Die US-Dominanz im Cloud-Markt gibt es letztlich seit Anbeginn. Doch die letzten Monate haben viele Unternehmen in Deutschland und Europa wachgerüttelt. Das Interesse an Alternativen zu den Hyperscalern ist in der Breite angekommen – durchaus zur Freude der hiesigen Cloud-Community.
Die geopolitische Lage, die Welt und auch die Cloud-Welt haben sich in den letzten Monaten stark verändert. Bereits beim Cloudfest Mitte März, also gut zwei Wochen nach dem Eklat im Oval Office, waren Auswirkungen davon zu spüren: in Form einer Aufbruchstimmung der deutschen und europäischen Cloud-Community. Diese Ereignisse mögen einem lange her vorkommen, doch das dürfte zu einem guten Teil an der neuen Schnelllebigkeit der Ereignisse liegen. Wenn also in der Zwischenzeit so manches weitere passiert sein mag – von hohen Zöllen bis hin zu deren teilweisen zumindest temporären Aussetzung – so dürfte sich die grundsätzlich neue Ausgangslage nicht verändert haben. Die da lautet: Europa und Deutschland müssen im Hinblick auf die Cloud auf eigenen Füßen stehen – und das wird eher als eine Chance gesehen, siehe Aufbruchstimmung.
Was also wird gesprochen in der europäischen und deutschen Cloud-Szene unter den neuen geopolitischen Koordinaten? Falk Weinreich, General Manager Central Europe von OVHcloud, sagte beim Cloudfest mit einem Augenzwinkern, dass aktuelle politische Entwicklungen in den USA durchaus als Werbung für europäische Anbieter dienen könnten – mehrere große Ausschreibungen, die er derzeit betreue, wären früher vermutlich direkt an US-Provider gegangen. Die Commerz Real, der Asset Manager der Commerzbank-Gruppe, migriert einen großen Teil seiner Cloud-Infrastruktur nun zu OVHcloud und setzt jetzt bewusst auf eine europäische Cloud. Auch Christian Kaul von Impossible Cloud sprach beim Branchenevent von „offenen Türen und dass die Entwicklungen in den USA Impossible Cloud in die Karten spiele.” Und wieder andere, wie Yorizon, sind offensichtlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Doch dazu später.
Nun ist das Thema Datensouveränität nichts wirklich Neues. Aber trotz Initiativen wie Gaia X, dem Projekt zum Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen Dateninfrastruktur für Europa, gibt Falk Weinreich von OVHcloud zu bedenken, dass in den vergangenen Jahren nicht alle am gleichen Strang zogen haben. Auch herrschte die Meinung vor, dass nur wirklich sehr wichtige Themen in eine souveräne Cloud wandern müssten. „Aber am Ende wurde das etwas zerredet und immer weniger ernst genommen. Ausnahmen bildeten nur der Public und der Healthcare-Sektor.“ Zudem sei es im Zusammenhang mit der Datensouveränität eher um Fragen gegangen wie: „Kann Amerika auf die Daten zugreifen und diese auslesen?“, so Weinreich. Diese Fragen seien jetzt zwar nicht verschwunden, doch kommen nun neue Dimensionen hinzu: „Was ist mit Switch-off? Was ist mit Erpressung? Höhere Zölle, sonst wird abgeschaltet oder nicht beliefert“, spricht Weinreich mögliche Szenarien aus – wohlgemerkt Mitte März, einige Zeit, bevor Trump seine Zölle-Keule tatsächlich ausgepackt hat. Auch skizziert Weinreich, was in einem Konfliktszenario passieren könnte: „Wenn der Befehl kommt: ‚Stoppt die Cloud, Azure, Google, AWS in Europa‘ wäre der Shut-down da. Dann läuft bei uns kein Auto mehr vom Band und keine Banktransaktion funktioniert mehr. Selbst in den Behörden ginge dann vieles nicht mehr. Solche Dimensionen waren bislang undenkbar.“ Zu hoffen wäre, dass diese Prognosen Weinreichs nicht eintreten mögen.