IT-Outsourcing: Europa übertrifft erstmals Amerika

24. März 2005, 0:00 Uhr | Martin Fryba

IT-Outsourcing: Europa übertrifft erstmals Amerika. Immer mehr Unternehmen in Europa gehen dazu über, ihre IT und ganze Geschäftsprozesse an IT-Dienstleister auszulagern. Der »Alte Kontinent« und insbesondere Deutschland haben im boomenden Markt für IT-Outsourcing im vergangenen Jahr mächtig aufgeholt. Dabei zeichnet sich auf der Anbieterseite ein dramatischer Trend ab: Die »Big Six« der Branche verlieren Marktanteile, da immer mehr Aufträge an immer mehr Anbieter vergeben werden.

IT-Outsourcing: Europa übertrifft erstmals Amerika

»Do what you can do best ? outsource the rest«, diese betriebswirtschaftliche Maxime dominiert seit Jahren schon die amerikanische und angelsächsische Managementpraxis. Mit der Folge, dass vor allem US-amerikanische Konzerne Vorreiter beim Outsourcing sind und ihre IT-Infrastruktur samt IT-Abteilungen in die Hände großer Service-Provider legen. Ein Milliarden-Markt für Outsourcing-Anbieter, der laut Marktforscher Gartner jährlich um über sieben Prozent wächst und bis 2008 ein Volumen von über 250 Milliarden Dollar erreichen soll.

Mit einiger Zeitverzögerung ist das Kunstwort Outsourcing (outside resource using) mit seinen verschiedenen Varianten und Stufen auch bei Managern europäischer Konzerne und Behörden in aller Munde. Während in Großbritannien Outsourcing bereits einen hohen Stellenwert erreicht hat, zögerten Unternehmen im restlichen Westeuropa bislang, ihre IT ganz oder in Teilen an externe Dienstleister auszulagern. Doch das hat sich im vergangenen Jahr gründlich geändert: Europa und insbesondere Deutschland haben beim Outsourcing mächtig aufgeholt, wie ein Blick auf die in 2004 neu geschlossenen Outsourcing-Verträge zeigt. »Europa hat die USA als den größten Markt für neu geschlossene Outsourcing-Deals überrundet«, lautet das Fazit einer aktuellen Untersuchung von TPI. Das auf Outsourcing spezialisierte Unternehmen berät und begleitet Firmen bei entsprechenden Projekten. Die stringente und zielorientierte Arbeitsweise der Beratungsexperten wird nicht nur von Outsourcing-Nehmern geschätzt, sondern auch von Dienstleistern, da die oft komplexen Fragestellungen zwischen Outsourcing-Kunden und Dienstleistern zügig geklärt werden können.

Die TPI-Experten summierten für das vergangene Jahr alle bekannten, neu geschlossenen Outsourcing-Deals über einem Volumen von 40 Millionen Euro und errechneten so ein weltweites Auftragsvolumen für 2004 von 57,6 Milliarden Euro ? so viel wie nie zuvor im Outsourcing-Markt. Erstmals überstieg dabei das Auftragsvolumen in Europa das der USA. Den Experten zufolge entfiel auf Europa ein Anteil von 49 Prozent, während die USA auf 44 Prozent zurückfiel. Das erstmals höhere Auftragsvolumen in Europa ging jedoch nicht zu Lasten des US-Markts, vielmehr zeichnete sich in Europa ein »dramatisches Wachstum ab, während in den USA kein signifikantes Sinken des Outsourcing-Volumens festzustellen ist«, erläuterte TPI die Zahlen zur geografischen Verteilung. »Europäische Firmen stellen fest, dass sie in einem globalen Markt nicht wettbewerbsfähig bleiben können, wenn sie nicht ihre Effizienz und Flexibilität steigern. Mit Outsourcing können sie ihre Ziele erreichen.«

Deutschland Vorreiter beim Outsourcing

Ein Blick auf die europäischen Länder zeigt, dass Deutschland vom Trend zum Outsourcing überproportional profitieren konnte. Laut TPI hat sich das Auftragsvolumen von Outsourcing-Deals über 40 Millionen Euro hierzulande sogar vervielfacht: Von 2,25 Milliarden Euro auf nunmehr 7,22 Milliarden, was einem weltweiten Anteil bei neu geschlossenen Deals von 12,5 Prozent entspricht.

Aber nicht nur in räumlicher Hinsicht zeigten sich im Outsourcing-Markt 2004 gegenüber dem Vorjahr deutliche Verschiebungen, sondern auch im Wettbewerb der Anbieter. Die »Big Six« im weltweiten Outsourcing-Geschäft verlieren laut TPI immer mehr Aufträge an die darunter gelisteten Top-Outsourcer. Lediglich die amerikanische Affiliated Computer Services (ACS) konnte sich diesem Trend entziehen und Marktanteile hinzugewinnen, HP verzeichnete immerhin noch einen konstanten Anteil. Haben die »Big Six« 2003 noch drei von vier großen Outsourcing-Ausschreibungen an Land gezogen, waren es im vergangenen Jahr lediglich 44 Prozent. Vor allem die Spitzenkonzerne IBM, CSC, EDS und Accenture haben die Statistik zuungunsten der »Big Six« verschoben: »Sie haben signifikant Einbußen erfahren«, stellt TPI fest, und zwar sowohl im IT-Outsourcing als auch im Business Prozess Outsourcing (BPO), also der Auslagerung kompletter Geschäftsprozesse, bei der ein Dienstleister zusätzlich die Verantwortung für das Erreichen strategischer Ziele seines Kunden übernimmt.

Die Verschiebung innerhalb der Anbieterlandschaft verwundert nicht, denn mit Zuwachsraten von knapp unter zehn Prozent gehört Outsourcing zu den Zugpferden der IT-Branche. Und zu den Hoffnungsträgern vieler IT-Dienstleister, die in immer größerer Zahl auf den Markt drängen. Teilten sich 2003 noch 26 Outsourcer die größten 100 Deals unter sich auf, waren es im vergangenen Jahr schon 36 Provider. »Wir sehen eine steigende Zahl von Providern«, so auch TPI.

Viele, vor allem aber europäische IT-Dienstleister, sind im Vergleich zu den Top-Playern erst später auf den Outsourcing-Zug aufgesprungen ? holen aber jetzt mächtig auf. TPI nennt hier vor allem Siemens Business Services (SBS), Capgemini, T-Systems und Xchanging. Beispiel Xchanging: Der im Banken- und Versicherungsumfeld tätige Outsourcer wurde erst 1999 in London gegründet, beschäftigt mittlerweile 3.000 Mitarbeiter in zehn Ländern und erzielte 2003 einen Umsatz von 206 Millionen Euro. Tendenz steigend. Beispiel SBB: Die Münchner Siemens-Tochter arbeitete sich in Europa hinter IBM mittlerweile auf den zweiten Platz vor, was maßgeblich auf einen Milliarden-Auftrag von der BBC London zurückzuführen ist. Die traditionsreiche britische Rundfunkanstalt trennte sich von ihren 1.400 Mitarbeitern der IT-Tochter BBC Technology und vergab einen über zehn Jahre laufenden Outsourcing-Auftrag an SBS. Rekordeinnahmen für die Münchner: 2,7 Milliarden Euro. Ein ähnliches Vorhaben der Bundeswehr (Projektname »Herkules«) steht unmittelbar vor der Auftragsvergabe, Volumen: 6,6 Milliarden Euro. Nach dem Ausstieg von T-Systems wollen sich SBS und IBM den lukrativen Deal sichern, womit die Münchner ihren Spitzenplatz in Europa behaupten würden. Hohe Risiken, die mit einem Projekt dieser Größenordnung verbunden sind, können und wollen kleinere IT-Dienstleister nicht eingehen. Müssen sie auch nicht, denn der Outsourcing-Markt bietet genügend Platz für viele. Denn noch ein Trend zeichnet sich zugunsten eines breiteren Anbieterspektrums ab: Statt in einem großen Outsourcing-Deal die komplette IT an einen Dienstleister zu vergeben, gehen Konzerne mehr und mehr dazu über, ihre IT in Teilen auszulagern und an zwei oder drei Outsourcer zu vergeben. Megadeals in Höhe von mehreren Milliarden Euro finden zwar eine große Resonanz in der Presse. Sie sind aber eher die Ausnahme als die Regel. Denn das Potenzial im Outsourcing liegt vor allem im Mittelstand, der die Vorteile der IT-Auslagerung zunehmend erkennt.

Kooperationen und Akquisitionen

Die aktuelle IT-Budget-Studie der CRN Schwesterzeitschrift »Informationweek« zeigt, dass der Anteil der Unternehmen, die Outsourcing bereits nutzen, von 19,2 auf 25,1 Prozent gestiegen ist. Waren es früher fast ausschließlich Großunternehmen, die ihre IT außer Haus gaben, so ziehen mittlerweile eine beträchtliche Anzahl kleinerer Firmen nach. Drei von vier der von »Informationweek« befragten Firmen kämen also als potenzielle Kunden für IT-Dienstleister in Frage, selbst beim gehobenen Mittelstand in Deutschland ist noch viel zu holen. Mehr als die Hälfte aller Firmen mit über 1.000 Mitarbeitern nutzen bislang noch kein Outsourcing.

Kein Wunder also, dass die etablierten Outsourcer ganz besonders auf den Mittelstand zielen und mit Übernahmen kleinerer IT-Dienstleister ihre Präsenz auf lokaler Ebene verstärken wollen. Vor allem die IT-Töchter von Konzernen stehen auf der Einkaufsliste ganz oben. So hat SBS das Bieterrennen um die begehrte IT-Tochter des Industriekonzerns RAG gewonnen. Die Münchner schnappten sich vor IBM und Logica CMG die RAG Informatik und deren Saarbrücker Tochter Saardata mit insgesamt 800 Mitarbeitern (Jahresumsatz 108 Millionen Euro). Um die Braut zu schmücken, stattete der RAG-Konzern sie zugleich mit einer ordentlichen Mitgift aus: einem siebenjährigen IT-Service-Vertrag mit einem Volumen von 500 Millionen Euro. »Passt ideal zu unserer Regionalstrategie in Deutschland», jubelte SBS-Bereichsvorstand Jürgen Frischmuth.

IBM setzt mit Channel auf Mittelstand

IBM war die Braut schlichtweg zu teuer. Obwohl auch Big Blue in Deutschland den Markt »genau beobachtet und viele sehr interessante IT-Dienstleister« auf der Watchlist hat, wie Gerald Münzl, Leiter Marketing Strategic Outsourcing bei IBM, im Gespräch mit CRN erwähnt, will der Marktführer nicht nur über Akquisitionen, sondern auch mit Hilfe seiner Partner im Mittelstandgeschäft punkten. Erklärtes Ziel auf IBMs Partner World Anfang dieses Monats: Mehr Umsatz durch IT-Services speziell für kleine und mittlere Unternehmen, und zwar über die Partner. Reseller werden angehalten, ihre Kunden auf die neuen Managed Services für den Mittelstand zu begeistern. Dabei übernimmt IBM den Betrieb von IT-Infrastrukturen und Anwendungen, zu mittelstandsgerechten Preisen, wie der weltweit größte Outsourcing-Anbieter verspricht. Nicht jeder ehrgeizige Outsourcer kann wie IBM auf ein über Jahrzehnte gewachsenes Partnernetzwerk zurückgreifen. Und nicht jeder verfügt über ein hohes Know-how im Outsourcing-Portfolio, um ein breites Spektrum von IT-Services gerade auch für den Mittelstand anbieten zu können. Hier sollen Kooperationen und Allianzen mit anderen IT-Dienstleistern Defizite wettmachen. Das deutsche Management der Logica CMG beispielsweise hatte die diesjährige Cebit genutzt, um sein Angebot um komplimentäre Services anderer Outsourcer zu ergänzen. »Wir haben über 100 Gespräche geführt und werden auf Allianzen mit Partnern setzen«, sagte Ralph Brubach, Geschäftsführer der deutschen Logica CMG, gegenüber CRN. So will der Manager hierzulande zu den führenden IT-Dienstleistern aufschließen und den Umsatz von derzeit 137 Millionen Euro in den nächsten zwei bis drei Jahren mehr als verdoppeln.

Allein mit Partnerschaften wird das nicht gehen. So sind denn auch beim niederländisch-britischen IT-Dienstleister Akquisitionen wieder ein Thema, nachdem das Unternehmen in Deutschland die Restrukturierung mit Personalabbau abgeschlossen hat. »Unsere Wachstumsziele können wir nicht allein durch organisches Wachstum erreichen«, so der ehemalige EDS-Manager Brubach. Kooperationen einerseits und andererseits Marktbereinigung durch Akquisitionen ? im boomenden Outsourcing-Geschäft müssen sich die Anbieter und ihre Kunden noch auf so manche Überraschung gefasst machen.

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Cebit 2005: Outsourcing-Halle enttäuscht deutsche Aussteller

Eine richtige Entscheidung mit falschem Konzept, lautete das Fazit vieler deutscher Aussteller, die auf der diesjährigen Cebit in der für Outsourcing vorbehaltenen Halle 8 in Hannover ihre Lösungen präsentierten. Die Messemacher haben erstmals diesem Thema einen eigenen Ausstellungsbereich gewidmet, was angesichts der steigenden Bedeutung des IT-Outsourcing zu begrüßen war. Allerdings suchte man viele namhafte Player der Branche vergebens, dafür dominierten Aussteller aus Indien, Ägypten, China, Philippinen das Erscheinungsbild, selbst Länder wie Moldawien und Armenien waren hier vertreten. Kein Wunder also, dass auf den 2.500 Quadratmetern nicht Outsourcing, sondern Offshoring das dominierende Thema war. Und gerade diesen Eindruck haben die auf IT-Outsourcing spezialisierten Firmen westlicher Industrieländer im Vorfeld ihrer Messeplanung befürchtet ? zu Recht, wie sich zeigte. Daher fehlten denn auch in Halle 8 Firmen wie IBM, HP, EDS und andere führende IT-Dienstleister, die Outsourcing nicht in erster Linie mit Auslagerung von IT-Aufgaben in Billiglohnländer in Verbindung bringen wollen.

»Ein trauriges Bild«, zeigte sich ein IBM-Manager gegenüber CRN enttäuscht über das misslungene Konzept. »Wir werden ernsthaft darüber nachdenken müssen, ob wir nächstes Jahr hier wieder ausstellen«, so ein leitender Mitarbeiter von Fiducia. Der IT-Dienstleister, eine IT-Tochter der Genossenschaftsbanken, war als deutscher Aussteller mit dem größten Stand in Halle 8 vertreten und wollte eigentlich deutsche Kunden außerhalb der Genossenschaft für seine Bankenlösungen und Briefversand-Dienstleistungen gewinnen. Da das Unternehmen ausschließlich im deutschen Markt tätig ist und keine Offshore-Projekte abwickelt, sahen sich die Karlsruher in dieser Halle nicht gut aufgehoben.

Immerhin zeigten sich die Aussteller mit dem breit angelegten Vortragsprogramm sehr zufrieden. Das Forum war durchweg gut besucht, die Diskussionen und Fachvorträge, von namhaften Referenten aus der Outsourcing-Branche, informativ. Und noch ein Pluspunkt gibt Anlass zur Hoffnung, dass es auch im nächsten Jahr ein ? verbessertes und für alle Aussteller tragfähiges ? Konzept für eine Outsourcing-Halle gibt: Einige Outsourcer nutzten ihre Präsenz in Halle 8, um Kontakte zu Mitbewerbern neu zu knüpfen oder bestehende auszubauen.


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