Industrie-PCs: Die Unverwüstlichen. Individuell und robust stehen als Attribute für Industrie-PCs, aber sie beschreiben auch die Eigenwilligkeit einer Branche, die mit Speziallösungen Industriekunden bedient. Gerade in Deutschland wächst der Markt kontinuierlich, da hier ein Großteil der kleinen und mittelständischen Fertigungsunternehmen ansässig ist. Doch wie in allen vertikalen Industriesegmenten, reicht dem IT-Dienstleister sein EDV-Know-how allein nicht. Er muss sich explizit mit den Eigenheiten der Branche befassen, die Sprache des Kunden sprechen, um seine Produkte erfolgreich an den Mann zu bringen.
Einer Studie des Marktforschungsinstituts VDC zufolge erwirtschafteten Industrie-PC-Anbieter im amerikanischen und europäischen Markt im vergangenen Jahr mit Ruggedized-Industrie-Computern einen Umsatz von 91 Millionen Euro. Bis 2006 soll dieses Segment um etwa vier Prozent wachsen, und der Markt Industrie-PCs verfügt durchaus über weiteres Potenzial in den kommenden Jahren: Eine Studie von Frost & Sullivan prognostiziert noch für dieses Jahr einen Umsatz von etwa 737 Millionen Euro mit Industrie-PCs, die komplexe Fertigungssysteme überwachen. Bis 2010 soll diese Branche sogar einen Umsatz von einer Milliarde Euro erreichen. Einer der bekanntesten Hersteller für Industrie-PCs, Kontron, schätzt den Bedarf allein an 19-Zoll-Racks in Deutschland auf ein Volumen im Wert von etwa 170 Millionen Euro. Dabei erfassen diese Zahlen lediglich einen kleinen Teil des gesamten Industrie-Computer-Markts. Denn angesichts der zahlreichen, unterschiedlichen Lösungen, die in diesem Segment verfügbar sind, lassen sich genaue Aussagen über das Gesamtvolumen nur schwer treffen.
Eines ist jedoch sicher: Gerade in Deutschland werden Industrie-Computer stark nachgefragt. Die deutsche Industrielandschaft ist geprägt von einer Vielzahl von kleinen und mittelständischen Fertigungsunternehmen, bei denen Bedarf an robusten Rechnern besteht, da deren Fertigungsstraßen im Produktionsumfeld von Industrie-PCs gesteuert werden müssen. Entsprechend widmet sich in Deutschland auch eine ganze Reihe von Anbietern der Herstellung oder auch nur dem Vertrieb dieser Geräte, etwa 600 bis 800 Firmen schätzen Insider. Auf die Produktion spezialisiert haben sich beispielsweise Kontron, Siemens, Advantech und Radisys. Sie übernehmen auch den Vertrieb der Geräte in der Regel selbst. Kontron, auf Lösungen für Medizintechnik, Aerospace, Militär- und Messtechnik spezialisiert, macht dabei zumindest bei Projekten mit Stückzahlen unter 50 Geräten die Ausnahme. Hier bindet der Hersteller Systemintegratoren ein, die bei der Kundenberatung auf die Unterstützung des Herstellers zählen können. Channel-Konflikte gibt es selten, da letztendlich die Qualität der Beratung ausschlaggebend für den erfolgreichen Abschluss eines Projektes ist. Systemintegratoren profitieren zudem von Wartungsaufträgen.
Die Mehrzahl der Anbieter im Industrie-PC-Segment sind jedoch Systemintegratoren, die zum Teil auch die Aufgabe als Distributor für die Hersteller übernehmen. Zu ihnen gehören beispielsweise Plug-in, NBN, ICO, ICP oder Comp-Mall. Andere, wie z.B. Bressner Technology oder DSM, sind fast ausschließlich auf die Integration der Produkte in das Produktionssystem und Netzwerk des Kunden spezialisiert.
Auch PC-Produzenten wie Hewlett-Packard und Tarox haben das Umsatzpotenzial mit Industrie-PCs erkannt und bieten ihren Vertriebspartnern Industrie-PCs an. »Vor etwa sieben Jahren verstärkte sich die Nachfrage von Fachhändlern, so dass wir beschlossen haben, diese Geräte ins Portfolio aufzunehmen«, begründet Uwe Hüfner, Produkt-Leiter bei Tarox. Inzwischen macht dieses Segment bei Tarox circa fünf Prozent des Umsatzes aus.
Während »normale« Business-Kunden ihre Standard-PCs für das Firmennetzwerk nach Hardware-Features auswählen, stehen für Industriekunden die Applikationen im Vordergrund. Schließlich muss gewährleistet sein, dass das Programm, das etwa einen Fertigungsroboter steuert, ausfallfrei auf dem System läuft, da jeder Stillstand dem Betreiber hohe Verluste beschert. »Meistens entwickeln die Kunden ihre Applikationen selbst, da sie ihre Anforderungen und Bedürfnisse an eine Industrie-Software selbst am besten einschätzen können«, erklärt Josef Bressner, Business-Development-Manager bei Bressner Technology. Anhand der Anforderung der Software wird die Hardware ausgewählt. Dieser Prozess führt dazu, dass bis zu zwei Jahre vergehen können, bis sich ein Kunde für ein Projekt entscheidet. Während dieser Zeit muss der Systemintegrator in der Lage sein, Beratungskosten und eventuelle Teststellungen vorzufinanzieren. Und dies ist nicht die einzige Hürde, die Dienstleister im Geschäft mit Industrie-PCs zu bewältigen haben.
Auch lange Laufzeiten der robusten Geräte ? sie betragen mindestens fünf, manchmal aber auch bis zu zehn oder 20 Jahre ? machen das Folgegeschäft weit weniger lukrativ als beim Handel mit Standard-PCs. Entsprechend muss auch die langfristige Bevorratung von Komponenten für den Reparaturfall in die Kostenkalkulation einfließen. Zwar sind die Margen, die durchschnittlich bei etwa 25 bis 30 Prozent liegen, recht hoch, davon müssen aber auch die Kosten für Service und Support bestritten werden. Denn mit einer Support-Hotline wie für herkömmliche Rechner ist es nicht getan: Industrie-Kunden fordern 24-Stunden-Service, um zu gewährleisten, dass die Ausfallzeiten eines Gerätes aufs Minimum reduziert werden. Die Reaktionszeiten werden meist individuell im Wartungsvertrag festgelegt. Selbst der Hersteller Kontron, der sich bisher auf einen Service während der Bürozeiten verlassen hat, will diese Dienstleistung aufstocken. Dazu sucht der Anbieter Systemintegratoren, die bereit sind, für Kontron Service-Dienstleistungen zu übernehmen. »Wir planen künftig in Deutschland einen 24x7-Service anzubieten«, informiert Dr. Martin Zurek, Vice President EMEA bei Kontron.
Wer nicht bereits Kunden in einschlägigen vertikalen Segmenten wie Maschinenbau oder Kunststoffverarbeitung sein eigen nennt, sollte sich keine Illusionen machen, das Geschäft mit Industrie-PCs generieren zu können. Denn Neukunden sind mit dieser Produktkategorie kaum zu gewinnen. Projekte in diesem Segment entstehen über persönliche Kontakte, basieren auf Vertrauen und auf längerfristigen Beziehungen. Neben dem Wissen, wie PCs assembliert werden, ist Spezial-Know-how gefragt. »Wenn ein Systemintegrator über profunde Programmierkenntnisse für die Ansteuerung von Hardware und deren Schnittstellen verfügt, hat er in diesem Markt gute Chancen«, weiß Peter Weihrauch, Marketing-Leiter bei ICO. Günther Dumsky, Director System und Boards bei Kontron, setzt voraus: »Systemintegratoren müssen die Geschäftsfelder ihrer Kunden genau kennen, um entsprechende Lösungen anzubieten.« Dazu sollten sie wissen, welche technologischen Anforderungen in den verschiedenen Industrie-Branchen gefragt sind und ? vor allem ? die Sprache der Kunden sprechen. Fehlen diese Informationen, ist es seiner Meinung nach schwer, auch nur im unteren Segment des Industrie-Markts Fuß zu fassen. Neben Service- und Support-Leistungen müssen Systemintegratoren zudem in der Lage sein, eine Vielzahl an Produkttests durchzuführen. In der Regel verlangen Industriekunden gerade bei Ausschreibungen den Nachweis der CE- und je nach Anforderung der IP-Prüfungen.
Auf Systemintegratoren, die ihre Produktion auf Industriegeräte umstellen wollen, kommen zunächst zahlreiche Kosten zu, die schnell ein Unternehmen auch ins Abseits befördern können. Ratsam ist deswegen, diesen Schritt penibel genau zu planen und über ein entsprechendes finanzielles Polster zu verfügen. In den vergangenen Jahren haben es lediglich Spin-Offs von Industrie-PC-Herstellern geschafft, sich am Markt zu etablieren.
Industrie-PCs müssen gegen Stürze, Spritzwasser, Erschütterungen und Staub geschützt sein. Selbst bei extremer Hitze oder Kälte sollen sie dauerhaft und ohne Leistungsabfall funktionieren. Das verlangt Komponenten, die einiges aushalten: Plastik- oder Aluminium-Gehäuse sind bei Industrie-PCs ein »No-Go«. Das Case muss aus widerstandsfähigem Stahl bestehen. Auch Grafikkarten, Festplatten oder Laufwerke sind besonders robust. CPU-Hersteller Intel und der Grafikkarten-Anbieter Matrox bieten Komponenten an, die speziell für den Einsatz in härtesten Umgebungen konzipiert wurden. Aber auch einige Industrie-PC-Anbieter greifen bei der Komponentenausstattung gerne mal auf Standard-PC-Teile zurück, um vom Vorteil der meist günstigen Preise profitieren zu können. Neben der Widerstandsfähigkeit spielt die Plattformstabilität der Systeme eine besondere Rolle. In der Regel beträgt sie mindestens fünf Jahre, bevor die Geräte ausgetauscht oder einzelne Komponenten ersetzt werden. Als Vergleich: Herkömmliche PCs werden nach etwa zwei bis drei Jahren ersetzt. Aber selbst bei einem Austausch von Industrie-PCs passen die Kunden ihre Systeme nicht automatisch an die nächste Komponentengeneration an. Statt neuester Technologie ist Bewährtes gefragt. Es ist durchaus keine Seltenheit, dass die Geräte mit Pentium 1-CPUs arbeiten, sogar 486er-Modelle werden noch verbaut.
Aus Kundensicht ist diese Vorgehensweise durchaus verständlich, da jede Einführung einer neuen Komponenten-Generation mit hohen Kosten verbunden ist. Nicht nur der Industrie-PC muss dann ersetzt werden ? auch alle Schnittstellen verlangen nach einer Anpassung. Bei einer ferngesteuerten Fertigungsstraße beispielsweise kann dieses Upgrade gleich mehrere 10.000 Euro verschlingen. »Bevor Kunden die Geräte austauschen, erneuern sie lieber defekte oder verschlissene Bauteile«, bestätigt Ingrid Thiel, Marketing-Leiterin bei Dolch.
Industrie-PCs sind deshalb fast ausschließlich den vertikalen Nischenmärkten wie beispielsweise Fertigungsindustrie, Transportwesen, Logistik, Anlagensteuerung, Maschinenbau, Messtechnik, Gesundheitswesen, Automobil- und Chemieindustrie vorbehalten. Während ein Standard-Industrie-Rechner etwa 1.300 Euro (EVK) kostet, starten die Preise für High-End-Geräte bei circa 2.000 Euro. Hinzu kommen aber Kosten für Software, Installation und Wartung. Als Vergleich: Ein herkömmlicher Desktop-PC kostet weniger als 1.000 Euro (EVK), Software inklusive.
Mit der Wahl der Hardware ist es allerdings noch nicht getan. Jeder Industrie-Zweig benötigt individuelle Lösungen, auf die die Komponenten abgestimmt sein müssen. So ist es keine Seltenheit, dass die Geräte um zusätzliche Steckplätze erweitert oder mit Spezialkomponenten wie robusten Grafikkarten, erschütterungsresistenten Festplatten oder redundanten Netzteilen ausgestattet werden. »Hinzu kommt, dass zunehmend auf bewegliche und verschleißanfällige Teile wie etwa Lüfter verzichtet wird«, erklärt Christian Blaich, Verantwortlicher für den technischen Support und Vertrieb bei Plug-in. Sie verursachen, da sie sich schneller abnutzen als unbewegliche Teile, höhere Supportkosten.
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Nicht nur robust und widerstandsfähig müssen Industrie-PCs sein, sondern auch über Schnittstellen verfügen, die bei herkömmlichen Rechnern schon längst ausrangiert wurden. Der ISA-Bus wird beispielsweise in fast 90 Prozent alle Projekte nachgefragt, da zahlreiche Steckkarten noch mit diesem Standard arbeiten. Zahlreiche Bauteile erlauben die Konstruktion von unterschiedlichsten Industrie-PCs. Zu den wichtigsten Formfaktoren gehören 19-Zoll-Rack-Geräte, Panel- oder Hutschienen-PCs. Letztere werden auf einer Schiene hintereinander installiert. Als Bussysteme setzen die Anbieter unter anderen auf ISA, PCI oder PC/104 sowie VME. VME eignet sich für kritische Anwendungen, die Signale in Realtime (Echtzeit) verarbeiten müssen. Mit dem Bussystem PC/104 lassen sich bierdeckelgroße Rechner fertigen, die übereinander gestapelt werden können. DOS, Windows CE, Windows 9x, NT, XP oder Linux werden als Betriebssysteme installiert. Welche Software für welche Anwendung eingesetzt wird, richtet sich nach den Anforderungen, die ein Kunde an die Industrie-Lösung stellt.
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Advantech
www.advantech.de
Bressner Technology
www.bressner.de
Dolch
www.dolch-computer.de
DSM
www.dsm-computer.de
ICO
www.ico.de
Konton
www.konton.com
Plug-in
www.plug-in.de
Siemens
www.siemens.com
Tarox
www.tarox.de