.
Michael Frey,
Sales Director EMEA, Force10 Networks