Provider unter Zugzwang
Verbindlichere Services und SLAs gefordert – Die Unternehmen überarbeiten ihre Geschäftsprozesse. In diese Anwendungen fließen zunehmend neben den Daten Sprache und Video ein. Angesichts dieser Entwicklung müssen die Provider zwischen den Unternehmensnetzen mit ihren Services und SLAs neu Position beziehen.


Die Unternehmen gehen verstärkt daran, ihre Geschäftsprozesse zu optimieren. Dabei geht es ihnen nicht nur um datenbasierende Prozesse. Denn die Integration von Sprache und Video birgt für sie zusätzliche Potenziale. Und die Service-Provider als Mittler zwischen den Unternehmensnetzen oder als Hosting-Partner müssen sich auf die höheren Anforderungen geänderter Geschäftsprozesse einstellen.
Nach der Studie »IT Trends in der Chemie- und Pharmabranche in Deutschland« von IDC springen innerhalb dieses Marktsegments immer mehr Unternehmen auf den Geschäftsprozess-Optimierungszug auf. Von den insgesamt 52 befragten Unternehmen wollen rund 70 Prozent ihre geschäftlichen Abläufe auf Vordermann bringen. Der Druck, in diese Richtung initiativ zu werden, kommt von ganz oben, von der Vorstands- beziehungsweise Geschäftsführerebene. »Der Trend zu effizienteren, geschäftlichen Abläufen in der Chemie- und Pharmabranche repräsentiert mehr oder weniger die Entwicklung in der gesamten Industrie und im Dienstleistungsbereich«, registriert Andreas von Meyer zu Knonow, Vice President Global Product Solutions bei Avaya und Mitglied im Hauptvorstand der Bitkom.
»Die Ziele ihrer Optimierungsbestrebungen: Kosten einzusparen, die Produktivität ihrer Mitarbeiter zu erhöhen sowie den Kunden- und Partner-Service zu verbessern.« Um diese gesteckten Ziele zu erreichen, so der Avaya-Manager, würden in die Neukonzeption der betrieblichen Abläufe zunehmend Sprache und Video einbezogen werden. »Denn in der Integration aller drei Kommunikationsformen steckt für die Unternehmen ein noch größeres Optimierungspotenzial«, ist von Meyer zu Knonow überzeugt.
Neu Position beziehen
Die Herausforderung, die sich aus dem Optimierungstrend in den Unternehmen für die Provider ergibt: Sie müssen mit ihren Services und Service-Level-Agreements (SLAs) den Anforderungen optimierter, das heißt weitgehend automatisierter und onlinefähiger Geschäftsprozesse folgen. »Schlichte SLAs wie zur Verfügbarkeit und Bandbreite einzelner WAN-Verbindungen sowie das parallele Messen von Server-Antwortzeiten reichen dafür nicht mehr aus«, konstatiert Hans-Heinz Wisotzky, Leiter Competence-Center Service-Management bei Materna.
»Wenn die Unternehmen ihre geschäftlichen Abläufe Ende zu Ende betrachten und aufsetzen, erwarten sie Gleiches vom Provider.« Auch sie müssten demnach mit verbindlicheren Services und SLAs neu Position beziehen. Er deutet auf SLAs wie garantierte Sitzungsaufbauzeiten und garantierte Verfügbarkeitswerte sowie Antwortzeiten für Endverbraucher innerhalb der Sitzungen. »Das Messen solcher Ende-zu-Ende-SLAs ist für die Provider durchaus machbar«, meint Wisotzky. Er verweist dazu auf eine Agententechnik, die automatisch Transaktionen ausführt: »Über sie kann ein kompletter Prozess ausgehend vom Endgerät mit all seinen Abfolgen simuliert werden, um für jede einzelne Etappe die notwendigen SLAs für die späteren Messungen vorzugeben.«
Einige Carrier und Provider, so der Fachmann weiter, setzten diese Methode ohnehin dafür ein, um die Qualität der IuK-Dienstleistungen ihrer Zulieferer zu überprüfen. Gerade flusskritische Kommunikationsformen wie Telefonie oder Echtzeit-Video machen den Providern zusätzlich Druck, bei der Qualität ihrer Services und SLAs nichts anbrennen zu lassen. Zumal sie ihrerseits mit konvergenten Diensten wie IP-Telefonie, Unified-Communications und Video-Conferencing diese Entwicklung vorantreiben. »Angesichts der steigenden Serviceanforderungen der Kunden lediglich auf eine konvergente Netzinfrastruktur wie das MPLS-VPN zu verweisen, greift für die Kunden zu kurz«, moniert Hartmut Becker, Director Marketing Enterprise Solution Division bei Alcatel-Lucent.
»Denn für konvergente Applikationen wollen die Unternehmen mehr als nur bloße Transportgarantien, die an den Kundennetzeingängen enden. Sie wollen statt dessen eine Antwort auf die Frage: Wie ist es um die Ende-zu-Ende-Qualität unserer flusskritischen Prozesse bestellt? Speziell Video-Conferencing, mit der Anforderung, dass die Ausgabe von Bewegtbildern und Sprache synchron laufen muss, erhöht zusätzlich den Servicedruck auf die Provider.« Für Becker steht deshalb außer Frage: »Sie müssen, angetrieben durch konvergente Applikationen, auf Sitzungsebene Position beziehen. Denn andernfalls könnten sich die Provider zu Lasten des Geschäfts für ihre Kunden schnell als Nadelöhr und Soll-Bruchstelle erweisen.«
Abrechnung folgt
Parallel müssen die Provider die höherwertigen Services und SLAs organisatorisch und abrechnungstechnisch in den Griff bekommen. »Auch in dieser Hinsicht haben viele Dienstleister noch erheblichen Nachholbedarf«, registriert Gerhard Haberstroh, Solution Marketing Manager bei HP Software Deutschland. Das liege nicht daran, dass die notwendigen Management- und Abrechnungswerkzeuge im Markt fehlten. »Ganz im Gegenteil: Moderne IT-Service-Managementlösungen für den Provider-Einsatz haben mittlerweile ein Leistungsniveau erreicht, um den gestiegenen Service-, SLA- und Abrechnungsansprüchen der Geschäftskunden problemlos zu folgen«, hebt er heraus.
Das gelte für reine Datenanwendungen ebenso wie für Sprach-/Daten- sowie gegebenenfalls Video-integrierte Applikationen. Weil sich die Provider mit der vollen Kommunikationsbandbreite optimierter Geschäftsprozesse konfrontiert sähen, bleibe ihnen nichts anderes übrig, als zu investieren und sich für ihre Kunden auf einer höheren Serviceebene aufzustellen. Haberstroh deutet dazu unter anderem auf das volle Anwendungsspektrum von Unified-Communications und Collaboration.
Danach sollen schon in diesem Jahr weltweit 50 Milliarden Dollar mit Unified-Communications, Collaboration sowie Content-Management, der Kerninfrastruktur von Microsoft, Business-Process-Integration und Business-Intelligence an Umsatz generiert werden. »Alle fünf Applikationswelten arbeiten prozess-, also Ende-zu-Ende-orientiert«, so Avaya-Manager von Meyer zu Knonow. »Drei davon sind zusätzlich auf die Konvergenz von Daten, Sprache und Video ausgerichtet.«
Die Hinwendung der Unternehmen zur Web-Technologie spiele der Geschäftsprozessoptimierung zusätzlich in die Hände. »Denn darüber fallen Kommunikationsgrenzen, kann der eigene Geschäftsauftritt sowie der gegenüber den Partnern online und über alle Kanäle nahezu beliebig ausgedehnt und weitgehend automatisiert werden«, so von Meyer zu Knonow. Berlecon Research empfiehlt in ihren »Mobility- und Business-Communication-Trends 2007« den Unternehmen, neben der mobilen Seite für eine erfolgreiche IP-Kommunikation vor allem zwei Themen im Auge haben: Unified-Communications und Collaboration sowie Web 2.0.
Push durch Consumer-Markt
Unified-Communications wird die Provider vor erhöhte Serviceanforderungen stellen. Parallel schicken sich die Konsumenten im Rahmen von Triple-Play an, den Providern höhere Servicegüten für Bewegtbilder abzufordern. Unter Druck von beiden Seiten – Business- und Consumer-Markt – sehen die Analysten von Deloitte eine weitere Konvergenz heraufziehen: die der klassischen Sektoren IT, Telekommunikation und Medien. Sie wird, so Insider, die Provider zusätzlich unter Innovations- und Handlungsdruck setzen.
»Die Carrier und Provider können sich dieser Entwicklung nicht länger verschließen, wenn sie weiterhin unter wachsendem Wettbewerbs- und Kostendruck bestehen wollen«, ist Dietmar Holderle, Vice President Continental Europe bei Foundry Networks, überzeugt. Er sieht die Dienstleister nicht nur in puncto höherwertige, verbindlichere Services und SLAs sowie einer für die Kunden insgesamt transparente Abrechnung gefordert. »Viele Carrier – ob direkt als Service-Direktanbieter oder mittelbar als Dienstleister für Provider aufgestellt – werden zudem innerhalb ihrer Kommunikationsinfrastruktur kräftig an Bandbreite zulegen müssen.« Vor allem im Metropolitan-Bereich, so Holderle, drohten Engpässe. Sie müssten schleunigst ausgeweitet werden. Beispielsweise hat Global Connect, Anbieter von Kommunikationsinfrastruktur- Dienstleistungen für Provider in Dänemark, Schweden und Deutschland, die Zeichen der Zeit erkannt. Der Carrier hat seine Infrastruktur mit über 350 Metro-Switches und Internet-Router von Foundry Networks hochgerüstet. Holderle: »Dadurch ist Global Connect gegen den anstehenden Multimedia-Bandbreitenansturm, einschließlich Kabelfernsehen, bestens gefeit.«
Auf sämtlichen Kanälen
Die Prozessverschiebung hin zur zusätzlichen Integration von Sprache und Video lässt sich an der Business-Offerte Unified-Communications ablesen. Der Marktanalyst IDC räumt UC im Bereich EMEA bis 2010 ein durchschnittliches Jahreswachstum von 13,1 Prozent ein. Cisco hat das lukrative Multi-Kanal-Kommunikationsfeld, das es zu beackern gilt, längst für sich entdeckt. »Wir bieten eine vollständige UC-Lösung. Sie kann, außer auf den Microsoft-Umgebungen, auf anderen Betriebssystem- und Bürokommunikations-Welten aufsetzen«, meldet Thomas Boele, Marketing Manager Field Market Development bei Cisco Deutschland. »Die offenen Schnittstellen unserer Unified-Communications-Lösungsarchitektur machen diese flexible Einsatzstrategie möglich.«
Parallel baut Cisco ihre Präsenz bei den Videokonferenz-Installationen aus. Der Netzwerkprimus schickt sich damit an, den Spezialisten Tandberg zu überholen. Teil der »TelePresence«-Installation sind 65-Zoll-Bildschirme mit einer Auflösung bis 1080 Pixel. »Die großformatige, hoch auflösende Darstellung wird Auswirkungen auf die Kommunikationsbandbreiten, den Qualitätsanspruch der Kunden und die Fakturierung der erbrachten, standortübergreifenden Dienste haben«, meint Boele. Für die Provider heiße das: Sie müssten die höheren Anforderungen solcher Collaboration-Applikationen an Latenz und Bandbreite organisatorisch, technisch und von der Preisgestaltung in ihren Offerten berücksichtigen.
Mit Sicherheit compliant
Lars Weimer, verantwortlich für Informationssicherheit im Bankenbereich bei Ernst & Young, sieht im Sog der Geschäftsprozessoptimierung die Provider außerdem gefordert, ihren Auftritt für IT-Sicherheit, Datenschutz und Compliance zu überdenken. »Mit der Prozesssicht der Unternehmen werden sie auch gegenüber den Providern auf eine Ende-zu-Ende-Erfüllung solcher Anforderungen drängen«, ist er sich sicher. »Demnach werden die Unternehmen, nicht nur beim Applikations-Hosting, vermehrt auf eine Ende-zu-Ende-Übertragungssicherheit und -Zugriffskontrolle bestehen.« Vor allem der Kontrolle der Zugriffe des Auslagerungsunternehmens auf dessen Daten und Informationen, beispielsweise realisiert über prozessflankierende Identity- und Access-Management-Services, räumt er eine hohe Bedeutung ein. »Zumal über IAM teils auch die Auditing- und Reporting-Funktionen als Services bereitgestellt werden können. Darüber können die Unternehmen per Aufzeichnung und Auswertung nachweislich den rechtlichen, regulatorischen und eigenen Auflagen folgen«, ergänzt er. Weimer fordert die Unternehmen bei den immer komplexeren Prozesszusammenhängen auf, die Sensibilität ihrer Geschäftsdaten mit Blick auf das dreifache Anforderungsprofil genau zu analysieren. »Diese eingehende Analyse ist notwendig, um dem Provider für die einzelnen Geschäftsprozesse angemessene Regeln und SLAs rund um Datensicherheit, Datenschutz und Compliance vorgeben zu können.« Innerhalb eines konvergenten Kommunikations- und Applikations-Szenarios, so Weimer, müssten dafür sämtliche Arbeitsabläufe, einschließlich der Sprach- und Videoströme, analysiert und bewertet werden.
Uwe Welzel, Solution Principal bei HP Services, rät deshalb den Unternehmen, gerade in Zeiten der Konvergenz Geschäftsprozesse, Menschen und Technologien von Anfang an gesamtheitlich zu betrachten. »Nur auf diese Weise können für den Provider die notwendigen Prozess- sowie prozessflankierenden Vorgaben abgeleitet werden.« Gerade konvergente Applikationen wie Unified-Communications seien kein Produkt. »Sie sind ein Weg, den jedes Unternehmen gemeinsam mit dem Provider beschreiten muss«, so Welzel. Und im Verlauf des Wegs müssten Veränderungen in den Arbeitsabläufen immer wieder gemeinsam mit passgenauen SLAs gemeistert werden, gibt er den Entscheidern zu bedenken.
Service-Levels mit Augenmaß
Insider fordern dennoch die Unternehmen auf, die Flusssensibilität aller Geschäftsprozesse im eigenen Kosteninteresse genau zu hinterfragen. Denn eine Realtime-Servicebereitstellung und die dazu passenden Sitzungs-SLAs und Messmethoden hätten ihren Preis. Für viele ihrer vor allem datenbasierenden Anwendungen werden die Unternehmen bis auf weiteres ohne solche Services und SLAs auskommen, so ihre Einschätzungen. Das gilt für den Fall des IT-Eigenbetriebs ebenso wie für den Fall des externen IT-Bezugs inklusive der Applikationen.
Für Provider wie T-Systems bedeutet das, sich für beide Anforderungsprofile, für performancekritische Daten wie Sprache oder Video und weniger kritische Geschäftsprozesse, angemessen aufzustellen. Ulrich Kemp, bei T-Systems verantwortlich für das Geschäft mit Groß- und Mittelstandskunden, sieht deshalb den Provider doppelt gefordert: neben den klassischen Services und SLAs vorerst auf Projektbasis Ende-zu-Ende-Services, SLAs für komplette Sitzungen und passende Abrechnungsverfahren für die Kunden einzuräumen. »Als Real-ICT-Anbieter verfügt T-Systems über Know-how in allen erforderlichen Bereichen der TK- und IT-Welt, um solche Anforderungen umsetzen zu können«, hebt er heraus. Die Flussqualitäten könnten bei Bedarf bis an die Endgeräte der Kundenmitarbeiter verbindlich eingehalten werden.
Um diesen Service hochverfügbar Ende zu Ende bereit stellen zu können, überwacht und analysiert der Provider ausgehend vom Benutzerzugangspunkt das typische Verhalten der User einschließlich der Auswirkungen auf komplette Sitzungsverläufe sowie das Verhalten in der User-/User-Beziehung über das Netzwerk. Davon, wiederum, werden die erforderlichen SLAs für alle Systeme und Verbindungen entlang der Transaktionskette abgeleitet.
Abrechnungsorganisatorisch und -technisch sieht Kemp keinerlei Probleme, solchen höherwertigen Services und SLAs zu folgen. »T-Systems hat in der Praxis bereits reichlich Erfahrung mit solchen hoch dynamischen Services einschließlich ihrer Messung und Abrechnung gesammelt.« Auch Ende-zu-Ende-SLAs zur IT-Sicherheit und für Compliance realisiere der Provider für seine Geschäftskunden auf Projektbasis. Kemp: »Die Unternehmen können also mit ihrer Geschäftsprozessoptimierung und fortschreitenden Konvergenz mit uns solche Ende-zu-Ende-Dienste umsetzen«, wirbt er.
Hadi Stiel,
freier Journalist